Kinofeeling

Kinofeeling:
Corpus Christi

Kann ein Straftäter zum Heiligen werden? Oder ist diese intensive Verbindung zu Gott ausschließlich anderen vorbehalten? Wann haben Menschen Vergebung verdient und wann nicht? SPIESSER-Autorin Jasmin hat im Film „Corpus Christi“ versucht Antworten zu finden.

07. September 2020 - 09:29
SPIESSER-AutorIn JasminWe.
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JasminWe Offline
Beigetreten: 02.01.2018

Worum geht’s?

Sein Leben lang geriet er immer wieder auf die falsche Bahn und hat schon mehrmals Gefängniswände von innen gesehen: Als der 20-jährige Daniel erneut im Jugendgefängnis sitzt, erlebt er eine Erleuchtung spiritueller Natur. Nach seiner Entlassung möchte er unbedingt Priester werden – aufgrund seiner Vorstrafen und seiner kriminellen Geschichte soll ihm der Pfad der Tugend jedoch verwehrt bleiben, denn eine Aufnahme ins Priesterseminar ist für einen Straftäter nicht möglich. Nachdem er seine Strafe abgesessen hat, wird Daniel in eine kleine Gemeinde geschickt, um dort im Sägewerk zu arbeiten. Als sich ihm jedoch eine günstige Situation bietet, verkleidet er sich kurzerhand als Priester und „spielt“ fortan als Pfarrer Tomasz den Seelsorger des Dorfes. Seine Bemühungen finden zu Beginn Anklang, bis er zu häufig mit einer Witwe gesehen wird, die einen schlechten Ruf in der kleinen Gemeinde hat. Tomasz legt sich daraufhin mit dem Bürgermeister an, der ein Geheimnis hütet, …

Wer spielt mit?

Die Hauptrolle als Daniel spielt der polnische Film- und Theaterschauspieler Bartosz Bielenia. Nach seinem Studium an der Akademie der Theaterkünste in Krakau arbeitet er aktuell am Neuen Theater in Warschau. Auf der Leinwand gab Bielenia sein Debüt in der Musikkomödie „Disco Polo“. Seine erste Hauptrolle folgte dann 2016 im Thriller „Na granicy“, bevor er für seine Rolle als Daniel in „Corpus Christi“ nach den Filmfestspielen in Venedig mehrfach ausgezeichnet wurde. Im Januar 2020 wurde Bartosz Bielenia von der European Film Promotion sogar auf die Liste der zehn European Shooting Stars gesetzt.

Auf einen Blick
Action: ✪ ✪
Romantik: ✪
Humor: ✪ 
Niveau: ✪ ✪ ✪ 
Bildungsfaktor: ✪ ✪ ✪ 
Filmischer Augenschmaus?

Das Setting des Dramas wirkt grau, beklemmend und dunkel: Als Zuschauer erlebt man mit Daniel die Zeit im Gefängnis und seine spirituelle Selbstfindung maximal authentisch. Die Geschichte nach einer wahren Begebenheit wird dramaturgisch eher minimalistisch auf die Leinwand gebracht, entwickelt sich aber im Laufe der Handlung dafür umso vielschichtiger. Dem Regisseur Jan Komasa ist es gelungen, die Zwickmühlen von Daniel mit psychologischer Präzision auf den Punkt zu bringen. Damit hegt man als Zuschauer für den vom Leben gebeutelten Daniel sofort tiefes Mitgefühl. Ab und an gibt es sogar Momente, die von Komik geprägt sind oder sogar so spannend sind, dass sie einem fesselnden Thriller gleichkommen.

Gibt’s was zu meckern?

In wenigen Momenten erinnert der Film ganz leicht an die gängige „Saulus-wird-zum-Paulus“-Geschichte. Das legt sich aber aufgrund der vielen Ecken und Kanten, die die Hauptfigur trotz Priesterleben zeigt, recht schnell wieder. Der ehemalige Straftäter wird keineswegs zum Heiligen, sondern muss in jeder Zwangslage neu entscheiden, welchen Weg er einschlägt. Die Szenerie, in der die Story stattfindet, kann auf Dauer etwas deprimierend wirken.

Braucht man Taschentücher?

Taschentücher benötigt man keine – sondern vielmehr die Bereitschaft, sich auf all die Zwangslagen von Priester Tomasz einzulassen und während des Films quasi zu seinem Komplizen zu werden.


Vom Gefängnis in die Kirche: Daniels Leben nimmt eine
unvorhergesehene Wende.
Mit wem angucken?

Am besten mit einem empathischen Freund, der es nicht als schwere Kost ansieht, sich existenziellen Fragen über Moral, Vergebung und Macht zu stellen.

Was macht man danach?

Über den intensiven Film sprechen. Die Themen Glaube und Vergebung regen in Verbindung mit dem Drama eine tiefgründige Diskussion an.

In drei Worten:

Intensiv. Reflektierend. Dramatisch.

Große Leinwand oder kleiner Bildschirm?

Möglich ist beides: Wer gern intensiv ins Drama eingebunden werden möchte, sollte sich den Film auf der großen Leinwand ansehen.

Mainstream oder Independent?

In Polen war „Corpus Christi” mit 1,3 Millionen Zuschauern der größte Arthouse-Erfolg im letzten Jahr. Beim polnischen Filmpreis räumte das Drama gleich in elf Kategorien ab. Kein Mainstream-Material, aber voll von wichtigen Fragen, mit denen wir uns im Zusammenleben mit anderen Menschen auseinandersetzen sollten.

Corpus Christi

Regie: Jan Komasa
Darsteller: Bartosz Bielenia, Eliza Rycembel, Aleksandra Konieczna, Tomasz Zietek
Filmstart: 3. September 2020
Filmlänge: 116 Minuten
Genre: Drama
FSK: 16

 

 

Text: Jasmin Weinberger

Bildmaterial: Arsenal Filmverleih GmbH

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