Religionsunterricht ist an allgemeinbildenden Schulen fester Bestandteil des Unterrichtsplans. Aber braucht es das überhaupt noch? SPIESSER-Autor Tom und -Autorin Anja sind diesbezüglich unterschiedlicher Ansichten und tragen ihre wichtigsten Argumente in einem Pro & Contra für euch zusammen.
Die große Frage lautet: Braucht es Religionsunterricht in öffentichen Schulen?
„Religionsunterricht ist das Spielfeld für Toleranz“
Zugegebenermaßen ist der Religionsunterricht wohl nicht das anspruchsvollste Fach in der Schule. Während in Mathe oder den Naturwissenschaften nur harte Fakten zählen, gibt es im Unterrichtsfach Religion kein Richtig oder Falsch. Aber macht es diese Tatsache wirklich weniger wert? In der Philosophie oder vielen anderen angesehenen Geisteswissenschaften ist es schließlich nicht anders. Es gibt nun mal nicht immer die eine Wahrheit, sondern unterschiedliche Ansichten. Und das ist auch gut so.
Eines darf man außerdem nicht vergessen: Wenn jemand wirklich überhaupt nichts mit dem Religionsunterricht anfangen kann, hat er oder sie in Deutschland die Wahl, alternativ ein Fach wie Ethik oder Werte und Normen zu belegen. Im Vergleich zu eher unbeliebten Fächern wie Mathe sind das ja nahezu luxuriöse Zustände.
Hinzukommt, dass nicht irgendein Gesetz, sondern unsere Verfassung den Religionsunterricht in öffentlichen Schulen vorschreibt. Konkret heißt es im Grundgesetz Art. 7, Absatz 3: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.“ Nun könnte man meinen, dass Religionsunterricht ist an allgemeinbildenden Schulen fester Bestandteil des Unterrichtsplans. Aber braucht es das überhaupt noch? SPIESSER-Autor Tom und -Autorin Anja sind diesbezüglich unterschiedlicher Ansichten und tragen ihre wichtigsten Argumente in einem Pro & Contra für euch zusammen. unsere Verfassungsväter halt noch sehr religiös waren. Das mag der Fall sein.
Religion aus dem Lehrplan zu streichen, wird aus meiner Sicht auch der heutigen gesellschaftlichen Realität nicht gerecht. Religion prägt auch heute noch weltweit das Leben von Milliarden von Menschen. Und das Tag für Tag. Selbst in Deutschland gibt nur knapp über ein Viertel (26,9 %) der Bevölkerung an, nicht gläubig zu sein (Eurobarometer- Umfrage von 2018). Auch wenn das für manche nur bedeutet, an Weihnachten oder Ostern in den Gottesdienst zu gehen. Religion ist fast überall. In der aktuellen Außenpolitik, in der Historie, im Städtebau und sogar in unserem Kalender. By the way, wir haben gerade das Jahr 2021 „nach Christus“!
Es mag sein, dass vieles nur noch Symbolik ist. Aber egal, wie man zum Glauben steht, man sollte die Basics wissen. Warum feiern wir in Deutschland Ostern oder Weihnachten? Was hat es mit Pfingsten auf sich? Und diese Basics vermittelt nun einmal der Religionsunterricht.
Außerdem sind wir trotz unserer modernen Wissenschaft in den zentralen Fragen des Lebens nicht wirklich schlauer. Was ist der Sinn des Lebens? Was kommt nach dem Tod? Der Religionsunterricht bietet den Rahmen für junge Erwachsene, sich darüber auszutauschen – und das auch kritisch und kontrovers. Jede Position, die eines Atheisten, Agnostikers, Christen oder Muslims oder Anhängers einer anderen Religion, hat ihre Berechtigung.
Wenn man schon nicht den Religionsunterricht als Bestandteil des Unterrichtsplans tolerieren kann, wie kann man dann die Weltanschauungen anderer Menschen im Alltag vorurteilsfrei tolerieren? Ich finde, die Frage sollte bei allem sein: Macht mich meine Religion oder meine atheistische Einstellung toleranter oder intoleranter? Religionsunterricht ist aus meiner Sicht das Spielfeld für Toleranz. Hier können Schülerinnen und Schüler üben, eine Haltung zum Glauben zu artikulieren und Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Unabhängig davon, was sie nun genau glauben – oder eben auch nicht glauben.
Text von Tom Albiez, 24, hat früher im Religionsunterricht einen Vortrag über Religionsgründung gehalten, ist mittlerweile aber Christ.
Teaserbild: Paula Kuchta
„Religionsunterricht, in dem Meinungen als Wahrheiten verkauft werden, hat an staatlichen Schulen nichts verloren“
Kindern und Jugendlichen sollen im Religionsunterricht Werte vermittelt werden, die nichts mit trockenem Wissen zu tun haben – schön und gut. Aber braucht man dafür wirklich den vorgelegten Religionsunterricht? Schule ist schließlich ein Ort des Wissens und nicht des Glaubens. Die alleinige Wissensvermittlung kann auch in einem Wahlfach Religion erfolgen.
Glaube soll doch eigentlich was Schönes sein und Menschen zusammenführen. An staatlichen Schulen führt das, angefangen mit dem Morgengebet zum Kreuz, bei dem grundsätzlich alle mitbeten sollen, aber eher zur Spaltung und Splittergemeinden. Das kann für die jungen, formbaren Menschen aus meiner Sicht zum Verhängnis werden. Jugendliche befinden sich schließlich in einer Phase des „Religionsunterricht, in dem Meinungen als Wahrheiten verkauft werden, hat an staatlichen Schulen nichts verloren“ Lebens, in der sie eigene Meinungen und Einstellungen bilden.
Religion ist Privatsache und kann genauso gut auch außerhalb der Schule, bspw. in Kirchengemeinden, kennengelernt werden. Menschen finden im Glauben Halt und beten aus Überzeugung zu Gott, Noten und Auswendiglernen sind hier Fehl am Platz. Religion ist etwas, das nicht einheitlich gemessen werden kann. Und darum geht es doch schlussendlich im Unterricht, oder nicht? Junge Menschen sollen an die Bibel und den Glauben herange führt und dabeigehalten werden. Was ihnen dabei verwehrt bleibt, ist die Möglichkeit, selbst aus freien Stücken zum Glauben zu finden. Sie werden aus meiner Sicht manipuliert, vorgefertigte Meinungen und Werte anzunehmen und pseudozuvertreten, um es in die nächste Klasse zu schaffen. In den USA beispielsweise gibt es keinen Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Auch Kirchensteuer hat hier keinen Platz, denn die Trennung von Kirche und Staat ist elementar. Und dennoch erfährt in keinem anderen Land der Glaube mehr Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit als dort.
Der klassische Religionsunterricht, wie wir ihn kennen, betrachtet in der Regel nur das Christentum und schneidet (wenn überhaupt) die anderen vorhandenen Weltreligionen nur an. Hinsichtlich der mittlerweile viel bunteren Kultur, die es in Deutschland gibt, ist es daher notwendig, alle Religionen zu berücksichtigen und wertungsfrei zu unterrichten. Selbst das Separieren zwischen katholisch und evangelisch, die ja eigentlich dieselbe Religion repräsentieren, begünstigen eine Spaltung der Gesellschaft. Um zur besseren Integration beizutragen, sollte jede Person mit ihren kulturellen Wurzeln e rnst genommen und unterstützt werden, den eigenen Glauben zu finden.
Im Religionsunterreicht werden – orientiert an der Bibel – häufig veraltete, konservative Werte vermittelt, die junge Erwachsene abschrecken. Gemessen an den Kirchenaustritten wird es daher Zeit, zeitgemäßer zu lehren und die Kinder und Jugendlichen mehr abzuholen. Der Religionsunterricht hat die Anpassung an die heutige, wandelbare, digitalisierte und bunte Gesellschaft komplett verfehlt und bremst somit motivierte junge Erwachsene aus, ihre individuelle Position und ihren Wert in vielleicht einer für sie passenden Weltanschauung und Glaubensrichtung zu finden.
Sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für die Gesellschaft wäre es ein beachtlicher Fortschritt, wenn in der Schule allgemeine Wertebildung an die Stelle konfessioneller Werteerziehung treten würde. Hierbei sollte das institutionelle Eigeninteresse der Religionen nicht den pädagogischen Auftrag in den Schatten stellen.
Text von Anja Lukassek, 25, ist mit dem Ehrenamt als Ministrantin in einem katholischen Umfeld groß geworden und ist heute Mitglied einer freievangelischen Kirche.