Brief an …

Brief an... Reclam-Hefte

SPIESSER.de-Autoren schreiben Briefe. Diesmal schreibt Senfgruen einen Brief an die trockene Schullektüre.

02. October 2010 - 14:39
von SPIESSER-Autorin Senfgruen.
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Senfgruen Offline
Beigetreten: 25.04.2009

Liebe Reclam-Hefte,

ihr seid klein, gelb, riecht nach toten Bäumen – und bringt Schüler an den Rand der Verzweiflung! So verhasst ihr bei uns seid, so sehr lieben euch unsere Lehrer. Goethe, Schiller oder Brecht – sie alle lassen die Herzen der Pädagogen schneller schlagen.

Aber ich frage mich: Brauchen wir euch wirklich?

„Selbstverständlich!“, würde mein ehemaliger Deutschlehrer entrüstet rufen und fortfahren: „Die Werke regen unsere Fantasie an, da sie fast unbegrenzten Interpretationsraum bieten.“

Doch leider: Die Werke bieten oft so großen Interpretationsraum, dass man sich als Schüler leicht darin verläuft und nicht mal mehr Bahnhof versteht. Ihr seid verwirrend! Manchmal lesen wir eure Verse fünf Mal und wissen immer noch nicht, was uns eure Autoren damit sagen wollen.

Könnt ihr euch nicht mal klarer ausdrücken? Eure Sprache ist längst überholt. Und eure Themen? Nein, die nicht: Ihr erzählt von Liebe, Freundschaft, Krieg. Das ist das, was euch „zeitlos“ macht, wie unsere Deutschlehrer schwärmen. Doch auch Bücher aus unserem Jahrhundert erzählen davon – und zwar flotter, verständlicher, unterhaltsamer!

Reclam-Hefte

Zugegeben: Unter euch tanzen auch junge Exemplare. Nur leider landen nur die alten Schinken auf unserer Schulbank.

Wieso nicht mal was Modernes, Jugendliches lesen? Es muss ja nicht gleich „Twilight“ sein. Ihr würdet euch wundern: Deutschunterricht würde vielen Schülern plötzlich Spaß machen. Und ist es nicht das, worum es geht? Freude an Büchern zu vermitteln?

Mag sein, dass ihr das auch mal drauf hattet. Aber seht es ein: Eure Zeit ist abgelaufen! Eure Dramen und Gedichte haben oft schon die Lebenserwartung einer Galápagos-Riesenschildkröte überschritten. Mal ehrlich: Ist es da nicht längst an der Zeit für den Ruhestand?

Ich jedenfalls würde ihn euch von Herzen gönnen.

Beste Grüße,
Bettina

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Kommentare

Zehn Kommentare
  • Ich liebe Reclambücher. Sie sind klein, und gelb und sind praktisch. Nichts ist besser als Reclambücher im Unterricht zu lesen. Alle anderen sind zu groß.
    Jetzt mal ehrlich; die "modernen" Bücher sind zu einem großen Teil Rotz oder zu teuer, um sie sich für die Schule zu kaufen. Ausserdem sind diese modernen Bücher auch noch Geschmackssache. Klar kann nicht jeder Romeo und Julia mögen (ich für meinen Teil jedenfalls kann dem nichts abgewinnen), aber sonst ist das doch gerade richtig, was die Deutschlehrer da von sich geben. Die Dinger sind zeitlos. Auch wenn ich persönlich wegen der "unnötigen Schere in unseren Köpfen" den Faust von Hamburger Lesehefte bevorzuge (Reclam hat mein Lieblingsbuch Faust 1 zensiert...!!!!), so mag ich doch die meisten Bücher, die Reclam verkauft. "Maria Stuart", "Effie Briest" und "Irrungen und Wirrungen". Traumhaft.
    Deshalb habe ich mir auch ein sündhaft teures Notizbuch gekauft, nur weils original Reclampapier (toter Baumgeruch?!??) ist.

  • Mir machen die Bücher aus der Schule erst Spaß seit sie in diese "Reclambuchkategorie" gehören, obwohl ich die Hamburgerlesehefte bevorzuge. Ich habe die "modernen" Bücher gehasst. Die waren alle totaler Mist. Erst in der neunten Klasse gab es ordentliche Literatur. "Romeo und Julia" "Im Westen nichts Neues" "Faust" Wer kann dagegen wirklich etwas einzuwenden haben? Na gut "Kabale und Liebe" war nicht so mein Fall aber trotzdem gab es Leute denen es gefallen hat. Ich bin für die "alte" Literatur. Denn das ist besser als sich irgendwelchen Mist wie "Yoschis Garten" oder "Mit Jeans in die Steinzeit" antun zu müssen.
    Noch ein Nachtrag: Erziehung ist nicht die Aufgabe der Schule. Das Kind muss vom Elternhaus Freude am lesen vermittelt bekommen

  • Das Problem, das du ansprichst, sehe ich allerdings eher bei den Lehrern als bei den Reclam-Büchern. Die Autoren der Werke haben sie teils zu einer Zeit geschrieben, als das Sprachverhalten noch ein ganz anderes war als heute. Unter anderem deshalb fällt es uns wohl schwer, vermeintlich verstaubte Literatur zu verstehen. Aber die Schuld liegt doch nicht bei den Reclam-Büchern?!

    Noch viel schlimmer: Wir müssen uns im Deutschunterricht Literatur von einem speziellen Verlag kaufen, der ein ähnliches Programm zu dreifach höheren Preisen bietet. Argument: Reclam-Bücher liegen der Deutschlehrerin nicht gut genug in der Hand. Sie möchte daher, dass 30 Schüler dasselbe Werk bei dem anderen Verlag kaufen, wenngleich der Inhalt gleich ist und die gut gemeinten Literaturhilfen im Anhang auch fürstlich ignoriert werden. Kostenexplosion ist Nebensache, die Reclam-Variante wird zum Prestigeobjekt gelobt.

    Reclam-Bücher riechen nach toten Bäumen. Welches Buch macht das denn nicht? Na gut, zuweilen dominiert der Geruch von schädlichen Druckfarben, aber in Punkto Klimaverträglichkeit und Naturschutz würde ich dem Reclam-Verlag keinen Vorwurf machen.

    Zu den Lehrern und dem Lesen moderner Literatur in der Schule: Gern. Obwohl es meiner Ansicht nach wichtiger ist, Schüler allgemein schon früh an das Spaß-Lesen zu gewöhnen. Das Lesen im Unterricht wird vom anschließenden Aufsatz und der daraus resultierenden Bewertung - mündlich wie schriftlich - eher gestört und gehindert. Selbst wenn's Twilight ist. Das private Lesen unter der Bettdecke ist doch viel geiler, ey!

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