Solange ich denken kann, habe ich mir nie wirklich Gedanken gemacht, wie ich von meiner Umwelt wahrgenommen werde. Ich hatte blaue Haare in der neunten Klasse und Schnürstiefel zum Abikleid an. „You do you“ ist mein Motto. Solange ich niemanden durch meine Handlungen verletze, sollte ich in der Lage sein, mich frei ausleben zu können. Deshalb habe ich mir wohl auch nie Gedanken gemacht, dass Freunde von mir trans, schwul und lesbisch sind. Ich selbst habe nie über meine eigene Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung nachgedacht, für mich war es schon immer natürlich, dass ich Jungs und Mädchen mochte. Bis dann der Biologieunterricht kam. Hier wurde nur über Fortpflanzung, Verhütung und Geburt gesprochen. Nicht aber, dass es neben Mann und Frau als Paar noch mehr Möglichkeiten gibt. Ich habe mit der Autorin Alicia Zett über ihr Buch „Not Your Type“ gesprochen, welches sich mit dem Thema Transgender beschäftigt. Dabei war ich geschockt, dass es immer noch Menschen gibt, die trans sein als Modeerscheinung bezeichnen. „Es gibt mehr Outings, weil sich Menschen sicherer fühlen. Zumindest in Deutschland“, erzählt mir die 24-jährige Autorin. In der Schule haben wir über „normal“ und „nicht normal“ gesprochen und man hat sich wie in zwei Klassen eingeteilt gefühlt. Alicia findet dazu: „Politik und Gesellschaft sollte endlich die Begriffe normal und anders abschaffen und Kinder nicht in eine Ecke drängen.“ Würde man in der Schule als Klasse lernen, dass nichts „normal“ oder „nicht normal“ ist, würde die Gesellschaft auch anders reagieren – davon bin ich genauso überzeugt wie Alicia. Ihr Buch „Not Your Type“ beschäftigt sich genau damit. Dass es okay ist, nicht der Masse zu entsprechen. Nach dem Lesen konnte ich meine trans Freunde besser verstehen. Und diese Infos hätte ich gerne schon im Biologieunterricht gelernt. Für einige meiner Freunde waren die Outings schmerzhaft und langwierig. Was nicht zuletzt daran lag, wie sie sich von der Gesellschaft und von der Politik wahrgenommen fühlen. Noch immer gibt es Vorurteile in Poltik und Gesellschaft gegenüber LGBTQ-Menschen. Die Kirche bewegt sich auch nur langsam dem Zeitgeist entgegen. Dabei zeigen Mainstreammedien immer mehr queere Menschen, die nicht mehr nur „der beste schwule Freund“ der Hauptfigur sind. Serien, wie „Sex Education“, „Will und Grace“ oder „Euphoria“ zeigen, wie breit gefächert Sexualität und Geschlechtsidentität sein können und auch in der Literatur kommen immer mehr LGBTQ-Figuren vor.
Alicia Zett und ihr Buch "Not Your Type"
Love is Queer, wenn auch nicht im deutschen Mainstream
Alicia Zett ist Autorin von der „Love is Queer“-Buchreihe. Sie hat Film studiert und arbeitet beim Hessischen Rundfunk als Grafikerin. „Im Haus bin ich seit der Veröffentlichung als Schriftstellerin bekannt“, erzählt sie durch die Kamera beim Interview. Im deutschsprachigen Raum gibt es außer ihr tatsächlich nicht viele Autoren, welche sich dem LGBTQ-Thema annehmen. „In den USA und Großbritannien sind sie uns Jahre voraus. In London habe ich in einer Buchhandlung extra eine Rainbow-Abteilung gesehen. Wenn ich in Deutschland ein queeres Buch kaufen möchte, muss ich ewig suchen und dann gibt es nur zwei Bücher“, erzählt sie mir. In ihrer eigenen Buchreihe schreibt sie in drei Büchern über queere Liebe. Ihr erster Roman „Not Your Type“ erschien diesen Februar, der nächste Teil „Maybe Not Tonight“ kam am 3. Mai in die Buchläden und auch der dritte und letzte Band „No Place For Us“ wird noch dieses Jahr im November veröffentlicht. „Drei Bücher in eineinhalb Jahren zu schreiben war schon stressig. Heute Morgen habe ich zum ersten Mal die Notizen im Manuskript von meinen Probeleserinnen und Probelesern für Band drei gelesen. Das war schon spannend.“
Bestimmen Abozahlen von Influencern Buchverträge?
Durch ihr Filmstudium konnte Alicia bereits ihren ersten Roman „Traumtänzerin“, welcher im Selfpublishing erschien, verfilmen. „Drehbuchschreiben ist so viel schwieriger als das Buchschreiben. Da musste ich mehrere hundert Seiten in einen zwanzig Minuten Film packen“, erklärt sie. Momentan seien die Filmrechte für die Buchreihe noch nicht vergeben. „Aber wenn es soweit ist, dann würde mich eher die Regie interessieren.“ Es hat sich auch Einiges nach der Veröffentlichung von „Not Your Type“ in einem „richtigen Verlag“ verändert. „Die Leute nehmen mich mehr Ernst und durch einen Verlag habe ich auch mehr Wahrnehmung und auch viel mehr Pressetermine.“ Dass Alicia auch YouTuberin ist, hat ihr bei der Verlagshilfe nicht wirklich geholfen. „Verlage suchen gute Bücher, die Geschichte muss also gut sein“, erklärt sie mir. Dabei atme ich erleichtert kurz auf. Die Abonenntenanzahl kann also noch nicht einen schlechten Schreibstil wegmachen. Das ist beruhigend für die Literaturwelt. „Aktuell suchen Verlage auch vermehrt nach queeren Geschichten. Ich selbst habe mit dem ersten Buch angefangen, weil ich solche Geschichten selbst lesen wollte“, sagt Alicia. Trotzdem kaufe kein Verlag einfach ein Buch, nur weil die Figuren queer sind, weiß sie: „Die Geschichte muss gutgeschrieben sein. Ganz egal, was das Thema ist.“
Liebe wird heute vielfältiger und bunter dargestellt als noch vor wenigen Jahren. Und das ist auch gut so. Schließlich besteht die Gesellschaft auch nicht nur aus heterosexuellen Cis-Beziehungen. „Eine gute Liebesgeschichte hat Menschen, die sich zueinander hingezogen fühlen. Sie hat Knistern, eine gewisse Leichtigkeit“, erklärt Alicia, die momentan auch verlobt ist und durch Corona ihre Hochzeit verschieben musste.
Alicia Zett und ihr Buch "Maybe Not Tonight"
Gendergerechte Sprache in der Literatur
„Ich möchte in meinen Büchern alle Menschen einbeziehen. Da ich der Meinung bin, dass der Doppelpunkt oder das Sternchen den Redefluss stören, arbeite ich mit geschlechtsneutralen Begriffen. Bei Worten wie Freunde schreibe ich einfach Freundinnen und Freunde.“ Noch immer gibt es Diskussionen, dass queere Filme oder Literatur Kinder verwirren würden. „Das ist Quatsch. Niemand wird schwul oder trans, nur weil er oder sie meine Bücher liest. Wenn, dann war das schon immer da.“ Obwohl es dem natürlichem Menschenverstand entspricht, gibt es auch wissenschaftliche Studien, die belegen, dass sich Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung nicht durch die Medien beeinflussen lassen. Es sei der Autorin zudem wichtig, LGBTQ-Mitglieder in ihren Geschichten zu haben: „Die Lebenswelt schließt queere Menschen ganz einfach mit ein.“
Sicherheit, du selbst zu sein
In ihrem Roman „Not Your Type“ geht es um den trans Mann Fynn und seine Kommilitonin Marie. Beide verlieben sich ineinander, doch glaubt Fynn, dass Marie ihn niemals lieben würde. Durch einen Roadtrip nach Italien kommen sie sich näher und man wird in die Gefühlswelten der beiden Hauptcharaktere eingeführt, welche intensiv und bildhaft dargestellt werden. Fynns Selbstzweifel scheinen genauso real, wie Maries Zukunftsängste und zeigen vor allem eines: Es ist normal, sich nicht normal zu fühlen. Ihr Buch „Not Your Type“ ist mitterweile ein Spiegel-Bestseller und auch ihre knapp Zwanzigtausend Instagram-Follower und ihre Vierzigtausend YouTube-Follower fühlen sich von Alicias Büchern verstanden. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, hilflos und anders zu sein. Dass man gegen den Strom schwimmen will“, erzählt die junge Autorin, die selbst ein Outing hinter sich hatte und durch YouTube-Videos viel über die eigene Sexualität gelernt hat, „aber es wird besser. Also schäm dich nicht für das, was du bist.“
Gab es schon immer queere Menschen?
Queere Menschen gibt es seit Anbeginn der Menschheit. Dass es in der Antike ansehnlich war, wenn man mit mehreren Menschen unterschiedlichen Geschlechts zusammen war, haben wir im Geschichtsunterricht aber nicht gelernt. Sappho von Lesbos soll die ersten Gedichte über homosexuelle Liebe geschrieben haben, die im Allgemeinen auch einen positiven Ruf hatte. Sexualität wurde im Mittelalter durch die Kirche anders definiert und die Gesellschaft verbannte den Gedanken an „nicht normale“ Liebe und sah es als Sünde an, jemanden des gleichen Geschlechts zu lieben. Dies ging sogar so weit, dass Gesetze verabschiedet wurden, die homosexuelles Verhalten untersagten. Eines dieser Gesetze war im deutschen Strafgesetzbuch bis 1994 verankert: Paragraf 175 verbot sexuelle Handlungen zwischen Männern. Dieses Gesetz aus der Kaiserzeit von 1872 erkannte lesbische Liebe nicht an. Trotzdem wurden lesbische Handlungen im Einzelfall strafrechtlich verfolgt und wurden als nicht gesellschaftskonform angesehen. Artikel 3 unseres Grundgesetzes lautet: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Und doch gibt es noch immer Gesetze, die dagegen verstoßen, wie das Blutspendeverbot für Homosexuelle oder das Transsexuellengesetz.
Interview: Anni Malter
Bilder: Stavrialena Gontzou und Delia Giandeini von Unsplash, Alicia Zett