Wenn du neben Angela Merkel einen Menschen aus der Politik nennen sollst, der oder die in Sozialen Netzwerken aktiv ist – fällt dir da jemand ein? Denkst du vielleicht – so wie ich – direkt an Donald Trump? Der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten ist schließlich berüchtigt für seine Twitter-Eskapaden: Im Sozialen Netzwerk mit dem blauen Vögelchen wetterte er über die angeblich manipulierte US-Wahl, schob China die Schuld an der Corona-Pandemie in die Schuhe und zog über alles und jeden her, der es wagte, ihn zu kritisieren. Und ebenfalls über Twitter stachelte er im Januar 2021 tausende Anhänger zu einem Sturm auf das Capitol Building in Washington D.C. an, bei dem fünf Menschen starben. Bevor er zum 45. Präsidenten der USA wurde, war Trump Unternehmer, Millionär und Reality-TV-Star mit keinerlei Vorerfahrung in der Politik – dass er sich nicht wie ein würdevoller Staatsmann verhalten würde, war da irgendwie klar. Was ich mich immer gefragt habe: Warum nimmt niemand Trump das Handy weg, wenn er sich daran macht, mal wieder 280 wütende Zeichen einzutippen und mit einem nuklearen Angriff auf Nordkorea zu drohen (ja, auch das hat er wirklich getan)? Gehört es sich für einen Politiker, in den sozialen Medien so umtriebig zu sein? Immerhin hatte der besagte Capitol-Angriff endlich Folgen: Trumps Twitter- und Facebook-Account wurden gesperrt.
Barack Obama hat übrigens seit 2012 einen Instagram-Account, die deutsche Bundeskanzlerin seit 2015.
Donald Trump ist natürlich ein Negativbeispiel für das Zusammenspiel von Politik und Social Media. Durch seine Tweets bringt er zwar einerseits öffentliche Diskussionen ins Rollen – er gießt aber auch Öl ins Feuer und verbreitet sehr umstrittene Positionen. Dass Politik in den sozialen Medien überhaupt stattfindet, dafür ist übrigens sein Vorgänger Barack Obama verantwortlich. Der ehemalige US-Präsident sorgte mit seinem erfolgreichen Social-Media-Stimmenfang während der Präsidentschaftswahl von September bis November 2008 für weltweites Aufsehen, auch in Deutschland: Die Grünen zogen nach und twitterten ab Oktober 2008, CDU und SPD dann ab Januar 2009. Dass Politiker und politische Parteien in den sozialen Medien aktiv sind, ist heute gang und gäbe, von Brasilien bis Thailand! Barack Obama hat übrigens seit 2012 einen Instagram-Account, die deutsche Bundeskanzlerin seit 2015.
Unser Gesundheitsminister Jens Spahn beispielsweise hat bei Instagram 131.000 Follower und postet täglich Fotos und Videos. Seit Juni 2018 ist er aktiv. Man sieht ihn bei seiner Arbeit als Politiker: Schnappschüsse aus dem Bundestag, Backstage-Bilder von Talkshow-Auftritten, Fotos von Spahn im Gespräch mit Bürgern. Außerdem geht er regelmäßig „live“: Dann spricht er mit Influencern wie Louisa Dellert oder beantwortet Fragen von Followern. Derzeit geht es in diesen Gesprächen oder Fragerunden hauptsächlich um die Corona-Pandemie, die Texte im Feed enden mit Hashtags wie #ZusammenGegenCorona oder #Impfung. Aminata Touré von den Grünen wiederum postet bei Instagram nicht nur professionell aussehende Fotos in Anzug oder Hemd wie Jens Spahn, sondern auch lockere Selfies mit politik-bezogenen Bildtexten – sie ist um einiges jünger als der Gesundheitsminister, traut sich mehr und spricht mit ihrer Art ein jüngeres Publikum an.
Soziale Medien als direkter Draht zum Wähler ‒ das hat nicht nur gute Seiten
Cool, wenn man einem Minister seine Frage direkt unters Foto tippen kann – oder? Ein direkteres Sprachrohr zwischen Politikern und Bürgern gab es noch nie. Das ist praktisch, da es das Gefühl von Nähe und Kommunikation auf Augenhöhe vermittelt. Das gefällt der Community! Es schafft Vertrauen – und sichert so auch Stimmen für die nächste Wahl.
Aber dieses Vertrauen kann auch gefährlich sein. Und zwar dann, wenn politische „Influencer“ ihr millionenstarkes Social-Media- Publikum mit Informationen versorgen, die nicht stimmen.
Bürger können die sozialen Medien nutzen, um Veränderung herbeizuführen.
Ein Beispiel ist Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. Er ist dafür bekannt, die Gefährlichkeit des Corona-Virus zu leugnen. Als er sich im Juli 2020 selbst mit dem Virus infiziert, geht er jeden Tag seiner Erkrankung bei Facebook „live“ und nimmt vor laufender Kamera das umstrittene Medikament Hydroxychloroquin ein – eigentlich ein Malaria-Gegenmittel, dessen Wirkung gegen das Corona-Virus nicht wissenschaftlich belegt ist. In den Kommentarspalten unter seinen Facebook-Beiträgen wird Bolsonaro dennoch wie ein Held gefeiert und in seinen Ansichten bestärkt. 14 Millionen Abonnenten schauen zu und lesen mit.
Auch Bürger sind „Influencer“
Die Macht der sozialen Medien können nicht nur „die da oben“ für sich ausnutzen – es funktioniert auch andersherum: Bürger können die sozialen Medien nutzen, um Veränderung herbeizuführen. Zum Beispiel, wenn das Video einer jungen Schwedin bei einer UN-Klimakonferenz, bei der sie den Politikern so richtig auf die Füße tritt, millionenfach geklickt und geteilt wird. Genau, ich spreche von Greta Thunberg und Fridays For Future. Greta hat seitdem auf der ganzen Welt mit anderen jungen Menschen gestreikt, Politiker getroffen, weitere Klimakonferenzen aufgemischt und Millionen Menschen mobilisiert. Hätten sich das Video und der Hashtag nicht so rasant unter den vielen jungen Menschen in den Sozialen Netzwerken verbreitet – wer weiß, ob Gretas Message dann jemals so eine Macht gehabt hätte?
Auch in Thailand spielen die sozialen Medien eine große Rolle bei den derzeitigen Veränderungen im Land. Seit Juli 2020 finden dort regelmäßig Demonstrationen in einem Ausmaß statt, das es vorher in dem Land nicht gab: Das Volk fordert eine Abschaffung der Militärdiktatur, eine Reform der Monarchie und der Verfassung. Der Widerstand braute sich in den sozialen Medien zusammen: Während des ersten Corona-Lockdowns im April 2020, als die Menschen verstärkt online kommunizierten, bildete sich auf Facebook eine Gruppe mit über zwei Millionen Mitgliedern, in der sich der Widerstand formierte. Im Netz fanden die Menschen Wahrheiten, die von den Staatsmedien verschwiegen wurden. Dabei ist das Aufdecken und Kritisieren in Thailand eigentlich unmöglich: Der König ist das Staatsoberhaupt und ernennt die Minister, ist also eine politische Figur. Laut Verfassung ist Kritik am König aber verboten und kann mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Der 29-jährige Pai Jatupat Boonpattararaksa saß über zwei Jahre im Gefängnis, weil er eine kritische News-Meldung von BBC Thai über den König Rama X bei Facebook weiterverbreitete. Heute kämpft Jatupat an der Spitze der Proteste gegen dieses Gesetz und die gesamte Regierung. Mindestens zwei Millionen Menschen stehen jetzt hinter ihm. Auf den Straßen marschiert er mit Tausenden anderen, die sich nicht länger den Mund verbieten lassen wollen.
Der Widerstand braute sich in den sozialen Medien zusammen.
Politiker-Memes und Minister-Shitstorms In Deutschland schließt die Meinungsfreiheit zum Glück ein, dass wir über Politiker wettern können, so viel wir möchten – und ja, uns auch über sie lustig machen dürfen. Politiker machen sich in den Sozialen Netzwerken angreifbar. Vor allem dann, wenn sie die Kommentarfunktion nicht sperren. Beispiel gefällig? NRW-Ministerpräsident Armin Laschet berichtete im April 2020 in einem Instagram-Video über ein Gespräch zwischen Bund und Ländern, in dem man sich auf einen Plan für eine schnelle Schulöffnung nach dem Corona-Lockdown geeinigt hatte. Es folgte ein Shitstorm: Vor allem Schüler attackierten Laschet unter dem Post mit Sprüchen wie „Ich hoffe, dir rutscht der Ärmel beim Händewaschen runter“. Noch harmlos und irgendwie witzig. Aber es gab auch Kommentare wie: „Möge mein Köftespieß dich aufspießen“ oder „Du Hund“. Laschet wurde kritisiert, weil er Bildung über die Gesundheit stellte. Außerdem fühlten sich Abiturienten im Stich gelassen, da sie nun Prüfungen schreiben mussten, für die sie sich wegen der vorausgegangenen Schulschließungen nicht ausreichend vorbereitet fühlten. Über 32.000 Kommentare prasselten auf Laschet ein.
Wenn Politiker auf sozialen Medien aktiv sind, können sie Stimmen für sich gewinnen: Die Transparenz macht sie sympathisch und vermeintlich nahbar. Aber sie können auch sehr ins Feuer geraten. Und nicht nur Politiker können die Nähe und Öffentlichkeit von sozialen Medien für sich nutzen, sondern auch „einfache“ Bürger können ganz genau hinschauen, kommunizieren, Debatten beginnen – eine Community formen, die eine politische Einstellung oder ein Streitthema unterstützt oder kritisiert. Ein mächtiges Instrument, dieses Instagram, Facebook, Twitter und Co – das die Politik und uns auch in der Zukunft wahrscheinlich noch stärker beeinflussen wird, als wir uns heute überhaupt ausmalen können.
Text von Dana Weise, 29, hat nach dem Schreiben dieses Artikels eine längst fällige Instagram-Pause auf unbestimmte Zeit eingelegt.
Teaser-Bild: Paula Kuchta