„Kreativ zu sein, gibt mir ein Gefühl von Frieden“
Name: Anna
Alter: 26 Jahre
Wobei tobst du dich kreativ aus? Keramik bemalen, sticken, Crafting
Seit wann: 2019
Was bedeutet Kreativität für dich? „Etwas nur für mich machen“
In der elften Klasse hat Anna ein wenig Bildhauerei gemacht. Ihr Antrieb war der Wunsch, neben der Schule etwas mit ihren Händen zu tun. Als Kind hatte sie nie viel gebastelt und musste erst einmal das Passende für sich finden. Während eines Praktikums in Berlin, ein paar Jahre später, entdeckte sie dann die kreative Ladenkette „Paint Your Style“ und schaute von da an häufiger dort vorbei. Bei Kaffee und guter Musik kann man sich in den Shops Rohlinge aus Keramik aussuchen, diese nach Lust und Laune bemalen und anschließend brennen lassen. Eine Woche später bekommt man dann sein individuell gestaltetes Stück Keramik.
Etwas später hat Anna von einer Freundin das Sticken gelernt und war überrascht, dass es viel leichter ist, als sie früher dachte. Inzwischen ist die Lektoratsvolontärin richtig gut, schaut regelmäßig Stick-Tutorials und mag es, sich Instagram-Posts abzuspeichern oder Stücke zu fotografieren – und diese dann als Inspiration zu verwenden.
Kreativsein für die Seele
Als Anna mit ihrer Partnerin Simone das erste Mal Keramik bemalen war, hat diese an ihr eine ganz andere Seite kennengelernt. Sie hatten sich gegenseitig Tassen bemalt. Und während Anfängerin Simone ihr Keramik-Stück mehr schlecht als recht mit einer Klebetechnik gestaltete und schnell fertig war, gab sich Anna größte Mühe und ging in der Verzierung richtig auf. Auch heute noch liebt Simone die dabei entstandene Tasse sehr: „Es ist so ein persönliches Geschenk!“ Kreativ zu werden gibt Anna ein Gefühl von Frieden. Es lässt sie aus ihrem Alltag entfliehen.
Anna will mit ihrer Kreativität kein Geld
verdienen, denn dann hätte sie den
Druck, perfekt sein zu müssen.
Keramik bemalen – ein Hobby, das nichts nimmt, nur gibt
Beim Keramikbemalen bleibt auf jeden Fall Geld auf der Strecke, denn so eine Tasse kostet etwa 15 Euro. Aber abgesehen davon, verlangt ihr Hobby Anna gar nichts ab. Sie genießt es, dabei ganz nach ihren eigenen Regeln aktiv zu werden. Ihre kleinen, mit viel Hingabe gestalteten Kunstwerke aus Keramik will Anna meistens erst einmal selbst behalten. Ihr geht es dabei nämlich nur um die Zeit, in der sie super fokussiert und sorgfältig daran arbeitet.
Ihre Stücke zu verkaufen, kommt für Anna auch nicht infrage, denn dann hätte sie plötzlich ein produktives Ziel und den Druck, perfekt zu arbeiten.
Sticken – Leidenschaft nach außen tragen
Annas Stickerei einer Vulva oder die Möglichkeit, freche Sprüche zu fertigen, entsprechen nicht dem Klischee des „Oma-Hobbys“ Sticken. Dennoch will Anna eigentlich gar nicht, dass jemand beispiels-weise die gerahmte Stickerei sieht, die ihre Partnerin Simone stolz an ihre Schlafzim-merwand gehängt hat.
Crafting – vielseitig, individuell, nachhaltig
Anna und Simone sind auch Cosplayer-innen. Die Accessoires dafür craften sie am liebsten selbst. Zuletzt haben sie „Plumbobs“ des Games „Die Sims“ für einen Besuch auf der Stuttgarter Comic Con gemacht. Die Herstellung von Ketten und Armbändern steht auch regelmäßig auf dem Plan. Anna findet es einfach schön, ihren ganz eigenen Schmuck zu tragen – außerdem ist es billiger und vor allem nachhaltiger.
Text von Simone Bauer, deren Arbeit an diesem Text direkt zum Anlass für einmal Keramikbemalen mit ihrer Partnerin Anna wurde.
Bewegungskunst ohne Boden unter den Füßen
Name: Fabienne
Alter: 26 Jahre
Wobei tobst du dich kreativ aus? Luftartistik am Vertikaltuch oder am Luftring
Seit wann: 2019
Was bedeutet Kreativität für dich? Hingabe und Im-Flow-Sein
Seitdem Fabienne ihren ersten Klet-terversuch am Vertikaltuch gewagt hat, lässt sie die Begeisterung für Luftartistik nicht mehr los. Zur zirzensischen Diszi-plin der Luftartistik zählt das Vollführen von akrobatischen Figuren am Verti-kaltuch und am Luftring (auch „Aerial Hoop“) genannt. Dabei kommen verschie-dene Klettertechniken, Hängefiguren und sogenannte „Abfaller“ zum Einsatz, die nicht nur schön anzuschauen sind, sondern auch einen großen Spaßfaktor mit sich bringen.
Wie es anfing
Als Teenager probierte Fabienne viele Sportarten aus, von Badminton bis Selbstverteidigung, doch keine davon konnte sie über einen längeren Zeitraum hinweg überzeugen. Der Besuch einer Zirkusshow ohne Tiere, die von einem sozialen Projekt ins Leben gerufen wurde, weckte schließlich ihr Interesse für die Luftartistik. Bis sie dieser Faszination, die sie für die Zirkusdisziplinen empfand, nach-ging, dauerte es jedoch. Erst mit Anfang zwanzig besuchte Fabienne spontan ein offenes Jongliertreffen und wurde darüber zu einem Probe-training in der Luftartistik eingeladen. Dort musste sie schnell feststellen, dass ihr noch die Kraft fehlte, um die Vertikaltuchstränge hinaufzuklettern. Es erschien ihr damals noch unvorstellbar.
Was als Hobby begann, ist für
Fabienne heute Bestandteil
ihres Arbeitsalltags.
Andererseits war dies der Moment, in dem klar wurde: Sie wollte das hier unbedingt weiterverfolgen. Was folgte, waren ein Vision Board mit Bildern von Luftartistik-Künstlerinnen an ihrer Schlafzimmertür, eine Anmeldung zu einem wöchentlichen Luftartistik-Training sowie eine sich immer stärker entwickelnde Begeisterung für diese noch vergleichs-weise ungewöhnliche Sportart.
Glück kann man nicht kaufen, Luftartistik-Stunden hingegen schon
Sich am Vertikaltuch und am Ring auszupowern und dabei neue Figuren und Abfolgen auszuprobieren, ist sowohl sportlich als auch kreativ herausfordernd. Der Action-Faktor durch die „Abfaller“ ein Stück über den Erdboden lässt die Sportart sehr span-nend wirken – nicht nur für das Publikum während einer Show. Für Fabienne macht es einen großen Reiz dieser Sportart aus, zu lernen, den Fähigkeiten des eigenen Körpers zu vertrauen, und dabei die Entwicklung an sich selbst zu beobachten. Ihr Motto dabei: Die Zeit und die Ressourcen, die in die Luftartistik investiert werden, sind eine Investition in sich selbst.
Wenn das Hobby zum Alltag wird
Nach ihrem Studium auf dem Gebiet der Pädagogik entschied sich Fabienne dafür, ihr Hobby zum zweiten beruflichen Standbein zu machen und als Zirkustrainerin mit Schwerpunkt Luftartistik in verschiedenen Hamburger Zirkussen zu arbeiten. Auf diese Weise ist ihre Leidenschaft Bestandteil ihres Alltags geworden, womit sie einige Jahre zuvor überhaupt nicht gerechnet hätte. Zuerst war sie skeptisch, diesen Schritt zu gehen, mit anfänglichen Bedenken im Hinterkopf wie: „Pass auf, dass es ein Hobby bleibt und nicht allein zur Pflicht wird.“ Heute ist Fabienne sehr froh darüber, sich für den Beruf der Zirkus-pädagogin entschieden zu haben. Fabiennes näheres Umfeld hat sie von Anfang an bei ihrem Hobby unterstützt und konnte sich gut vorstellen, dass sie eines Tages in diesem Bereich arbeiten wird. Sogar noch bevor sie sich das selbst vorstellen konnte.
Text von Fabienne Kollien, die sich zu Hause gern an ihren Luftring hängt, wenn sie eine Pause vom Schreiben braucht.
„Zeichnen fühlt sich an wie nach Hause kommen“
Name: Patricia
Alter: 36 Jahre
Wobei tobst du dich kreativ aus? Beim Zeichnen
Seit wann: Eigentlich schon immer
Was bedeutet Kreativität für dich? Kreativität ist für mich eine Überlebensstrategie
Patricia war eigentlich schon immer sehr kreativ – manchmal sporadisch, dann wieder fokussierter. Sie hat ihre kreative Ader früher oft verdrängt, weil sie lieber etwas „Vernünftiges“ machen wollte. Etwas, mit dem sie später auch Geld verdienen kann. Sie wollte am liebsten die Welt retten und hat erst später erkannt, dass ihre Kreativität ihr dabei sogar helfen kann. Nach einer langen persönlichen Krise haben das Zeichnen und Schreiben, beides kreative Prozesse, sie wieder auf den richtigen Weg und zurück zu sich selbst geführt.
Heute weiß sie: Menschen, die kreativ sind, finden auch leichter Lösungen für ihre Probleme. Was sie beim Zeichnen lernt, kann sie auch in anderen Bereichen gut anwenden. Sie weiß zum Beispiel, dass Perspektivwechsel hilfreich sind und viele Dinge ihre Zeit brauchen oder wie man Ablenkungen vermeiden kann und dass man sich selbst Zeitlimits setzen muss, um sich nicht in einer Aufgabe zu verlieren.
Wenn Patricia zeichnet, kann sie ab-
schalten und ist sie ganz bei sich selbst.
Früh übt sich
Die Leidenschaft fürs Malen und Zeichnen entwickelte sich bei Patricia schon früh. Es begann damit, dass sie als Kind viel Zeit mit Stiften und Papier verbrachte. Immer wenn ihre Mutter mal keine Zeit für sie hatte, nach dem Kindergarten, wenn Patricia mit ins Büro durfte, legte sie ihr Stifte und Papier hin. Ihre Mutter arbeitete damals in einem Büro, in dem Pläne geplottet wurden. Wenn die Pläne zugeschnitten wurden, fiel noch ein recht breiter Streifen Restpapier ab, auf dem sich Patricia dann austoben konnte. Auch heute noch geht sie so vor wie damals: Alle Mate-rialien vor sich hinlegen, Radio an, Fenster auf, damit man sich nicht so allein fühlt, und auf geht's.
Warum meine Leidenschaft mich glücklich macht
Für Patricia fühlt sich Zeichnen an, als würde sie nach Hause kommen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie ihre Kindheit dahin gehend geprägt hat. Wenn sie kreativ ist, kommt es ihr weniger auf das Ergebnis an als auf den Schaffensprozess an sich. Zwar gibt es immer wieder Menschen, die ihre Zeichnungen gut finden, aber das ist nicht der Grund, warum sie es tut. Sie kann dabei am besten abschalten und ganz bei sich sein. Und am Ende taucht sie wieder auf und fühlt sich wieder fit für die Welt da draußen.
Was mein Hobby von mir abverlangt
Im Vergleich zum Malen ist das Zeichnen ein geldtechnisch günstiges Hobby. Man braucht prinzipiell keine Ölfarben oder Leinwände. Einfach nur ein paar Bleistifte, vielleicht schwarze Tinte, Kohlestifte, Buntstifte. Aber ein Kuli und ein Stück Papier tun es auch. Schwieriger wird es in puncto Zeit, denn wenn man gerne dabei in sich selbst versinken möchte, sollte man ungestört sein. Dafür muss man sich dann aktiv Zeit nehmen, weiß Patricia.
Was andere über meine Leidenschaft sagen
Patricia hat einen guten Freund, der mit Zeichnungen rein gar nichts anfangen kann. „Wozu zeichnen und malen, wenn man doch Fotos machen kann?“, meint er. Solchen Fragen begegnet sie öfter und hat dann manchmal das Gefühl, ihre Leiden-schaft vor anderen verteidigen zu müssen. Zum Beispiel, wenn sie kein gutes Ergebnis erzielt hat oder sie nicht fertig geworden ist mit einer Zeichnung.
Sie weiß: In solchen Situationen ist es gut, eine passende Antwort parat zu haben. Inzwischen hat sie eine und geholfen hat ihr dabei ein Indologie-Student, den sie mal kennengelernt hat. Sie fragte ihn damals, was er mit dem Studium anfangen wolle (der Klassiker). Seine Antwort machte mächtig Eindruck auf sie. „Weißt du, ich bin Elek-triker und dieses Studium ist im Prinzip nur für meine geistige Vervollkommnung gedacht!“ Endlich hatte sie eine passende Antwort für alle Skeptiker, die mit ihrem Hobby nichts anfangen konnten.
Text von Patricia Linß, die sich für ihre Studienfächer der Kunstgeschichte und Geografie nicht mehr rechtfertigen will.