„Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ erzählt die Geschichte des neunjährigen Mädchens Anna Kemper und ihrer Familie während der Zeit der Nationalsozialisten. Dabei bleibt die Kamera stets ganz nah an den Erfahrungen der Darsteller und dem kindlichen Blick auf die Welt. SPIESSER-Autorin Sophia empfiehlt, unbedingt Taschentücher mitzunehmen.
10. January 2020 - 07:51 SPIESSER-Autorin Miss_Sophia_.
Im Jahr 1933 gerät das Leben von Anna (Riva Krymalowski) völlig aus der Bahn: Nach der Machtergreifung Hitlers muss ihr Vater Arthur (Oliver Masucci) das Land verlassen. Mit seinen Theaterkritiken und seiner öffentlich kritischen Meinung zu den Nationalsozialisten hat er sich keine Freunde gemacht. Er flüchtet zunächst nach Prag, seine Frau Dorothea (Carla Juri) und die beiden Kinder sollen in die Schweiz gehen. Mitnehmen dürfen die Kinder nicht viel: ein paar Kleidungsstücke, ein Spielzeug und zwei Bücher. So muss sich Anna zwischen dem titelgebenden rosa Stoffkaninchen und einem Stoffhund entscheiden. Ab diesen Zeitpunkt beginnt für die kleine Anna ein Leben auf der Flucht und die Frage danach, was Heimat eigentlich bedeutet.
Unter der Regie der Oscar-prämierten Caroline Link („Der Junge muss an die frische Luft“) braucht es kein großes Ensemble für diesen Film, um auf Heimatsuche zu gehen. Neben bekannten Gesichtern wie Oliver Masucci („Er ist wieder da“), Carla Juri („Feuchtgebiete“), Justus von Dohnányi („Männerherzen“), Ursula Werner („Wolke 9“) und Anne Schäfer („Hot Dog“), sind es besonders die beiden Kinderhauptdarsteller Riva Krymalowski und Marinus Hohmann, die den Film von Anfang bis zum Ende tragen. Vor allem die Anna-Darstellerin und Newcomerin Riva spielt ihre Rolle mit einer erfrischenden kindlichen Leichtigkeit. Durch ihr Spiel scheint es so, als ob der kindliche Glaube an das Gute selbst in einer so grausamen Zeit wie dem Nationalsozialismus nicht verloren gehen kann. Rivas Darstellung ist bewegend und berührend zugleich, sodass sie damit ihre erwachsenen Kollegen alle an die Wand gespielt hat. Nichtsdestotrotz ergänzen und vervollständigen die anderen Darstellerinnen und Darsteller den Film zu einem Meisterwerk der Emotionen.
Die naive Sicht eines Kindes wird auch mittels einer starken
Bildführung ausgedrückt.
Filmischer Augenschmaus?
Der Film gehört definitiv zu meinen Topfilmen des Jahres 2019. Er versucht nichts zu verschönern, verklären oder zu verharmlosen. Er verstört seine jungen Zuschauer mit dem Gezeigten aber auch nicht. Die Bedrohung durch die Nazis wird nur unterschwellig ins Bild gerückt. Auf den Straßen marschieren keine SS-Männer mit Waffen und Uniformen und es gibt keine Gewaltszenen. Das Bedrohliche ist trotzdem immer zu spüren – besonders durch die Musik wird eine beklemmende Stimmung aufgebaut. Wie ich finde, zeigt der Film sehr viel Feingefühl für dieses hochsensible Thema. Mit einer Prise Humor und sehr viel Herzblut wird die Geschichte zu einer runden Sache.
Die naive Sicht eines Kindes wird auch mittels einer starken Bildführung ausgedrückt. Das Kameraauge ist stets nah an den Figuren. Distanzen existieren nicht, die Filmemacher bemühen sich um eine größtmögliche Nähe. Detailaufnahmen der neuen Umgebungen, in denen Anna leben muss, werden fokussiert. Teilweise brauchen die gezeigten Bilder keine Dialoge, denn sie wirken für sich. Und immer wenn die Familie Kemper den Ort wechseln muss, läuft Anna ein letztes Mal durch die Gassen und verabschiedet sich nicht nur von den Menschen – neben der Kamera ist es vor allem Riva Krymalowski, die diese wiederkehrenden Momente einprägsam macht.
An dem Film gibt es nichts zu bemängeln. Der Spannungsbogen wird trotz zwei Stunden Filmlänge stets aufrechterhalten.
Braucht man Taschentücher?
Ja! Die perfekte Mischung aus Humor, Herz und Musik kann ein Tränchen hervorlocken.
Mit wem angucken?
Am besten ihr schnappt euch Freunde und Familie und geht zusammen ins Kino.
Was macht man danach?
Wenn es nicht schon davor geschehen ist, solltet ihr nach dem Film den gleichnamigen Roman von Judith Kerr lesen. Ansonsten besucht eure Großeltern und lasst euch Geschichten von damals erzählen.
In drei Worten:
Bewegend. Berührend. Herzzerreißend
Große Leinwand oder kleiner Bildschirm?
„Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ ist zurecht auf der großen Leinwand, denn es ist zu 100 Prozent großes Kino – nicht nur für Erwachsene, sondern auch für junge Zuschauerinnen und Zuschauer. Aufgrund der Flüchtlingssituation kann die Thematik auch auf unsere heutige Zeit übertragen werden. Somit schafft Caroline Link ein sehr aktuell nachwirkendes Drama.
Mainstream oder Independent?
Zum klassischen Hollywood-Mainstream-Gedöns würde ich den Film nicht einordnen, richtig Independent ist das deutsche Drama, unter anderem aufgrund der Thematik, aber auch nicht. Meines Erachtens balanciert der Film genau in der Mitte zwischen beiden Richtungen.
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Regie: Caroline Link Darsteller: Riva Krymalowski, Oliver Masucci, Carla Juri, Marinus Hohmann, Ursula Werner, Anne Schäfer, Justus von Dohnányi
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