„Staat X“ ist wie ein Traumbild, das mit der Zeit immer weiter eskaliert. Es geht um Liebe, Freundschaft, aber auch Intrigen und letztendlich Gewalt. Im Buch lernt man die handelnden Personen mit ihren Problemen kennen und erfährt die Handlung durch ihre Brille.
18. June 2019 - 07:43 SPIESSER-Autorin Marlene Vol.
Eine Schule, regiert von den Schülern. Keine Lehrer, keine Eltern, die irgendwas zu sagen haben. Das ist die Idee hinter „Staat X“ von Carolin Wahl. In dem Buch geht es darum, dass die Schüler des Johannes-Gutenberg-Gymnasiums eine Woche lang einen eigenen Staat bilden. Zu Beginn der Geschichte erlebt der Leser, wie die Jugendlichen ihren Präsidenten wählen. Es gibt keine Kapitel: Peu a peu lernt der Leser die verschiedenen handelnden Personen kennen und kann schon die ersten Verwicklungen erahnen. Man liest zum Beispiel von Vincent, dem Kiffer, der gerne Fortnite spielt und in Staat X Polizist ist. Oder Adrian, der eigentlich Präsident werden will, aber dann ganz überraschend zum Polizeipräsidenten ernannt wird.
Was wirklich auffällt: Alle Protagonisten sind irgendwie belastet, der Leser erfährt aber erst im Laufe der Geschichte, was überhaupt das Problem ist. Und schon bei der Wahl des Präsidenten und Adrians anschließender Ernennung zum Polizeipräsidenten wird klar, dass die Wahl des netten, aber schwachen Lars zum Staatsoberhaupt manipuliert war. Zuerst scheint Staat X aber gut anzulaufen: Melina, Ex-Freundin von Adrian, die ihn immer noch liebt, und ihre Freundin Olga bauen ihr Büchercafé „Büchereule“ auf, Lara – die Neue, die nur mit Glück einen Job im „Staat“ bekommen hat – arbeitet als Journalistin bei der „Morgenpost X“. Außerdem entwickelt sich etwas zwischen Lara und Vincent. Erst wirkt die Idee des Staats in der Schule wie ein großer Spielplatz. Die jungen Kinder müssen zwar abends nach Hause gehen, aber die Oberstufenschüler machen abends noch Party. Mit Drogen und Alkohol, was aber eigentlich verboten ist. Auf den Fluren sorgt ein Verkaufsstand für Nutella-Duft und alle sind erst mal glücklich.
„Sohn dieses Landes“
Autor: Carolin Wahl Veröffentlichung: 11. März 2019 Seitenzahl: 400
Aber irgendwann eskaliert alles: Die ersten Schüler werden festgenommen. Denn im Staat X gibt es auch eine Polizei, Strafgerichte und ein Gefängnis. Die Polizei an sich verändert sich auch, waren da am Anfang auch noch Mädchen und jüngere Schüler, werden sie gegen Ende des Buches von großen Schlägertypen ersetzt. Es erinnert an die Machtergreifung Hitlers: ein schwacher Präsident und Schläger, die andere Menschen einschüchtern. Es gibt sogar eine Gesetzesänderung, die Adrian durchbringt, die ein bisschen an diese Zeit erinnert. Am Ende geht aber alles gut, obwohl Lara und Marina sogar von ein paar Polizisten gekidnappt werden.
Wer steckt dahinter?
Die Autorin ist Carolin Wahl, sie ist 1992 in Stuttgart geboren, hat in München Germanistik und Geschichte studiert und längere Zeit in Edinburgh gelebt. Mittlerweile wohnt Wahl wieder in der Schwabenmetropole. Sie wurde für ihre Werke schon mit mehreren Auszeichnungen bedacht. Für „Staat X“ hat sie sich übrigens die „Verfassung“ des Johannes-Kepler-Gymnasiums Weil der Stadt ausgeliehen.
Kurz und knapp oder dicker Schinken?
Das Buch hat gute 400 Seiten und ist damit auf jeden Fall ein dicker Schinken. Da es viele Perspektivwechsel gibt, lässt es sich aber gut lesen. So erlebt der Leser auch Handlungen aus verschiedenen Blickwinkeln. Beispielsweise der Erzählstrang um Journalistin Lara und Polizist Vincent, die sich ja gerne haben: Lara bemerkt, dass Leute anders mit Vincent umgehen, als vor „Staat X“ und findet das merkwürdig. Vincent merkt das auch, es gefällt ihm aber in gewisser Weise.
Für die Bahn, den Sessel oder den Pausenhof?
Definitiv nicht für den Pausenhof, aber die ersten paar hundert Seiten spitzt sich die Situation im Buch auch noch nicht so sehr zu, dass man unbedingt komplett in Ruhe lesen muss. Was ich als Höhepunkt des Buches erlebt habe, kommt ziemlich spät im Buch.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie schwer ist es, das Buch wegzulegen?
Ich vergebe eine 7. Man wartet wie gesagt relativ lange darauf, dass irgendwas wirklich „krasses“ passiert. Deshalb will man auch irgendwie immer weiterlesen.
Wem borgt man es nach dem Lesen als erstes?
Hätte ich jüngere Geschwister, würde ich es ihnen geben. Die Protagonisten sind Jugendliche, in die man sich hineinversetzen muss. Für sie ist es zum Beispiel schlimm, ihr Handy abgeben zu müssen. Außerdem leben Jugendliche wirklich noch in der Schule und wissen, wie groß der Einfluss ist, dem man dort ausgesetzt ist.
Lieblingszitat:
„Melina fand keine Worte, doch mittlerweile waren die Polizisten mit Adam von der Bühne verschwunden, drängten ihn an den Zuschauern vorbei, die ihnen Platz machten. Die Menge wich weiter zurück, sodass die Polizeieskorte ohne Probleme die Tür erreichte. Das Mädchen, das sich getraut hatte, eine Frage zu stellen, wurde ebenfalls abgeführt. Sie weinte. Und keiner reagierte. Angst als Mittel der Macht. Angst lähmte sie alle.“ S. 348/349
In drei Worten:
Liebe, Betrug, Intrigen
Text & Teaserbild: Marlene Volkmann Coverfoto: Loewe Verlag
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