Renée, 25 Jahre, leidenschaftliche Schwimmerin: „Es war immer ein Alptraum“
Jedes Jahr im Hochsommer, am wahrscheinlich einzigen heißen Tag des norddeutschen Sommers, war es wieder soweit: Bundesjugendspiele. Dazu musste sich die gesamte Schule auf einem Sportplatz versammeln und nacheinander in den Disziplinen Laufen, Werfen und Springen antreten. Da es nicht viele Sprunganlagen gab, bildete sich immer eine lange Schlange und man musste vor den Augen aller antreten. Eine Situation, in der ich mich immer extra ungeschickt anstellte.
Aber der schlimmste Moment kam erst noch, denn es gab ja noch die Urkundenverteilung: Alle Klassen versammelten sich auf dem Schulhof und dann wurden die Schüler nach Leistung aufgerufen, um sich ihre Sieger-, Ehren-, oder – in meinem Fall – Teilnahmeurkunde abzuholen. Natürlich mit öffentlicher Verkündung der Punktzahlen. Peinlicher ging’s echt nicht mehr. Auch wenn Sport gesund ist und Misserfolge zum Leben dazugehören, ist das Konzept der Bundesjugendspiele veraltet und gehört dringend umgestaltet. Die Bundesjugendspiele stammen aus der Weimarer Republik, entwickelt von einem Mann namens Carl Diem, der Sport als „freiwilliges Soldatentum“ bezeichnete und den Sportunterricht in der Schule als Vorbereitung auf den Krieg verstand. Das Konzept des Sportunterrichts hat sich seitdem geändert, die Bundesjugendspiele leider nicht. Befürworter argumentieren, dass durch den Wettkampf der Ehrgeiz junger Leute geweckt wird und sich auch überraschende Sieger durchsetzen können. Aber ehrlich: In meiner gesamten Laufbahn von Bundesjugendspielen gab es an unserer Schule keinen einzigen „Überraschungssieger“. Ein Wettkampf, der von vornherein entschieden ist, ist kein Wettkampf.
Dieser Tag hat mir sämtliche Lust an Sport genommen. Und dabei bin ich nicht unsportlich! Ich kann ziemlich gut schwimmen, andere Leute in meiner Klasse haben ihre Begabung für klassischen Tanz oder Kanupolo entdeckt. Sie sind sportlich und gesund, obwohl sie nicht besonders weit springen können. Sport mag wichtig sein, aber jeder sollte den Sport machen dürfen, für den er gut geeignet ist und der ihm Spaß macht, anstatt vor der ganzen Schule vorgeführt zu werden. Albert Einstein soll gesagt haben: „Jeder ist ein Genie! Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.“
Teaserbild: Claudia Wehner
Martina, 23 Jahre, Wort-Out-Lieberin: „Bewegung ist so wichtig“
Vor etwa einem Jahr löste der Tweet einer Mutter aus Konstanz eine Debatte aus: Ihr Kind hatte bei den alljährlichen Bundesjugendspielen nur eine Teilnehmerurkunde bekommen. Die Mutter forderte, den Wettkampf abzuschaffen – und erntete eine Menge Beifall. Die Bundesjugendspiele werden einmal im Jahr an deutschen Schulen und Auslandsschulen ausgetragen. Seit über sechzig Jahren. Mathearbeiten werden wesentlich häufiger geschrieben. Trotzdem habe ich kein Trauma davongetragen.
Es ist doch erwiesen, dass Kinder immer bewegungsfauler und unfitter werden. Das ist sicher auch auf den hohen Medienkonsum zurückzuführen. Ein gewisser Druck kann deshalb durchaus positive Auswirkungen haben: Verpflichtende Sportveranstaltungen wie die Bundesjugendspiele regen dazu an, sich mit gemeinsamer körperlicher Aktivität und einem gesunden Lebensstil auseinanderzusetzen. Letztlich profitiert also jeder davon. Gerade bei jungen Menschen ist Bewegung extrem wichtig. Sie beugt Übergewicht vor, trainiert die Muskulatur, stabilisiert das Knochengerüst und schützt vor Haltungsschäden. So leistet sie einen wichtigen Beitrag zu Gesundheit, mehr Beweglichkeit, aber auch Ehrgeiz und Durchhaltevermögen.
Für mich waren die Bundesjugendspiele immer der Höhepunkt des Schuljahres. Nicht nur, dass ich einfach Spaß am Laufen, Werfen und Springen an der frischen Luft hatte – der Klassenzusammenhalt wuchs durch einen solchen Tag einfach ungemein. Wir hatten lange für dieses Event trainiert, wir feuerten uns gegenseitig an, wir wollten, dass jeder Spaß hat – und schließlich bekam jeder seine Urkunde. Das war doch gerade das, was uns alle anspornte: Der Teamgeist wurde genauso gefördert wie das Arbeiten an den eigenen Leistungen. Natürlich gab es Bessere und Schlechtere. Aber ist das nicht überall so? Jede Herausforderung, die sich uns im Leben stellt, meistern wir mal gut, mal weniger gut. Wenn es beim ersten Mal nicht so gut klappt, läuft es beim nächsten Mal eben besser. Wo könnten wir das besser lernen als bei spielerischen Wettkämpfen mit unseren Freunden?!