SPIESSER.de-Autor Robert hat beim Festival Haltestelle Woodstock im polnischen Küstrin mit 400.000 Hippies getanzt. Nur für das traditionelle Bad im Schlamm war er zu spießig.
11. August 2010 - 10:42 von SPIESSER-Autor Robatt.
Das Wasser, das meine Füße umspült, hat dieselbe Farbe wie der Sand des ehemaligen Militärgeländes in Kostrzyn (Küstrin), auf dem ich die letzten zwei Nächte verbracht habe. Was ich hier gerade von mir dusche, ist der Dreck meines ersten Festivalbesuches. Ich habe meine Festivaljungfräulichkeit an die Haltestelle Woodstock verloren.
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Freitagnacht geht es los. Zwei Mädels und drei Kerle – fünf Teilzeithippies die nach Küstrin fahren um „Peace, Love & Music“ aus nächster Nähe kennenzulernen. Raus aus dem schönen Sachsen, durchs verlassene Brandenburg und hinein ins wundervolle Polen. Dem Land, dem mein Herz gehört. Eingeparkt, ausgeladen und über das Festivalgelände gestiefelt, stellt sich die Frage: „Wo stellen wir nachts um eins unser Zelt auf?“ Dummerweise haben wir auch noch das größte Fünfpersonenzelt mitgenommen. Festivaljungfrauen müssen eben erstmal Erfahrungen sammeln.
In einem drei Meter tiefen und etliche Quadratmeter großem Krater finden wir schließlich ausreichend Platz. Ein wenig abgelegen mit einer bunt gemischten Nachbarschaft. Und wenn es regnet, dann saufen wir hier unten alle ab. Das ist genau das richtige für uns. Unerschrocken und heldenhaft machen wir Kerle uns an die Errichtung unserer Herberge – die Mädels schauen fasziniert dabei zu. Gibt es eigentlich etwas Romantischeres als im Mondschein ein Zelt aufzubauen? Ich glaube nicht.
Erst im Sonnenschein des Samstagmorgens können wir die ungefähren Ausmaße dieses Festivals erahnen. 400.000 Leute, ja, in Worten: vierhunderttausend Leute, sollen hier sein. Genau kann das keiner sagen, denn wenn keine Eintrittskarten verkauft werden, kann das auch keiner zählen. Haltestelle Woodstock ist eines der größten Open-Air-Festivals in Europa und der Eintritt ist frei. Hippies, Punks, Familien, Aussteiger, Polen, Tschechen, Deutsche, Spanier – bunter könnte die Mischung kaum sein.
Beim Rundgang über das Festivalgelände kommen die Bilder der Schweinegrippe wieder in den Kopf. Menschen mit Mundschutz strömen aus allen Richtungen über das Areal. Hier geht kein Virus, außer der der guten Laune, um. Hier hat keiner eine Krankheit im Körper, außer der Liebe. Wenn 400.000 Weltverbesserer über ausgetrockneten Sandboden laufen, dann steht der Dreck mitten in der Luft. Der Staub beißt im Rachen, die Sonne brennt auf den Kopf. Es ist Zeit für eine geballte Ladung Wasser.
So wie andere Festivalbesucher im traditionellen Schlammloch zu baden – dafür sind wir zu unkrass. Wir beschließen nach einem See oder Schwimmbad zu suchen. Die Fahrt durch das 20.000-Seelen-Städtchen gleicht einer Pilgerreise gemeinsam mit unzähligen Anhängern dieses wunderbaren Lebens im Ausnahmezustand. Das Schwimmbad mit den Maßen von zehn mal zehn Metern reicht zumindest aus, um unsere geschundenen Körper zu erfrischen.
Glückliche Teilzeithippies voller Liebe
Zurück auf dem Festivalgelände gibt es Ohrringe, Ketten, Armbänder, Mützen, Taschen und Röcke zu bestaunen. Die Farben Rot, Gelb, Grün und Schwarz dominieren die Stände der Händlermeile. Frisch bestückt mit Lederriemchen, Buttons und T-Shirts stürzen wir uns wieder ins Getümmel. Polnischer Reggae von Maleo Reggae Rockers, Rockmusik von Girl in a Coma aus Amerika und Lessdress aus Polen sind nur ein Bruchteil der Künstler, die ohne Gage auftreten.
Das polnische Bier verdünnt das Blut, der Staub verstopft die Nase und glückliche Teilzeithippies tanzen vor der Bühne. Blicke fliegen durch die Luft, treffen sich, halten einander fest, lösen sich wieder. Eine Menschenmasse voller Liebe.
Für ein paar Stunden ist die Welt in Ordnung. Bis der Alltag und die deutsche Gesellschaft uns wieder als Geiseln nehmen. Was uns bleibt sind eingebrannte Erinnerungen, Lederarmbänder und Fotos von Tagen in einer besseren Welt – analoge natürlich.
Erfahrungsberichte sind echt was Feines. Deswege haben wir auch einen gemacht. Zu Woodstock. Dem einmaligsten Festival der Welt. Man kanns einfach nur lieben.
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Erfahrungsberichte sind echt was Feines. Deswege haben wir auch einen gemacht. Zu Woodstock. Dem einmaligsten Festival der Welt. Man kanns einfach nur lieben.
http://www.artiberlin.de/article/Haltestelle_Woodstock_Unkonventionell_d...