Ein Leben voller Hass und Vorurteile – damit muss Bigger Thomas jeden Tag umgehen. Im Amerika der 1920er Jahre ist die afro-amerikanische Bevölkerung unterdrückt und lebt in einer Spirale der Gewalt. Hauptprotagonist Bigger lässt euch an seinem Leben teilhaben – und an einem Mord. SPIESSER-Autorin Annika hat sich den Bestseller „Sohn dieses Landes“ genauer angeschaut.
12. June 2019 - 13:31 SPIESSER-Autorin Little Miss Wonder.
Bigger Thomas ist ein junger Schwarzer und lebt in Chicago. Nach seinem Aufenthalt in einer Besserungsanstalt für gewalttätige Jugendliche bietet ihm der wohlhabende Mr. Dalton einen Job als Chauffeur an. Direkt an seinem ersten Arbeitstag muss Bigger spätabends die betrunkene Tochter des Hauses, Mary, nach einem Ausflug in ihr Zimmer bringen. Durch den Lärm wecken sie Marys blinde Mutter. Aus Angst vor falschen Verdächtigungen versucht Bigger, das Mädchen mit einem Kissen zum Schweigen zu bringen und erstickt sie dabei versehentlich. Doch damit nicht genug: Um alle Spuren zu verwischen, lässt er Marys Leiche im Kamin verbrennen und hackt ihr aus platztechnischen Gründen zudem noch den Kopf ab. Mit zunehmendem Verlauf der Geschichte verstrickt sich Bigger immer weiter in ein Netz aus Lügen, um den Vorfall zu überdecken, bis er schließlich überführt und des Mordes und der Vergewaltigung angeklagt wird.
Ganz Amerika ist gegen den jungen Schwarzen, nur der Anwalt Max kämpft um Verständnis für Biggers Taten. Doch die Sympathie für Bigger muss sich Max hart beim Leser erkämpfen, denn der junge Afro-Amerikaner ist ein Mensch voller Misstrauen. Er versteckt seine eigene Angst und Unsicherheit durch Gewalt. Deshalb empfindet er Hass gegenüber sich, seiner Situation und allen Menschen um ihn herum. Dieser Spirale kann Bigger kaum entkommen. Erst Max zeigt ihm, ebenso wie den Lesern, dass es einen Zusammenhang zwischen Biggers Tat und den sozialen Zwängen in dieser Zeit gibt.
„Sohn dieses Landes“
Autor: Richard Wright Veröffentlichung: 15. April 2019 Seitenzahl: 571
Wer steckt dahinter?
Hinter dem Roman steckt einer der bedeutendsten afro-amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts: Richard Wright. Mit 19 Jahren verließ er seine Heimat und ging nach Chicago. Dort arbeitete Wright zunächst als Straßenfeger, Tellerwäscher und Postangestellter. In dieser Zeit schrieb er Essays, Kurzgeschichten und Gedichte, bis ihm mit „Native Son“ (1940) der Durchbruch gelang. Das Buch wurde mehrfach verfilmt und 1941 sogar am Broadway aufgeführt.
Kurz und knapp oder dicker Schinken?
Weder, noch. Mit 571 Seiten ist die Geschichte von Bigger Thomas durchaus nicht kurz gehalten, allerdings ist der Schreibstil so flüssig, dass die Seiten nur so dahinfliegen. Ehe man sich versieht, schreitet die Geschichte immer weiter voran und man möchte unbedingt wissen, wie es mit Bigger weitergeht.
Für die Bahn, den Sessel oder den Pausenhof?
Eindeutig für den Sessel. Bigger ist kein Charakter, der vor Leben und Fröhlichkeit sprüht. Vielmehr ist er ein Mensch, der eine perspektivlose Zukunft vor sich hat. Sein Gefühlsleben, seine Situation und seine Vorgehensweisen muss man nachvollziehen können, auch wenn es schwer fällt. Um sein komplexes Gedankenkonstrukt zu verstehen, sollte man sich etwas Zeit und Ruhe nehmen.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schwer ist es, das Buch wegzulegen?
Ganz ehrlich: Bigger ist gerade zu Beginn kein besonders sympathischer Protagonist. Er hasst alles und jeden, erscheint arrogant und lässt seine Familie und Freunde unter seiner Wut auf sich selber leiden. Dennoch zieht die Geschichte den Leser schnell in ihren Bann. Während der erste Teil Biggers Mord an Mary und seiner mitwissenden Freundin Bessie behandelt, geht es im zweiten Teil um die juristische Verteidigung von Anwalt Max. Für den Spannungsfaktor vergebe ich daher eine 7.
Wem borgt man es nach dem Lesen als erstes?
Allen, die sich für gesellschaftskritische Literatur interessieren. Der Roman ist zeitlos geschrieben und liest sich sehr angenehm. Somit ist er für jede Altersgruppe geeignet und vermittelt nicht nur ein Bild über die Zeit der Unterdrückung afro-amerikanischer Bürger, sondern regt auch zum Nachdenken über den Umgang miteinander an.
Lieblingszitat:
Ein Flugzeug schrieb hoch oben etwas in die Luft. […]
„Diese Weißen, die können schon fliegen“ sagte Gus.
„Ja“, sagte Bigger. „Die können aber auch lernen, was sie wollen“. (S. 26f.)
In drei Worten:
aufrichtig, gesellschaftskritisch, zeitlos
Text: Annika Stuke
Teaserbild: Romy Roediger
Coverfoto: KEIN & ABER
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