Kinofeeling

Je suis Karl

Wie leicht lassen wir uns von radikalem Gedankengut verführen? Dieser Frage geht „Je suis Karl“ nach und erzählt die Geschichte einer aufkommenden jungen radikalen Bewegung. Ein aktuelles politisches Meisterwerk, dass auf eine junge Zielgruppe zugeschnitten ist. Ob Regisseur Christian Schwochow das wirklich gelungen ist, erfahrt ihr von SPIESSER-Autorin Katharina.

16. September 2021 - 12:44
SPIESSER-Autorin Kathi99.
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Kathi99 Offline
Beigetreten: 01.04.2021

Worum geht's?

Als Maxi von ihrer Großmutter zurück nach Berlin kommt, scheint alles wie sonst. Doch kurz nachdem ihr Vater an diesem Tag ein Paket für die Nachbarin annimmt, ist alles anders. Ein Terroranschlag trifft ihre Familie ins Mark. Die einzigen Überlebenden: Maxi und ihr Vater. Während beide versuchen mit ihrer Trauer fertig zu werden, lernt Maxi Karl kennen. Er hilft ihr aus ihrer Lähmung und fordert sie auf, die Angst zu besiegen. Er hat ein Treffen europäischer Studenten organisiert und lädt Maxi ein, ihn zu begleiten. Doch was sich wirklich hinter dieser Gruppe verbirgt und welche Ziele sie verfolgen, erfährt Maxi zu spät.

In ihrem zweiten gemeinsamen Film erzählen Regisseur Christian Schwochow („Deutschstunde“, „The Crown“, „Bad Banks“) und Drehbuchautor Thomas Wendrich von dem in den letzten Jahren neu aufkommenden Phänomen junger, rechter Bewegungen, die sich im Auftreten deutlich von den altbekannten Neonazis unterscheiden. Sie sind modern und hip gekleidet, mehrsprachig, haben studiert und verbreiten ihre Ideologie als modernen, patriotischen Lifestyle. Die Motive dieser Bewegungen, wie zum Beispiel der österreichischen Identitären sind jedoch dieselben: eine angebliche Überfremdung verhindern, den Verlust der eigenen Identität, Kultur und Sicherheit stoppen und Europas Grenzen sichern. Das endgültige Ziel: ein neues Europa unter rechter Führung.

Wer spielt mit?

In den beiden Hauptrollen sind Luna Wedler (@ichbinsophiescholl, „Biohackers“) als Maxi und Jannis Niewöhner („Narziss und Goldmund“, „Jugend ohne Gott“) als Karl zu sehen. Den Part von Vater Alex übernimmt Milan Peschel („Halt auf freier Strecke“). Weitere Rollen werden unter anderem von Edin Hasanovic, Anna Fialová und Aziz Dyab verkörpert.

Auf einen Blick
Action: ✪ ✪ ✪ ✪
Romantik: ✪
Humor: ✪
Niveau: ✪ ✪ ✪ ✪
Bildungsfaktor: ✪ ✪ ✪
Gibt’s was zu meckern?

Leider können die Hauptcharaktere nicht zu hundert Prozent überzeugen. Sowohl Karl als auch Maxi fehlt es an Tiefe. Bereits bevor Maxis Familie dem Terroranschlag zum Opfer fällt, bemerkt man bei ihr eine gewisse Unzufriedenheit und Unruhe. Darauf wird im Laufe des Films jedoch nicht weiter eingegangen. Das Maxi Karl folgt und sich der radikalen Gruppe anschließt, erscheint nicht ganz logisch, da sie aus einem sehr linken und toleranten Haushalt stammt. Der einzige Grund scheint zu sein, dass der Terroranschlag teilweise Islamisten zugeschrieben wird. Zwar bekommt der Zuschauer ihre Traurigkeit und Wut über die Ereignisse deutlich zu spüren, ihr innerer Wandel wird jedoch nicht eindeutig dargestellt.

Auch die eigentlichen Ziele der jungen Radikalen werden nicht klar kommuniziert. Da hätte man aus meiner Sicht ruhig noch mehr in die Tiefe gehen können. Die typisch rechten Parolen, die in den Songs aus dem Film verwendet werden, wirken leider etwas flach und nicht passend.

Obwohl „Je suis Karl“ das Aufkommen einer radikalen jungen Gruppe thematisiert, wird leider mal wieder eine Liebesgeschichte genutzt, um die Idee umzusetzen. Das hätte es nicht unbedingt gebraucht. Die eigentliche Thematik wird so überschattet.


Unmöglich erscheint es Tochter Maxi (Luna Wedler) und
Vater Alex (Milan Peschel) den Verlust zu verarbeiten.
Braucht man Taschentücher?

Der Terroranschlag auf Maxis Familie trifft auch den Zuschauer mit voller Wucht. Gerade die Szenen, in denen die Trauer und Wut von Maxi und ihrem Vater deutlich spürbar sind, lassen den Zuschauer mitfühlen. Das liegt vor allem an der überzeugenden Schauspielerischen Leistung aller Hauptdarsteller. Besonders Maxis Zerrissenheit und die plötzlichen starken Gefühlsausbrüche bringt Luna Wedler unglaublich gut zum Ausdruck. Die Trauer nimmt man sowohl Luna Wedler, als auch Milan Peschel in jeder Minute ab. Auch Jannis Niewöhner liefert in seiner schwierigen Rolle sehr gut ab. Besonders in emotionalen Szenen spielt er unglaublich intensiv.

Mit wem angucken?

Der Film soll zwar auf junge Leute zugeschnitten sein, die aktuelle Thematik kann allerdings in jeder Altersgruppe besprochen werden – und sollte es auch. Besonders dann, wenn Menschen aus verschiedenen Altersgruppen den Film gemeinsam schauen, kann die Diskussion danach umso interessanter sein.

Was macht man danach?

Erstmal durchatmen. Der Film macht einem die Aktualität der Thematik bewusst – und das ist beängstigend. Deswegen hilft es, sich danach darüber zu unterhalten und zu diskutieren. Die Wut über die Ereignisse fördern den Drang sich darüber zu informieren und das ist auch wichtig, denn man sollte sich bewusst machen, wie leicht gut verpackte Parolen in den richtigen Momenten überzeugen können.


Karl (Jannis Niewöhner) reißt mit seiner Rede nicht nur die Anhänger
von Re/Generation, sondern auch Maxi (Luna Wedler), mit.
 
In drei Worten:

Schockierend. Aktuell. Politisch.

Große Leinwand oder kleiner Bildschirm?

Ein Besuch im Kino ist hier absolut empfehlenswert. Die Wucht der Thematik wirkt mit großer Leinwand und gutem Sound noch mehr.

Mainstream oder Independent?

Die Thematik ist sicher nicht Mainstream und hat unglaublich viel Potenzial. Mit mehr Tiefgang hätte der Film an allen Ecken überzeugt. Leider war die Liebesgeschichte der beiden Hauptcharaktere zu klischeehaft und dadurch nicht glaubhaft.

Je suis Karl

Regie: Christian Schwochow
Darsteller: Luna Wedler, Jannis Niewöhner Milan Peschel, Edin Hasanovic, Anna Fialová, Aziz Dyab

Heimkinostart: 16. September 2021
Filmlänge: 126 Minuten
Genre: Drama
FSK: ab 12 Jahren

 

Text: Katharina Ziegler
Bildmaterial: © Copyright Pandora Film

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