Wir stehen, kurzes Rollen, dann wieder stehen. Wo ich bin? Auf der Landstraße nach Chemnitz. Warum? Um dem Aufruf von Kraftklub zum Konzert #wirsindmehr zu folgen. Endlich angekommen, laufe ich vorbei am Nischel hin zu dem großen Platz nahe des Hauptbahnhofs der ehemaligen Karl-Marx-Stadt.
26. September 2018 - 08:54 SPIESSER-AutorIn Marie Gneuss.
Bunt bemalt, mit Plakaten und Regenbogenflagge tanzen die Menschen aus ganz Deutschland schon auf den Straßen. Und auch an diesem – gerade an diesem – Tag legen sie für den in Chemnitz Getöteten Blumen an die Gedenkstelle. Um 17 Uhr wird es dann ruhig. Die Schweigeminute ist Zeichen des Erinnerns an das Grauen der Tat. Sie zeigt, worum es heute wirklich geht: Um den Glauben an unseren Rechtsstaat und unsere freiheitliche Demokratie. Nicht der Glaube an Hass und Gewalt gegen Menschen bestimmen dieses Konzert, wie es bei anderen Protesten, die hier in den letzten Tagen das Stadtbild bestimmten, so oft war.
Laut Tagesschau waren bei dem Konzert 65.000 Menschen
Für Liebe und Mitgefühl
Dafür stehen die hier Versammelten – sei es der Vater mit seinem kleinen Kind, Punks mit rot gefärbten Haaren oder die Großeltern mit ihren Enkeln. Die Menschen sitzen auf Haltestellen, in Bäumen oder auf dem Hochhausdach. Sie eint der Gedanke an den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und die Grundrechte eines jeden Menschen. So heißt es groß an einer Häuserfassade: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Nach dem Schweigen erklären Redner verschiedener Bündnisse, dass eine Spenden- Box rumgeht. Die eine Hälfte komme den Angehörigen des Opfers und die andere der Finanzierung von Aktionen gegen rechts zugute.
Musik und klare Worte
Ja und dann geht es los. Die Musik laut, die Stimmung gut – der Sänger Trettmann kommt auf die Bühne. Die Menschen jubeln. Hier und da steigen Luftballons in den Himmel und Deutschlandfahnen mit rosa Herzen schwingen in der Luft. Hier sieht man ein ganz neues Schwarz, Rot, Gold – ein schönes und warmes. Nach 30 Minuten Hip-Hop gegen Hetze kommen die Punker von „Feine Sahne Fischfilet“. Sie spielen für die Leute, die sich „nicht diesem scheiß Rechtsruck anschließen“. Und die Leute johlen. Und das Johlen hört nicht auf als sich KIZ mit klaren und provozierenden Texten gegen Ausländerfeindlichkeit anschließen.
Die PACE-Regenbogenfahne ist ein Symbol
für die internationale Friedensbewegung
19:15 ist schließlich die Band des Abends da: Kraftklub begrüßen ihre Heimatstadt und erinnert daran, dass niemand Nazi sein muss. Frontmann Felix Brummer spricht aus, was alle zu denken scheinen: Dieser Montag wird nicht alle Probleme lösen, aber es ist gut, „nicht das Gefühl zu haben, alleine zu sein“. Nachdem Marteria mit seiner tiefen und Casper mit seiner noch tieferen Stimme erklären, immer noch „keinen Bock auf Nazis zu haben“, zeigt auch Nura von SXTN ihren Mittelfinger gegen Faschismus.
Das größte Highlight kommt aber noch: Der gemeinsame Auftritt des Altrockers Campino mit den Beatsteaks und sogar Rodrigo González von „Die Ärzte“ zum Lied „Schrei nach Liebe“. Das war schließlich wirklich der Beweis dafür, dass an diesem Tag „Geschichte geschrieben“ worden sei, so Casper. Über 65 000 Menschen sind dem Ruf der Chemnitzer Band gegen Rassismus gefolgt. Sie kamen zusammen und haben gezeigt, wie aufregend und bunt unsere Welt doch sein kann.
Text: Marie Gneuß Fotos: Janine Kaufer
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