SPIESSER Beschäftigungstherapie

Zu Besuch im Reich von Pompfen, Juggs und Mals

Als eine Mischung aus Rugby und Fechten, so könnte man den Sport „Jugger“ ungefähr beschreiben. Doch eine Sportart, bei der man von Steinen und „Mals“ redet und man den Gegner mit großen Stäben mit Schaumstoffenden abwehrt, ist sportlich kaum einzuordnen. SPIESSER-Autorin Lotta hat deshalb einen Nachmittag mit der Heidelberger Jugger-Mannschaft trainiert.

09. December 2019 - 12:19
SPIESSER-Autorin lpommeri.
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lpommeri Offline
Beigetreten: 30.09.2016

„Äh Entschuldigung,“ spricht uns ein Mann an, während wir uns für die nächste Runde bereit machen, „was spielt ihr denn da?“. Ja, denke ich, würde ich hier nicht gerade selbst mit einer Art Baseballschläger aus Schaumstoff stehen, dann würde ich mich das auch fragen. Denn wir, die „Heidelberger Hobbiz“ und ich, spielen „Jugger“. Ein Spiel, das von vielen fälschlich als „Gladiatorenwettkampf“, „Schaukampf“ oder „Mittelalterspiel“ bezeichnet wird. Aber das ist vermutlich die erste Assoziation, die Menschen haben, die am Rande des Spielfeldes stehenbleiben und uns zusehen. Doch auch wenn Jugger aus der LARP-Szene heraus entstanden ist, kann man es längst nicht mehr nur dieser zuordnen.

Um die 100 Mannschaften in Deutschland

Das erste Mal wurde Jugger in Heidelberg gespielt, erzählen mir die Mitspieler der Heidelberger Hobbiz stolz, als wir vor dem Training im Gras der Neckarwiese sitzen. Zwar wurde das Spiel erst in Berlin und Hamburg zu einem richtigen Sport entwickelt, aber immerhin sind die Heidelberger „Hobbiz“ weltweit die älteste Jugger-Mannschaft. Die Idee für den Sport stammt aus dem Film „Jugger – der Kampf der Besten (von 1989)“. Es spielen immer fünf gegen fünf. Das Ziel ist es, den „Jugg“ (eine Art ovaler Ball) in die gegnerische „Mal“ (eine Art Mühlstein aus Plastik) zu stecken. Diese Aufgabe haben die Läuferinnen und Läufer jedes Teams. Nur diese dürfen den Jugg überhaupt in die Hand nehmen. Die anderen vier Personen des Teams beschützen die Läuferinnen und Läufer mithilfe der sogenannten „Pompfen“. Es gibt fünf Arten von Pompfen, unter anderem den (bis zu) 2m langen „Q-Tip“, die 85cm lange „Kurzpompfe mit Schild“ oder die 3,20m lange „Kette“. Jeder Spielende sucht sich die Pompfe aus, mit der man am besten zurechtkommt. Nur die Kette darf es nur einmal pro Team geben.


3-2-1-Jugger ist der Schlachtruf nachdem alle losstürmen.

„Such dir einfach mal den Pompfen aus, der dir am besten gefällt,“ sagt Sebastian zu mir, nachdem er mir die Spielregeln erklärt hat. Ich entscheide mich für den Q-Tip, den ich vor allem seiner Bezeichnung wegen und weil er wirklich wie ein überdimensionales Q-Tip aussieht, lustig finde. Johann, ein anderer Mitspieler der Heidelberger Hobbiz, schnappt sich eine Kurzpompfe und wir „pompfen“ erstmal. Das heißt, wir versuchen uns gegenseitig mit den Schaumstoffteilen dieser Sportgeräte zu treffen. Das ist gar nicht so einfach, merke ich schnell, denn ein Treffer zählt nur, wenn beide Hände am Halterohr der Pompfe sind. Nach einigem Ausprobieren entscheide ich mich schlussendlich für die Kurzpompfe, das Sportgerät, das man auch als Baseballschläger beschreiben könnte.

Rasenschach

Und dann steht mir auch schon mein erstes Spiel bevor. Zum Start stellen sich beide Teams gegenüber am Spielfeldrand auf. Ich entscheide mich erstmal für eine äußere Position, um nicht gleich im Getümmel zu sein, doch lange kann ich nicht darüber nachdenken. Nach dem Ruf „3…2…1…Jugger“ rennen wir alle in die Mitte des Spielfeldes (wo auch der Jugg liegt). Ich probiere meinen gegenüberstehenden gegnerischen Mitspieler mit meiner Pompfe zu treffen, scheitere aber und werde von ihm getroffen. Wurde man, wie ich, getroffen, muss man sich auf den Boden setzen und 5 Steine (ein Stein sind 1,5 Sekunden, diese werden über einen Lautsprecher an Spielfeldrand verdeutlicht) aussetzen. Dabei muss man die Pompfen und, wenn man gerade den Jugg hat auch diesen, neben sich auf den Boden legen. So sitzen Spieler immer wieder während andere sich Strategien zu brüllen. Kaum habe ich wirklich verstanden was vor sich geht, hat der Läufer des gegnerischen Teams den Jugg in unsere Mal platziert. Ein Punkt für die anderen und wir laufen alle zurück zum jeweiligen Spielfeldrand. Ich merke schnell wie strategisch das Spiel ist. Während wir am Rand stehen und uns für die nächste Runde bereit machen, werden Vorgehensweisen besprochen. Es werden Linien, wie nach vorne gelaufen werden soll, ermittelt und gegnerische Spieler anvisiert, die besonders stark sind und möglichst schnell zum Pause machen gezwungen werden sollten. Ich verstehe erstmal wenig, komme in der nächsten Runde aber trotzdem schnell ins Schwitzen. Zweimal 100 Steine geht ein Spiel (also circa zweimal zwanzig Minuten).


Simon mit seinem selbst gebastelten
Schild und seiner Kurzpompfe.
Jugger: Geschick, Taktik und Teamplay

Zwischen zwei Spielzügen frage ich Johann, warum er Jugger so mag. Er komme eigentlich vom Fechten, erklärt er mir, doch da hatte ihm das Gemeinschaftliche sehr gefehlt. Mit seiner Schwester kam er dann zu Jugger und freute sich, dass beide einen Sport gefunden hatten, den sie zusammenspielen konnten. Durch die unterschiedlichen Pompfen konnte jeder seine eigene Position im Spiel finden. Und Sebastian erklärt: „Es ist einfach eine super Community, der Ton auf dem Feld ist rau und laut, trotzdem wird Fairplay großgeschrieben und nach einem Spiel geht man auch gerne zusammen etwas trinken.“ Und schlussendlich: Es macht einfach Spaß. Das merke ich auch. Mit ein bisschen Selbstironie auf dem Platz ist das ganze zwar ein sehr ernst gemeinter Sport, aber ab und zu auch einfach lustig.

 

Text und Bilder: Lotta Pommerien
 

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