Unser gesellschaftlicher Zustand so portraitiert, dass es unter die Haut geht. Dieser Film lässt keinen kalt. Zieht euch warm an für diese Gegenwartskonfrontation 2.0 vom russischen Ausnahmeregisseur Andrey Zvyagintsev.
16. March 2018 - 12:41 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
Der Film zeigt vielschichtig auf, wie Kälte und Distanz in unsere Gesellschaft gekrochen sind und Zwischenmenschliches verloren geht. Mitten im Winter verschwindet der kleine Aljoscha spurlos. Er ist weggerannt, um seinen kalten und lieblosen Eltern zu entkommen, die sich im Zuge ihrer Scheidung schon auf ihren jeweiligen Neustart konzentrieren, in dem kein Platz für ihren Sohn ist.
Der Film läuft erst seit 15 Minuten und es ist jetzt schon ernüchternd zuzusehen, wie sich die Dinge auf der Leinwand entwickeln. Jeder Atemzug fällt mir schwer – man sieht Menschen, die so kalt sind wie Eis. Als sich Aljoschas Mutter Zhenya und sein Vater Boris am Abend streiten, geht es darum, ob sie ihren 12-jährigen Sohn in ein Internat geben. Aljoscha weint kläglich hinter einer Tür, ohne dass die Eltern etwas bemerken.
Am nächsten Tag verschwindet er. Relativ spät bemerkt Zhenya, dass Aljoscha nicht in der Schule war und auch nicht Zuhause, weil sie selbst bei ihrem Liebhaber war. Die Polizei tut den Fall ab mit der Begründung: „Der hat´s gut hier, der kommt wieder.“ Ohne sich auf den Fall einzulassen oder Zhenya Hoffnung zu machen, geht die Polizei weiter.
Zhenya und Boris wenden sich deshalb an eine freiwillige Hilfsorganisation, die Aljoscha suchen soll. Der Lichtblick in dem Film ist der Suchbeauftragte, gespielt von Alexey Fateev, der wirklich alles versucht, um den Jungen zu finden. Die verzweifelte Suche lässt Zhenya und Boris nicht, wie es zu erwarten wäre, zusammenwachsen, sondern scheint sie nur noch weiter auseinanderzutreiben. Die Charaktere wirken als Allegorie für eine darstellerische, lifestyle-bessesene und entfremdende Gesellschaft, die geprägt ist vom eigenen Ego.
Maryana Spyvak (Aljoschas Mutter) und Alexey Rozin (Vater) spielen ihre Rollen hervorragend authentisch. Beide sind hier unbekannte Gesichter, auf dem russischen Filmmarkt aber schon etabliert. Spyvak spielte in „Vasiliy Stalin“ mit und Rozin ist unter anderem in dem russischen Blockbuster „Leviathan“ zu sehen. Matvey Novikov hat als Aljoscha seine erste große Rolle und überzeugt!
Filmischer Augenschmaus?
Was besonders heraussticht, ist die vollkommen subtil verwendete Musik im Film. Selten hört man überhaupt welche. Am Anfang und am Ende jedoch das gleiche monotone Stück mit schweren Klaviertönen und einem unheimlichen Rhythmus. Sehr eindrucksvoll und versetzt den Zuschauer sofort in einen verstörten Zustand.
Gibt’s was zu meckern?
Ganz ehrlich - nichts.
Braucht man Taschentücher?
Ich konnte nicht wirklich während des Films weinen, da ich mich in einer Schockstarre befand. Aber ich würde trotzdem welche mitnehmen, kann nie schaden.
Mit wem angucken?
Sollte wirklich jeder sehen.
Auf einen Blick
Action: ✪ ✪
Romantik:
Humor:
Niveau: ✪ ✪ ✪ ✪ ✪
Bildungsfaktor: ✪ ✪ ✪ ✪ ✪
Was macht man danach?
Erstmal setzen lassen und überlegen, wie Anfangs- und Endszene zum Ausgang des Films beitragen.
In 3 Worten:
durchdringend, Statement, hervorragend!
Große Leinwand oder kleiner Bildschirm?
Beides!
Mainstream oder Independent?
Ungwohnt tiefgründig und gesellschaftskritisch. Der Film steht für sich.
Loveless (Nelyobov)
Regie: Andrey Zvyagintsev Darsteller: Maryana Spyvak, Alexey Rozin, Matvey Novikov, Alexey Fateev, uvm. Kinostart: 15. März 2018 Filmlänge: 127 Minuten Genre: Drama FSK: noch nicht vorhanden, in den USA R-rated
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