SPIESSER-Autorin Patricia hat sich das ominöse Buch "Jetzt" von Annalena Baerbock zu Gemüte geführt und war ungeachtet aller Vorwürfe spontan hellauf begeistert. Warum? Das verrät sie euch in ihrer Rezension.
In „Jetzt“ geht es um den Menschen im Mittelpunkt seiner Umwelt. Frau Baerbock steht für eine Politik mit sowohl sozialem als auch ökologischem Antlitz. Sie spricht konkret von einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Das bedeutet sie ist nicht antikapitalistisch eingestellt. Im Gegenteil. Sinngemäß zitiert, sagt sie: Wir könnten den kapitalistischen Wettbewerb als Innovationstreiber sogar für die Umgestaltung der wirtschaftlichen Situation nutzen. Ihrer Meinung nach müsste die Politik dahingehend nur die richtigen Anreize schaffen und regulierend wirken.
Außerdem sieht sie all das auch in europäischen und internationalen Zusammenhängen, denn das Klima ändert sich bekanntlich überall. Oder anders gesagt, leben wir alle auf demselben Planeten und es wäre hilfreich in dieser Klimakrise zusammenzuarbeiten und Kräfte zu bündeln. Ist ja auch nur logisch, irgendwie. Bei ihren Ausführungen weist Frau Baerbock auch auf die zukünftige Bewohnbarkeit unseres Planeten für kommende Generationen hin. Der Kapitalismus ist für sie ein Mittel zum Zweck. Der Zweck ist, soviel Biodiversität und intakte Lebensräume für die Nachwelt, „rüberzuretten“ in die Zukunft, wie möglich.
Was mir auch gut gefällt, ist der Ansatz, eben nicht immer in den Kategorien des entweder/oder denken zu müssen. Entweder Markt oder Staat, Kapitalismus oder Klimaschutz, Verzicht oder Konsum. Und wer etwas gegen Migranten hat, wird mit Frau Baerbock sicherlich nicht glücklich, denn sie erklärt schon ganz am Anfang des Buches, dass sie ein Problem mit Sexismus, Rassismus und Antisemitismus hat. Der Begriff „Sozial“ schließt in ihren Augen alle Menschen mit ein. Das finde ich nicht nur sympathisch, sondern auch notwendig, weil Deutschland nun mal kein eigenständiger Planet ist.
Ich finde auch ihre Idee aus dem Buch gut, dass wir im Parlament mehr Interessenvertreter aller Schichten haben sollten. Das wir eine „Demokratie der Vielfalt“ anstreben sollten, weil die Mehrheit unserer Bevölkerung eben keinen Universitätsabschluss hat, weil wir nicht alle weiß sind, weil wir nicht alle Männer sind usw. Frau Baerbock macht auch klar, dass es nicht nur unsozial ist, so viele Menschen im Hartz-IV-Abstellgleis verharren zu lassen, sondern auch unökonomisch und plädiert deshalb für bessere Grundschulen, weil dort alle Kinder erreicht werden. Dafür hat sie konkrete Vorschläge. Beispielsweise, dass Lehrer durch Sozialpädagogen unterstützt werden könnten. Und um den Kreis zu schließen, eine florierende Wirtschaft, die unsere Ressourcen schont, kann auch auf soziale Ungerechtigkeit Einfluss nehmen, erklärt sie, weil die Sozialpädagogen dann eben auch bezahlt werden können.
Annalena Charlotte Alma Baerbock. Ein Mitglied der Partei „Bündnis 90/die Grünen“. Sie ist zusammen mit Robert Habeck, Vorsitzende dieser Partei und ihre erste Kanzlerkandidatin für die Bundestagswahl 2021.
Kurz und knapp oder dicker Schinken?
Mit 240 Seiten fällt das Buch in die Kategorie kurz und knapp.
Für die Bahn, den Sessel oder den Pausenhof?
Ganz egal. Hauptsache es wird gelesen.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schwer ist es, das Buch wegzulegen?
Ich empfehle, es in kleineren Häppchen zu lesen und gut durchzukauen. Die Gliederung in die einzelnen Kapitel hilft dabei.
Wem borgt man es nach dem Lesen als erstes?
Der jüngeren Schwester mit dem Hinweis „Lass krachen Cricky!“ (A.d.R. Zitat aus dem Disney Film „Mulan“)
Lieblingszitat:
„Ich bin aufgewachsen in der trügerischen Sicherheit, dass das Zusammenwachsen Europas, die enge Bindung der Demokratien beiderseits des Atlantiks und gelebte Freiheit in unseren demokratischen Gesellschaften sich fortschreiben. Aber Zukunft passiert nicht einfach, sie ist kein Schicksal. Sie wird von Menschen gemacht, im Guten wie im Schlechten. Wir haben es in der Hand.“ (Seite 11)
In drei Worten:
Enthusiastisch. Optimistisch. Idealistisch.
Fazit:
Ich kann die allgemeine Meinung nicht teilen, dass Frau Baerbock dieses Buch hätte, nicht schreiben sollen, denn ich lese lieber Bücher, als mir endlose Debatten des Parlaments anzuhören. Außerdem macht die Erzählweise des Buches einfach Laune. Es ist mit Erfahrungen aus dem politischen Alltag und persönlichen Eindrücken gespickt, die dann in die großen Zusammenhänge gesetzt werden. Ich finde dieses Buch ist empfehlenswert als Einstiegsdroge für aktuelle grüne Themen. Oder, wie in meinem Fall, als Wiedereinstieg, denn ich selbst bin gerade wieder auf den Geschmack gekommen, nachdem ich lange Zeit nichts dergleichen gelesen hatte
In der „Süddeutschen Zeitung“ konnte ich nachlesen, dass Frau Baerbock im Gespräch aufgenommen wurde und das Buch in Zusammenarbeit mit Michael Ebmeyer entstanden ist. Das erklärt auch, warum sich das Buch liest wie ein Monolog über alles was die Kanzlerkandidatin mit Herz und Verstand verwirklichen wollen würde. Und es ist auch ein Text darüber geworden, was sie jeder anderen deutschen Regierung empfehlen würde. Ich denke, wer ihre Stimme kennt, wird sich sehr leicht vorstellen können, wie sich dieser Monolog in Wirklichkeit anhören würde. Das Schöne an dem Buch ist, dass, anders als im Interview, keine Zwischenfragen gestellt werden. Stattdessen fließt alles einfach ebenmäßig dahin und man entdeckt, dass hier jemand Ideen hat, die uns voranbringen können. Beziehungsweise! Das hier jemand für Ideen einstehen könnte, die uns voranbringen würden, wenn man diesem Jemand einfach mal eine Chance einräumt.
Ich jedenfalls bin bespannt, was die kommende Bundestagswahl und die bevorstehenden Jahre bringen. Klimaschutz sollte dabei in jedem Fall eine zentrale Rolle spielen, dabei sind wir alle uns wenigstens einig, hoffe ich.
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