freisein.documentary ist ein preisgekrönter YouTube-Kanal, der professionelle Doku-Portraits über besondere Menschen produziert und damit seine Zuschauer inspirieren will. Geld verdient Gründer Nico Reichenthaler damit noch keins. Warum er es trotzdem macht, wie es dazu kam und wie es weiter geht, erzählt er unserem SPIESSER-Autoren Max.
Frei sein wollen wir doch alle irgendwie: Frei von Sorgen, frei von Ängsten, frei von Zwängen – Manchen reicht auch einfach nur schulfrei. Doch der Weg in die Freiheit ist manchmal gar nicht so leicht zu finden. Was da hilft: Inspiration! Genau dafür tritt ein junges Team aus Filmbegeisterten an und ihr Name ist Programm: freisein.documentary.
Das Kollektiv aus vier (immer noch und nicht mehr) Studenten aus Tübingen ist 2017 als Bachelorarbeit von Nico Reichenthaler entstanden. Nico produzierte als Abschluss seines Studiums in Medienwissenschaften eine Dokumentation über die besondere Freundschaft zwischen einem Deutschen und einem Geflüchteten aus Gambia. Dazu hat er sich zunächst Hilfe von seinen zwei Freunden Manu und Stefan geholt, die ihm bei der Produktion unter die Arme griffen. Seit neuestem ist außerdem Severine mit im Team, die sich um die PR und die Social-Media-Kanäle des Projekts kümmert.
Nachdem der erste Film fertig und die Bachelorarbeit abgegeben war, konnte aber irgendwie noch nicht Schluss sein. Das Team um Nico hatte gerade erst Spaß daran gefunden, spannende Menschen zu portraitieren und eigene Dokumentationen zu drehen. Konzipieren, recherchieren, Vorgespräche führen, planen, organisieren, drehen, interviewen, schneiden, bearbeiten. Das alles haben sie zwar in ihrem empirischen Studiengang an der Uni nicht wirklich gelernt, aber der Hunger war geweckt und sie hatten keine Angst, Fehler zu machen. Also hieß es learning by doing.
Das Konzept war klar: freisein sollte Menschen vorstellen, die etwas in ihrem Leben gefunden haben, was sie begeistert und sie erfüllt. „Es ist eigentlich ganz egal, was das ist“, sagt Nico, „es könnte auch der Stadtgärtner sein, der die Verkehrsinseln gießt. Wenn er damit andere inspiriert, ist das auch cool.“ Die Protagonisten stehen absolut im Fokus. Sie werden dabei begleitet, wie sie ihrer Leidenschaft nachgehen. Ihre Stimmen und ausgewählte Musik sind das Einzige, was die Zuschauer zu hören bekommen.
freisein.documentary ist ein bewusster Gegenentwurf zur heutigen Medienlandschaft: Kein Zwang zur Aktualität, keine Betonung des Negativen. „Keine billige Unterhaltung, die man sich reinballert wie Fast Food“, sagt Nico. Die Videos kommen in größeren Abständen heraus und dauern auch länger, als die anderthalb Minuten Aufmerksamkeitsspanne, die der jüngeren Generation ja gern mal attestiert wird.
Allerdings: Wer nicht nach den Regeln spielt, wird auch nicht vom System belohnt. Einige der Dokumentationen von freisein, die vom Look und dem Aufwand gut und gerne Fernsehproduktionen sein könnten, haben nur einige hundert Klicks. Nico sagt, er weiß, wie der YouTube-Algorithmus funktioniert, „aber genau dagegen wollen wir ja ankommen.“ Zur Zeit geht das noch auf Kosten ihrer Reichweite – und auf Kosten von Nico und seinen Freunden, denn sie verdienen keinen Cent mit ihrem Kanal: „Wir arbeiten in unseren Jobs, damit wir an freisein weiterarbeiten können“, sagt der 28-Jährige, der schon mehrere tausend Euro in das Equipment und die Produktionskosten des Kanals gesteckt hat.
Der entscheidende Faktor für einen guten Film ist für Nico die Zeit, die in die Recherche und das Kennenlernen des Protagonisten investiert wird. Den Produktionsprozess erklärt Nico so: „Man kann rechnen, dass sich unser Team eine Woche Vollzeit auf ein Interview vorbereiten. Dabei versuchen wir, den Protagonisten in einem Telefon- oder Skypegespräch schon möglichst gut kennenzulernen und bestenfalls auch mit Freunden oder Verwandten zu sprechen. Dann planen wir drei Tage vor Ort ein. Am ersten Tag quatschen wir nur und lernen uns persönlich kennen. Am zweiten Tag führen wir das Interview, meistens über vier oder fünf Stunden. Wir verbringen wirklich den ganzen Tag zusammen und schauen, was die Person so macht. Am dritten Tag filmen wir dann alles Nötige, damit wir genügend Bilder haben.“ So viel Zeit nehmen sich nicht viele Medienmacher und das wird auch von den Protagonisten wertgeschätzt.
Die Auswahl die Protagonisten trifft Nico meistens nach seinem persönlichen Interesse. „Wenn mich jemand fasziniert, dann kann er das bei anderen auch“, meint er. Wichtig ist ihm nur, dass es noch kein Portrait in dieser Form von der Person gibt und dass sie ins Konzept passt, also das gefunden hat, was sie frei und glücklich macht. So zum Beispiel Benjamin Adrion, der nach seiner Karriere als Fußball-Profi die soziale Organisation Viva con Agua gegründet hat. Der Film über ihn steht als nächstes auf dem Kanal an.
Hat Nico eine Person im Auge, schreibt er sie dann ganz einfach über Instagram an. Große Überzeugungsarbeit ist meistens gar nicht notwendig, denn die bisherigen Filme sprechen für sich. Außerdem wurde der Kanal im Januar mit dem Youlius-Award ausgezeichnet, der jungen YouTube-Kanälen mit starken Inhalten eine größere Reichweite bieten will. Das könnte ein Kick für das Team sein, das seinen Protagonisten durch die Dokus bisher keinen besonderen Image-Boost versprechen konnte.
Der Durchbruch könnte gelingen, sobald ein großer Partner freisein.documentary unterstützt und dem Team auch finanzielle Freiheit ermöglicht. Schon jetzt steht für Nico aber fest: „Das Projekt war definitiv meine Befreiung, mein eigenes ‚freisein‘. Ich habe dadurch gelernt, wo mein Weg hinführen soll.“
freisein.documentary
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