„No Roots“ katapultierte Alice Merton direkt in die deutschen Charts und eroberte im Sturm die Übersee. Mit ihrem Debut-Album „MINT“ stellt sie nun unter Beweis, dass sie viel mehr ist, als nur ein One-Hit-Wonder. In ihrem Berliner Büro gibt die deutsch-britischen Künstlerin SPIESSER-Autorin Anna ein paar sehr persönliche Einblicke in ihr turbulentes Leben und Arbeiten innerhalb einer gnadenlosen Musikindustrie.
28. January 2019 - 10:35 SPIESSER-Autorin annaweigelt.
„2 Kids“ ist eine Hommage an deinen besten Freund und Manager Paul Grauwinkel. Was ist eure schönste gemeinsame Erinnerung? (2 Kids)
Für mich gab es einen sehr bedeutenden Moment, als wir noch studierten und im selben Wohnheim wohnten. Mein Freund hatte gerade mit mir Schluss gemacht, ich war total traurig und ging rüber zu Paul. Als er mich sah, dimmte er das Licht, machte Musik an und meinte: „Lass uns tanzen.“ Er wollte, dass ich den Raum um uns herum genauso vergesse wie meine Trauer und dass ich daran denke, dass das Leben weiter geht. Das war ein schöner Moment.
Du bist bilingual aufgewachsen – deine Mutter ist Deutsche, dein Vater Engländer. Wie hat sich das auf deine Persönlichkeit ausgewirkt? (No roots)
Und ich habe lange in Kanada gelebt! Aber ich fühle mich tatsächlich weder Deutsch, noch Irisch oder Kanadisch. Ich fühle mich im Grunde zu überhaupt keinem Land zugehörig. Das klingt vielleicht ein wenig merkwürdig, aber mit der Zeit habe ich verstanden, dass mein Zuhause in der Musik liegt und bei Leuten, die mir wichtig sind.
Hat das auch Nachteile, dass Heimat für dich an Menschen gekoppelt ist? (Homesick)
Früher sind wir oft umgezogen. Das hat dazu geführt, dass ich auch zwischenmenschlich nicht immer neue Wurzeln aufbauen konnte. Ich war zu allen nett, lebte aber eher in den Wolken. Und auch jetzt bin ich beruflich viel unterwegs und öffne mich den Menschen nicht so, wie ich es vielleicht gerne würde. Zum Glück gibt es drei Menschen, mit denen ich schon immer eng verbunden war – und das wird auch immer so bleiben.
Deine Debut-Single hat Paper Plane Records International herausgebracht, ein Label, welches du und Paul zusammen gegründet haben. Gab es einen Anlass dafür? (Funny Business)
Ich wollte „No Roots“ ursprünglich von einem Major-Label herausbringen lassen, aber keiner hat die Musik so hingenommen, wie ich sie haben wollte, immer wollten sie etwas ändern. Deshalb haben wir uns gesagt, dass – wenn ich wirklich kreative Freiheit haben möchte – wir ein eigenes Label gründen müssen.
Gibt es momentan etwas, das dir auf der Seele brennt? (Lash out)
Da gibt’s tausend Sachen! „Lash out“ bezog sich damals auf die Plattenfirmen. Darauf, dass es Leute gibt, die zu wissen meinen, was für dich am besten ist. Als Newcomer wird man oft nicht ernst genommen. Aber vor allem als Frau in einer Musikindustrie, die zu 90 Prozent aus Männern besteht, hat man es nicht leicht. Im Radio werden hauptsächlich männliche Acts gespielt, auch bei Festivals ist das nicht anders. Ich weiß nicht genau, woran das liegt, aber Männer werden auf jeden Fall mehr unterstützt und öfter gebucht. Deswegen finde ich, dass Frauen andere Frauen unterstützen sollten. Und das branchenunabhängig.
Bist du eine eher nachtragende Person oder kannst du gut verzeihen? (I don’t hold a grudge)
„I don’t hold a grudge“ handelt von einem Kumpel, der mich drei Jahre lang ignorierte, obwohl ich mich gern mit ihm treffen wollte. Er meinte irgendwann, dass das nicht geht, weil seine Freundin mich nicht mag. Das hat mich sehr getroffen. Und dann, plötzlich, als er „No Roots“ im Radio hörte, kam er auf mich zu und wollte sich mit mir verabreden. Da dachte ich mir: „Du Blödmann, das ist sowas von unfair!“. Ich sage eigentlich in dem Song, dass ich nicht nachtragend bin. Aber ja, ich kann in manchen Hinsichten wohl doch sehr nachtragend sein…
In „Why so serious“ verarbeitest du das raue Klima innerhalb der Musikindustrie. Hat dich die Arbeit in der Musikbranche verändert? (Why so serious)
Ich habe mehr Verantwortung jetzt. Verändert fühle ich mich aber nicht. Mir war es im Grunde immer wichtig, mein eigenes Ding durchzuziehen. Also hoffe ich zumindest, dass ich mich nicht verändert habe...
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