Deutscher Kurzfilmpreis 2019: Gedicht auf Leinwand
Kinofilme von über neunzig Minuten Länge kennt fast jeder – doch wie sieht es mit der kürzeren Variante aus? Bei der Verleihung des Deutschen Kurzfilmpreises konnte SPIESSER-Autorin Fabienne in den extravaganten Sälen der Elbphilharmonie ein neues Medium filmischer Kunst kennen lernen.
27. November 2019 - 12:00 SPIESSER-Autorin Pamina96.
Kreativ, experimentierfreudig, aufrüttelnd and amüsant – das ist die Definition von Kurzfilmen, die ich im Kopf habe, als ich die Veranstaltung im Kleinen Saal des Wahrzeichen Hamburgs erreiche. Erreichbar ist dieser über eine zweiundachtzig Meter lange Rolltreppe mit einem spektakulären Ausblick auf die Hamburger Hafencity bei Nacht.
Die vorfreudige Spannung der Anwesenden im Saal ist deutlich spürbar, als ich in der zweiten Reihe mit meinem Veranstaltungs-Bändchen am Handgelenk Platz nehme. Von dem gut aufgelegten Moderator Yared Dibababa erfahre ich die Hintergründe dieses Abends, nachdem Plazebo als anwesender DJ mit einer kurzen Lightshow die Vorfreude des Publikums noch gesteigert hat: Aus insgesamt zwölf hochwertigen Kurzfilmen werden die besten ausgewählt, um mit der höchstdotierten Auszeichnung für Kurzfilme in Deutschland versehen zu werden. Allein für die Nominierung wird ein Kurzfilm mit 15.000 Euro geehrt. Insgesamt haben die Preisgelder sogar einen Wert von 275.000 Euro, die dazu anregen sollen, neue Filme mit künstlerischem Rang zu produzieren.
Die Finalisten
In kurzen Auszügen werden uns die nominierten Filme präsentiert. Viele davon wurden bereits auf einigen internationalen Filmfestivals gezeigt, beispielsweise „Die letzten fünf Minuten der Welt“, „Dorotchka“ und „Der Proband“.
Für den Kurzfilm „Der Proband“ über den Protagonisten Dominique, der sich wegen finanzieller Probleme auf immer gefährlichere Tests in einer Klinik einlässt, wird Regisseur Hannes Schilling an diesem Abend der Deutsche Kurzfilmpreis für den besten Kurzfilm zwischen zehn bis dreißig Minuten Laufzeit überreicht. Jürgen Heimüllers Kurzfilm „Die letzten fünf Minuten der Welt“, in dem auf einer Bank vor dem Haus letzte Geständnisse und Versöhnungen stattfinden, gewinnt in der Kategorie bester Spielfilm bis zehn Minuten. Der Kurzfilm „Blue Boy“ von Manuel Abramovich wird als bester Dokumentarfilm bis dreißig Minuten geehrt. In diesem Streifen stehen sieben junge Männer vor der Kamera, um über ihre Erfahrungen als Sexarbeiter zu berichten.
Zum besten Animationsfilm bis dreißig Minuten Laufzeit wird Maria Trigos Teixeiras Streifen „Inside me“ über eine Schwangere gekührt, die sich gegen ihr Kind entscheidet. Der Kurzfilm „Wir sprechen heute noch Deutsch“ von Clara Winter und Miguel Ferráez, der sich kritisch mit Integration auseinandersetzt, erhält den Deutschen Kurzfilmpreis als bester Experimentalfilm bis dreißig Minuten. Zuletzt werden Sarah Schreier, Stefan Gieren und Florian Kunert für den Film „Fortschritt im Tal der Ahnungslosen“, der auf DDR-Zeiten Bezug nimmt, zur Bühne gebeten, um den Sonderpreis des Deutschen Kurzfilmpreises überreicht zu bekommen.
Durch Dr. Winands, Amtschef der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, werden die Auszeichnungen unter stürmischem Applaus verliehen. Kurz nach der Preisverleihung möchte ich von ihm wissen, was das Besondere an dem Medium Kurzfilm darstellt. „Die größte Herausforderung beim Kurzfilm ist es, sich kurz zu fassen“, bringt Dr. Winands es auf den Punkt. „In kurzer Zeit muss darin eine Botschaft an die Zuschauer vermittelt werden.“ Er gesteht mir, dass er selbst auch nicht immer die Zeit habe, einen langen Film anzuschauen, sodass ein Kurzfilm ihm öfters besser passe.
„Kurzfilme sind dadurch, dass sie sich meistens auf gesellschaftliche Themen beziehen, direkt am Puls der Zeit“, lerne ich kurz darauf von Jury-Mitglied Sylke Gottlebe. „Für einen guten Kurzfilm ist es wichtig, dass er sehr gut fokussiert ist und für Überraschungen bei den Zuschauern sorgen kann, zum Beispiel durch einen Wendepunkt.“ Mit Stimmung und Atmosphäre könne dabei viel gespielt werden.
Kurzfilme als filmisches Gedicht
Während der Preisverleihung fasziniert es mich, dass Maria Trigo Texeira, die Regisseurin und Drehbuchautorin von „Inside me“, auf der Bühne verrät, dass sie Kurzfilme wie ein Gedicht betrachte. Kurzfilme seien für sie eine eigene Form, die sich von den Mainstream-Filmen unterscheidet. Sie könnten auf eine Art und Weise Geschichten erzählen wie auch Gedichte es schaffen, höre ich als ich bei einem Glas Wasser im Foyer genauer nachfrage. „Bei einem Gedicht muss man zwischen den Zeilen lesen, beim Kurzfilm ist es genauso“, sagt Maria Trigo Texeira. „Weil der Prozess insgesamt kürzer ist, lässt es sich leichter damit experimentieren.“ Sie hofft, dass Kurzfilme weiterhin mit Auszeichnungen wertgeschätzt werden und insgesamt zukünftig auch mehr Eingang in die Kinos finden.
KURZ.FILM.TOUR
Die nominierten und ausgezeichneten Filme des Deutschen Kurzfilmpreises werden in den kommenden Monaten auf der KURZ.FILM.TOUR in deutschen Kinos zu sehen sein. Wir halten euch auf dem Laufenden! Infos zu den Nominierten gibt's hier.
Text: Fabienne Kollien Teaserbild: Aus „Wir sprechen heute noch Deutsch“ von Clara Winter & Miguel Ferráez
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