Er möchte mehr als „Bett und Butterbrot“. Er möchte ein anständiges Leben führen. Er möchte gut sein. Vom Scheitern, Aufstehen und Weitermachen des geflohenen Westafrikaners Francis erzählt Burhan Qurbani in seinem Film „Berlin Alexanderplatz“. Ob das geglückt ist, weiß SPIESSER-Autor Vincent.
17. August 2020 - 10:32 SPIESSER-Autor Kalendermensch.
Burhan Qurbanis Film basiert auf dem 1929 erschienenen Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin. Francis, ein junger Westafrikaner, der über das Mittelmeer nach Europa geflüchtet ist, hat in Berlin nur ein Ziel: anständig sein. Sein Lebensideal kollidiert mit Reinhold, einem deutschen Drogendealer, der ihn mit der Aussicht auf ein würdigeres Leben aus dem Asylbewerberheim lockt. Doch Francis muss für ihn rauben, Drogen verticken, sich als „Gorilla“ beschimpfen lassen und abends fließt gefälligst der Champagner in den Nachtclubs. Francis erkennt nicht, dass Reinhold ihn nur tiefer in den Abgrund zieht. Als er auf die Prostituierte Mieze trifft, scheint er endlich angekommen zu sein. Er erfährt Liebe. Und zu allem Überfluss geht selbst diese Beziehung den Bach herunter.
In der Rolle des Francis ist Welket Bungué zu sehen. Nach seinem Studium stand er für mehrere portugiesische Produktionen vor der Kamera (u.a. „Corpo Eléctrico“, 2017). „Berlin Alexanderplatz“ ist seine erste deutsche Produktion. Francis‘ Antagonist Reinhold wird von Albrecht Schuch, bekannt aus „Bad Banks“ (2018) und „Systemsprenger“ (2019), gespielt. Jella Haase (u.a. „Fack Ju Göhte“, 2013) spielt Francis‘ Liebe Mieze.
Auf einen Blick
Action: ✪ ✪
Romantik: ✪ ✪
Humor: ✪
Niveau: ✪ ✪ ✪
Bildungsfaktor: ✪ ✪ ✪
Filmischer Augenschmaus?
„Berlin Alexanderplatz“ beginnt mit einer verwackelten Aufnahme des Mittelmeeres. Zusätzlich steht das Bild Kopf. In den Fluten versuchen zwei Menschen zu überleben. Über der Szene liegen ein hektisches Atmen und ein bedrohendes Brummen. Dann: Cut. Ein einzelner Mensch wird an ein Ufer gespült. Es ist Francis, der seine Frau in den Wellen verloren hat und sich vornimmt, in Berlin endlich ein anständiger Mensch zu werden. Dieses Intro hängt die Messlatte für den restlichen Film hoch. Zuerst einmal fühlt er sich an wie ein nächtlicher Vollrausch. Qurbanis Figuren sind allesamt wahnsinnig, nur Francis will loyal sein, ist ihnen aber gnadenlos unterlegen. Albrecht Schuchs Verkörperung des Reinhold ist brillant. Er ist ein moderner Mephisto mit gekrümmtem Rücken, einem unheimlichen Sexualtrieb und geprägt von der Gewieftheit, Francis in seine neurotische Welt zu verführen. „Berlin Alexanderplatz“ entwickelt sich zu einer düsteren Milieustudie im Neonlicht. Was Qurbanis Stil ausmacht, sind die atmosphärische Dichte und sein Wille, die Wucht der Berliner Unterwelt elegant zu inszenieren.
Ihr wollt den Film sehen?
Wir verlosen zwei Pakete bestehend aus je 2 Kinofreikarten und dem gleichnamigen Großstadtroman von Alfred Döblin. Hier geht's zum Gewinnspiel!
Gibt’s was zu meckern?
An vielen Stellen wirkt „Berlin Alexanderplatz“ maßlos überfrachtet. Qurbani neigt zu Szenen, in denen bedeutungsschwangere Sätze geflüstert werden und pathosgetränkte Streicher dies zusätzlich betonen müssen. Was mich aber am meisten stört: die Untergrund-Welt scheint bei Qurbani hochpoliert zu sein; selbst jedwede Gewalt wirkt poetisiert. Die grelle, exzessive Ästhetik des Films steht dadurch im Widerspruch mit Francis‘ Leidensgeschichte. Dadurch bleibt die Psyche der Hauptfigur auf der Strecke. Stattdessen werden Klischees wie das der schwarzen, aggressiven Drogenbande ausgeschlachtet. Dass weiße Mafia-Opas die Migranten ausbeuten, muss Joachim Król in einem Cameo darstellen. Erzählt wird das äußerst verquer, was dazu führt, dass einige Handlungsstränge wie an den Haaren herbeigezogen wirken. Was wirklich schade ist – denn nach drei Stunden Filmdauer kennt man zwar die Probleme des Systems, ist aber genauso ratlos über etwaige Lösungsansätze wie zuvor.
Braucht man Taschentücher?
Wenn Qurbanis Film eines unbedingt will, dann emotional betören. Eine Packung auf Vorrat dabeizuhaben, kann also nicht schaden.
Mit wem angucken?
Mit jedem, der Interesse für den Stoff zeigt.
Kann die Liebe zwischen Francis und Mieze bestehen?
Was macht man danach?
Ich habe mir am Tag danach eine Dokumentation über Drogenhandel in Berliner Parks angeschaut. Döblins Originalroman will ich auch mal lesen. Angesichts der aktuellen Debatten gibt der Film einen guten Impuls, um über Fremdenfeindlichkeit und Perspektivlosigkeit von Asylbewerbern zu sprechen.
In drei Worten:
„Ich bin Deutschland.“
[Diesen Satz sagt Francis gegen Mitte des Films, als er sich zum ersten Mal in Deutschland Zuhause fühlt.]
Große Leinwand oder kleiner Bildschirm?
Für die vielen Totalaufnahmen eignet sich ein großer Bildschirm.
Mainstream oder Independent?
Die Frage hat mir schlaflose Nächte beschert. Jedoch: Mainstream. Die Idee, den Stoff für die Gegenwart zu adaptieren, ist zwar ambitioniert, aber leider erzählt sie wenig Neues und bedient sich einer massentauglichen Filmsprache.
Berlin Alexanderplatz
Regie: Burhan Qurbani Darsteller: Welket Bungué, Albrecht Schuch, Jella Haase u. a. Filmstart: 16.07.2020 Filmlänge: 183 Minuten Genre: Sozialdrama FSK: 16
Text: Vincent Koch
Bildmaterial: Sommerhaus/eOne Germany
Dir gefällt dieser Artikel?
auf Facebook teilen auf WhatsApp teilen auf Twitter teilen auf Google+ teilen
Schule durch, Abschluss in der Hand. Und jetzt? Was bleibt von den bis zu 12.000 Stunden, die jeder Mensch durchschnittlich die Schulbank drückt? Der Dokumentarfilm „Bildungsgang. Bildung neu denken.“ begleitet die Jugendlichen vom Verein Demokratische Stimme der Jugend e.V., die diese
Der Disney Channel feiert den Weltfrauentag – ihm zu Ehren findet am 11. März der „Superheldinnen-Tag“ statt. Euch erwartet ein Tag voller Girl-Power mit Heldinnen des Disney Channels sowie die Deutschland-Premiere des neuen Serienhighlights „Marvel Moon Girl und Devil Dinosaur“.
Die leicht frische Sommerkomödie, lädt euch nach Monaco und Frankreich ein. Bei der wohlhabenden Familie Bartek bekommt ihr einen klischeegerechten Einblick in die Herausforderungen der Erziehung reich-geborener Kinder. Mit „Meine schrecklich verwöhnte Familie“ reiht sich ein
In einer nicht allzu fernen Zukunft leidet die Menschheit genau unter den Problemen, von denen Wissenschaftler heute schon seit Jahrzehnten sprechen: Die Klimakrise ist im vollen Gange. SPIESSER-Autor Daniel hat sich "The Last Journey", die dystopische Vision in Spielfilmlänge angesehen.
Wie leicht lassen wir uns von radikalem Gedankengut verführen? Dieser Frage geht „Je suis Karl“ nach und erzählt die Geschichte einer aufkommenden jungen radikalen Bewegung. Ein aktuelles politisches Meisterwerk, dass auf eine junge Zielgruppe zugeschnitten ist. Ob Regisseur Christian
Wer nicht genug kriegen kann von tiefen Einblicken in die Berliner Gangsterwelt a la „4 Blocks“ oder „Skylines“, wird ohne Frage auch bei „Ein nasser Hund“ voll auf seine Kosten kommen. Daneben gibt es aber noch eine weitere Komponente, die den Streifen definitiv sehenswert
Mit seinem neuen Dokumentarfilm „Wer wir waren“ möchte Marc Bauder seinen Zuschauern einen Blick auf den derzeitigen Zustand unserer Welt präsentieren und die Botschaft vermitteln, dass wir es selbst in der Hand haben, wer wir sind. Doch schafft der Film das? SPIESSER-Autorin Katharina
Der Dokumentarfilm „GUNDA“ lässt den Zuschauer das Leben von Nutztieren nicht nur sehen, sondern auch erleben. Auf Augenhöhe begegnen wir den Protagonisten und dürfen uns fragen, welchen Platz wir ihnen in unserer Welt zuweisen - und wie wir diesen vor uns selbst rechtfertigen können.
Seit 1987 wird in Berlin im Rahmen der Berlinale der TEDDY Award für queere Filme verliehen. Auch in weiteren deutschen Großstädten wird durch Queerfilm-Tage oder während Filmfestivals der Fokus auf Filme rund um die LGBTQIA+ Community gelegt. Einige unserer Queerfilm-Empfehlungen
Zwischen Drama und Drogenthriller kommt dieser Film mit einem Flair aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts daher. Trotz klischeehaftem Cast überzeugt dieser Coming-of-Age Film mit seiner Nostalgie einer längt vergangenen heißen Sommernacht. Ob der Film es schafft sich genug abzuheben
Christiane Felscherinow, die in Berlin im Drogensumpf versinkt, ist so etwas wie die Symbolfigur für die Drogenszene der 70er und 80er Jahre. Die Geschichte von Christiane F. und ihren Freunden wurde nun in einer Serie neu interpretiert. Ob diese neue Fassung des altbekannten Stoffs geglückt
„Yes, God, Yes“ ist nicht nur der Titel des neuen Films von „Stranger Things“-Starlet Natalia Dyer, sondern auch der Ausruf, der unserem Autor entfuhr, als der Film endlich vorbei war. Sein Fazit: Seichteste Teenie-Unterhaltung mit so zarter Religionskritik, dass der Religionslehrer
Wie weit darf Kritik gehen? Der neue Kinofilm „Und morgen die ganze Welt“ behandelt ein brisantes Thema. Studentin Luisa kämpft für einen besseren Ort – was für sie bedeutet: weg mit der rechten Ideologie in Deutschland! Ob Gewalt, wie sie zeitweise im Film gezeigt wird,
Wer hat Bock auf eine optimale Mischung aus großen Gefühlen und bösen Gags? „Milla meets Moses“ bietet beides auf hohem Niveau! Die australische Indie-Perle dürfte allen gefallen, die sich auch jenseits vom Hollywood-Mainstream unterhalten lassen können.
Auf den Spuren der Straßenhunde Moskaus – am 24. September erscheint der Dokumentarfilm „Space Dogs“ in den deutschen Kinos. Er begleitet die Vierbeiner auf ihren Streifzügen bei Tag und Nacht und verknüpft die Aufnahmen mit historischem Filmmaterial der sowjetischen
Stell dir vor, du müsstest jemandem eine Sprache beibringen, die du selber nicht sprichst. Nun stell dir vor, dein Leben würde davon abhängen. In „Persischstunden“ erlebt Gilles genau das. SPIESSER-Autorin Annika hat den Film für euch gesehen.
Ein überraschend packendes und spannendes Biopic über eine starke Frau und ihre schwachen Momente. „Jean Seberg – Against all enemies“ vereint die Verfilmung der schwersten Zeit für die Schauspielerin mit dem Flair eines Verschwörungsthrillers und dem eleganten Charme
Kann ein Straftäter zum Heiligen werden? Oder ist diese intensive Verbindung zu Gott ausschließlich anderen vorbehalten? Wann haben Menschen Vergebung verdient und wann nicht? SPIESSER-Autorin Jasmin hat im Film „Corpus Christi“ versucht Antworten zu finden.
Wird der aus dem Kosovo stammende Xhafer in seinem Job absichtlich schikaniert oder verliert er langsam den Bezug zur Realität? Wieso SPIESSER-Auto Dominic vom Kinofilm „Exil“ (Kinostart: 20. August 2020) so angetan ist und an wen er ihn weiterempfehlen möchte, lest ihr hier.
Sommer, Sonne, erste Liebe – „Kokon“ begleitet die junge Nora durch eine Zeit voller Veränderungen. SPIESSER-Autor Daniel hat den Film für euch gesehen und ist froh, diese verwirrende Zeit, die im Film gezeigt wird, bereits hinter sich zu haben.
Brutalität, Leid, tausende Tote – all das sind Worte, die wir mit dem Krieg in Syrien assoziieren. Die meisten von uns kennen dies nur aus den Medien. Aber wie ist es, wenn man selbst mittendrin in diesem Krieg ist und vor allem: Wie kommt man wieder raus? All das sind Fragen, mit denen sich
Stell dir vor, du hast eine unheilbare Krankheit und siehst keinen Lebenssinn mehr. Was würdest du tun? „Suicide Tourist – Es gibt kein Entkommen“ greift das schwierige und kontroverse Thema begleiteter Suizid auf. SPIESSER-Autorin Lara hat der Film noch eine Weile beschäftigt.
Surreal, teils düster, schwarz-weiß: Unter der Regie von Carlos A. Morelli kommt ab 25. Juni „Der Geburtstag“ in die Kinos. Ein gelungener Kontrast zum sonstigen Kinoprogramm, findet SPIESSER-Praktikantin Lara und hat den Film für euch genauer unter die Lupe genommen.
Eine Bushaltestelle irgendwo in Brandenburg. Zwei Männer, die auf'n Bus warten und dabei mit einem Dosenbier offen und ehrlich über ihr Leben sprechen. Was traurig klingt, überrascht mit vielseitigen und witzigen Dialogen.
Inspiriert von Deborah Feldmans Memoiren „Unorthodox – die skandalöse Ablehnung meiner chassidischen Wurzeln“ erzählt die am 26. März startende Netflix-Serie die Flucht und die Befreiung der jungen Esthy. Dass es einen Unterschied zwischen Flucht und Befreiung gibt, wird
Wenn aus Nachbarn Gegenspieler werden: Der ZDF-Dreiteiler (Romanverfilmung von Juli Zeh) nimmt die Zuschauer mit in den Mikrokosmos Dorfleben in Brandenburg, erzählt über Windkraftenergie und das alltägliche Leben.
In einander verwebte Schicksale im apokalyptischen Setting – „8 Tage“ hat Autor Kevin in vielerlei Hinsicht überzeugt, auch wenn die Serie in den ersten Folgen eine Schwelle birgt. Hat man die passiert, ist man jedoch „am Ende sogar etwas traurig, dass es nicht zwölf Tage waren.“
Back to the 70ies in ein Bisschen gruselig – „Scary Stories to tell in the Dark“ von Guillermo del Toro erscheint am 12.3. auf DVD und Blu-ray. SPIESSER-Autor Moritz konnte sich fürs Setting begeistern, vermisste aber den Grusel- und Horrofaktor.
In „Spides“ trifft Science Fiction auf Hauptstadt, die zum Schauplatz einer düsteren Verschwörung wird, irgendwo zwischen Gut und Böse. SPIESSER-Autorin Sophia fasst die ersten drei Folgen der Serie zusammen: undurchsichtig, creepy, weird.
Meisterhafte Charaktere meisterhaft besetzt. Wieso Guy Ritchies „The Gentlemen” (Kinostart: 27. Februar) SPIESSER-Autorin Lena an „Der König der Löwen“ erinnert, lest ihr hier.