Ein Drittel der WG ist Frühaufsteher. Mucksmäuschenstill und in stiller Vorfreude auf heißes Nass erfolgt die Morgengymnastik in Richtung Bad. Dort angekommen starrt mich das offene Klo an. Ich als Emanze der WG reagiere absolut allergisch auf geöffnete Klodeckel. Ist wahrscheinlich so ein Frauending. Die Praktikantin wird das wohl nie verstehen.
Doch mit dem Aufdrehen vom Dusch-Hahn verfliegt die Toiletten-Fassungslosigkeit. Warmes Wasser ist eben doch das beste Heilmittel. Egal ob gegen verspannte Journalisten-Nacken oder schlechte Laune. Ewigkeiten später taumeln dann auch die fehlenden zwei Drittel schlaftrunken aus ihren Gemächern.
Treffpunkt Küche
Wir begrüßen den Tag frühstückend. Natürlich am Küchentisch und nun im Kollektiv. David isst Alpen-Müsli, Tatjana bevorzugt Cornflakes aus der magischen XXL-Packung, die nie leer wird. Und ich mags besonders matschig, was heißt: mein Müsli hat die längste Einwirkzeit. Perfekten Matschzustand hat es angesichts fehlender Zeit aber noch nie erreicht. Denn Pünktlichkeit ist oberstes Gebot. Ich bin da pingelig. Der Herr des Hauses bekommt meinen Drill regelmäßig zu spüren. Das Ignorieren meiner mahnenden Worte ist für ihn allerdings mittlerweile schon Tradition geworden. Doch er gelobt Besserung. Was folgt ist Morgensport à la Usain Bolt – unschön für meine enge Jeans, unschön für die Müsli-Verdauung.
Ich sehe was, was du nicht siehst
In der Straßenbahn immer die gleichen faltigen Gesichter. Frischfleisch? Wellness für die Augen? Fehlanzeige! Jüngster Beifahrer ist der 30plus-Schiebermützen-Typ. Der versteckt sein Gesicht seit letzter Woche hinter Buchseiten. Ich vermute dahinter einen „Rasierunfall-kaschieren"-Plan. Sein Sitznachbar nutzt die Fahrzeit für wildes Handy-Getippe. „Wer wohl die horrenden SMS-Kosten bezahlt?“, will ich von David wissen. Der vermutet eine Flatrate. Klingt logisch. Während David seine Aussage mit Rechenbeispielen untermauert, Tatjana ihm staunend zuhört, hält die Straßenbahn vorm Bürogebäude. Die Arbeit ruft: Hallo, ihr drei Fleißigen! Wer weiß, was der Tag für euch heute bringt. Die Routine hat ein Ende.
Anfang gleich, alles gut?
Der Bis-9-Uhr-Alltag in unserer WG ist routiniert. Routine gleich Gewohnheit. Gewohnheiten sind … gut! Denn was auf den ersten Blick stupide erscheint, ist in Wahrheit beruhigend: Solange der Schiebermützen-Typ angestrengt in sein Buch starrt, Jeans beim Sprint hinderlich sind und mich der Klodeckel ärgert, weiß ich: Meine spießige Welt ist in Ordnung.
Fotos: (1) A.Wirth; (2) pixelio.de, Peter von Bechen Teaserfoto: pixelio.de, Benjamin Klack
Was ist eigentlich die SPIESSER-WG? Eine schöne Wohnung mit hübschen Zimmern, Küche, Bad und jungen Menschen, die ein einjähriges Volontariat in der SPIESSER-Redaktion machen.
Was machen die Volontäre in der Redaktion? Sie arbeiten an der gedruckten Ausgabe und an SPIESSER.de. Sie schreiben Artikel, führen Interviews, recherchieren, sind bei Redaktionssitzungen dabei und entscheiden mit, was ins Heft und auf die Startseite kommt. Betreut werden sie dabei von fest angestellten Redakteuren. Wie sich das Leben in den vier WG-Wänden nach Redaktionsschluss gestaltet, fragt ihr sie am besten hier auf SPIESSER.de.
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