Christiane Felscherinow, die in Berlin im Drogensumpf versinkt, ist so etwas wie die Symbolfigur für die Drogenszene der 70er und 80er Jahre. Die Geschichte von Christiane F. und ihren Freunden wurde nun in einer Serie neu interpretiert. Ob diese neue Fassung des altbekannten Stoffs geglückt ist, verrät euch SPIESSER-Autor Jonathan.
Die Geschichte von Christiane F. hat traurige Berühmtheit erlangt. Alkohol und Hasch mit zwölf Jahren, Heroin mit 13 und mit 14 dann auf dem Straßenstrich. Die inzwischen weltbekannte und wahre Lebensgeschichte der jungen Berlinerin nimmt sich auch die Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ als Grundlage und spinnt ausgehend davon eine Geschichte über Liebe, Freiheit, Versuchung – und Absturz. Eine Geschichte über den Traum vom endlosen Glück und der Freiheit sowie von den alltäglichen Problemen mit Eltern, Lehrern und anderen Spießern. Die Serie begleitet Christiane F. und ihre Freunde Stella, Axel, Babsi, Benno und Michi in die kurze Euphorie der Berliner Nächte, durch den ersten Rausch bis in den Abgrund, in den sie schnell gezogen werden. Bewusst eher fiktional und losgelöst vom Flair der 80er-Jahre, in denen die reale Christiane groß wurde, schafft die Serie damit eine „moderne Nacherzählung“, wie die Macher es nennen. Ob das gelingen kann?
Die Clique wird verkörpert von Jana McKinnon als Christiane F., Lena Urzendowsky („How to sell drugs online (fast)“) als Stella, Michelangelo Fortuzzi („Druck“, „Rico, Oskar und die Tieferschatten“) als Benno, Lea Drinda als Babsi, Jeremias Meyer („Die Vampirschwestern“) als Axel und Bruno Alexander („Die Pfefferkörner“, „INTIMATE“) als Michi. In Nebenrollen treten zum Beispiel Detlef Bothe, Marko Dyrlich, Heide Simon und Alexander Scheer (in der Rolle des David Bowie) auf.
Auf einen Blick
Action: ✪ ✪
Romantik: ✪ ✪
Humor: ✪ ✪
Niveau: ✪ ✪ ✪
Bildungsfaktor: ✪ ✪
Filmischer Augenschmaus?
Ja, das ist die Serie tatsächlich! Beinahe spielerisch und mit viel kreativer Liebe zum Detail nimmt sich die Crew hinter und vor der Kamera dem Stoff an. Und je genauer und aufmerksamer man hinschaut, desto mehr liebevolle Klitzekleinigkeiten fallen auf, desto größer wird das Anschau-Vergnügen und umso mehr entwickelt die Serie in ihrem Verlauf einen ganz eigenen, zeitlosen Charme.
Gibt’s was zu meckern?
Natürlich muss eine Coming-Of-Age-Serie, die von sich selbst sagt, dass sie eher fiktional angelegt ist, nicht den Anspruch haben, Sachverhalte und Ereignisse möglichst originalgetreu oder realistisch darzustellen. Die Frage bleibt aber trotzdem, wie nah man an das Schicksal einer realen, titelgebenden Person heranrückt. Die Themen, die die Buchvorlage „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ behandelt, sollte man mit besonderer Vorsicht aufarbeiten.
Zu schnell wirkt der Drogenmissbrauch in der Serie irgendwie sexy und cool wie eine große hippe Party. Schnell schwingt auch eine ganze Portion Romantisierung mit in der Darstellung von Gewalt, der Prostitution von Jugendlichen und der Sucht. Viele Aspekte des Stoffes werden schöner dargestellt, als sie in Wahrheit sind. Gerade mit dem Gedanken daran, dass hier aber eine Geschichte dargestellt wird, die auf realen Ereignissen beruht, sollte man die Serie mit Vorsicht genießen.
Braucht man Taschentücher?
Nein, aber starke Nerven sind oft durchaus angebracht.
Mit wem angucken
Lieber mit jemandem, der ein bisschen reizfester ist, was aufreibende Themen angeht. Und am besten mit jemandem, der schon ein bisschen Vorahnung vom Stoff und dem Drum Herum hat.
Dankbar sein, dass es einem besser geht, als den Protagonisten der Serie. Hoffen, dass man nie auch nur auf die Idee kommt, drogenabhängig zu werden. Und vielleicht noch mal in die Buchvorlage reinblättern – oder sie gleich noch mal ganz lesen.
Und diskutieren wahrscheinlich. Schlecht nacherzählter Drogen-Kitsch oder modernes Coming-of-Age-Drama? Ein Griff ins Serien-Klo oder das neueste deutsche Serien-Highlight? So unterschiedlich scheinen die Kritiken und Meinungen zu einer Serie schon lange nicht mehr ausgefallen zu sein. Eine „völlig willkürlich[e]“ Serie, sagen die einen (z.B. Oliver Koerner von Gustorf im Monopol-Magazin). „Guter Stoff“, finden die anderen (wie Andreas Bernard auf ZEIT Online). Aber am Ende muss wohl jeder sein eigenes Urteil fällen.
In drei Worten:
Ästhetisch. Spannungsvoll. Nah.
Große Leinwand oder kleiner Bildschirm?
Konzipiert ist die Serie für den Laptop-Bildschirm und das typische Streaming-Erlebnis – und das geht auch gut. Aber die vielen kleinen Details erhascht man natürlich auf der großen Leinwand besser. Oder zumindest im Heimkino.
Mainstream oder Independent?
Klar, Amazon ist eine der größten Firmen der Welt. Von Independent kann man mit solch einer Produktionsfirma nicht mehr sprechen. Trotzdem: die Serienmacher und vor allem der Regisseur Philip Kadelbach (der zum Beispiel auch in „Parfum“ Regie führte) haben eine besondere, nicht alltägliche Serie geschaffen, die besonders durch ihre Verspieltheit auffällt. Die Tendenzen zum Indie-Genre sind also definitiv gegeben.
Wir Kinder vom Bahnhof Zoo
Regie: Philipp Kadelbach Darsteller: u.a. Jana McKinnon, Lena Urzendowsky, Lea Drinda, Michelangelo Fortuzzi, Jeremias Meyer und Bruno Alexander Filmstart: am dem 19. Februar 2021 auf Amazon Prime Filmlänge: 8 Folgen á circa 60 Minuten Genre: Coming Of Age FSK: ab 16 Jahren
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