Streit um die Abendplanung? Nicht sonntagabends: Da sitzen die Studenten vereint vorm Fernseher und schauen Tatort. Durchschnitts-Krimis sind nämlich ein Event.
Fünf Jugendliche in einem Resozialisierungs-Camp im Wald: Tom, Murat, Panne, Baby und Sascha. Sie bringen ihren Betreuer um, flüchten und nehmen eine Kriminalkommissarin als Geisel.
Aber durch das anstrengende Wandern im dunklen Wald und die schwierigen Beziehungen innerhalb der Entführer-Opfer-Gruppe wirds kompliziert. Doch zum Schluss geht es der Kommissarin wieder gut und sie kann Risotto essen. Klingt irgendwie doof? Ist aber ein Tatort-Plot.
Gruppenzwang
Und der steht unter Sonderschutz. Tatorte sind nicht doof, sondern Pflicht für jeden richtigen Studenten. Ob Zehneroder Zweier-WG, Physiker oder
Grundschullehrer, Erstsemester oder Langzeitstudent – der Tatort vereint sie alle.
Und nur gucken gilt nicht. Es wird vorbereitet, ausgebreitet und drüber „diskutiert“.
Nur worüber eigentlich? Über die vier Gesichtsausdrücke, zwischen denen die Kommissare wechseln? Die raffinierten Schnitte? Die witzigen Dialoge? Oder etwa die TITEL? Neben lyrischen wie „… es wird Trauer sein und Schmerz“ oder
Kinderliedanleihen á la „Schlaf, Kindchen, schlaf“ gewinnen bei den Produzenten meist nüchternelegante Titel wie „Unschuldig“, „Ausweglos“ und „Hilflos“.
Nichts geht über den Tatort
Sonntagabend hocken sie alle vor
der Glotze
Ich bin auch unschuldig und hilflos, stehe ich doch der ausweglosen Situation gegenüber, meine Sonntagabende alleine zu verbringen. Weil alle anderen damit beschäftigt sind, Jan-Josef Liefers witzig zu finden.
Seltsamerweise höre ich als Außenseiter montags dann Sätze wie diese: „Na, der Tatort gestern war nicht so toll.“ Wie, gestern war nicht so toll? Es bleibt ein Trockeneis-Nebel-verhülltes Rätsel: Meine Kommilitonen verweigern den Sherlock- Holmes-Film, weil der zu Mainstream ist und vergießen nach der Sneak-Preview viele, viele Tränen ob der Schlichtheit des Drehbuchs. Und den Sonntagabend haben sie nur frei, wenn ein „Polizeiruf“ kommt, denn der ist ja bekanntlich richtig schlecht. Halt so ein Fernseh-Krimi. Ne deutsche Produktion eben.
Gewohnheitssache
Am Tatort hingegen halten sie fest wie Ertrinkende am Strohhalm. Gut, man kann mit dem Spaß-Faktor kommen. Es ist natürlich lustig, einen schlechten Film zu gucken.
Aber sich voll Schadenfreude dem Tatort hingeben, das habe ich bisher in keiner der WGs erlebt, deren Brauchtumspf lege ich beiwohnen durfte.
Auch der Begriff „Kultur“ wird zur Verteidigung gern bemüht. Aber ich möchte mal wissen, wer sich zu seiner Oberstufenzeit sonntagsabends zu dritt, zu viert, zu acht getroffen hat, um Tatort zu gucken. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir bis zu einem gewissen Alter „Schlag den Raab“ gesehen und uns darüber am Montag ausgetauscht. Den Tatort haben unsere Eltern geschaut, und sich darüber mit den Nachbarn unterhalten.
Vielleicht ist es also einfach ein Stück Zuhause, was da gehegt wird. Ein Zuhause, das in erster Linie für Erwachsene über 40 steht, für Kontinuität, geteilte Werte und Verlässlichkeit. Wie beruhigend in dieser scheußlichen Welt voller Polizistinnenmörder, Bluthochzeiten und stillen Wassern.
Text: Alina Doht
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