wer hätte gedacht, dass ich mich eines Tages an dich wenden würde und nicht andersrum? Monatelang hast du mich und mein gesamtes Leben beherrscht, die schönen Dinge von mir ferngehalten, mir die Augen verschlossen vor dem, was wirklich wichtig ist. Deine Stimme übertönte viel zu lange meine eigene. Doch heute bist du es, die schweigt.
Denn ob du es glaubst oder nicht, ich habe ein neues Leben begonnen – ohne dich. Na gut, vielleicht nicht ganz ohne dich. Du weißt ja selbst, wie gut du manchmal noch darin bist, mir Knoten in die Ged anken zu drehen. Aber du hast sicher auch mitbekommen, dass ich mittlerweile viel stärker bin als du und auch ziemlich gut im Knotenlösen. Ich habe mich von dir gelöst. Alles, was ich dafür brauchte, war Mut und einen sehr starken Willen. Den Willen, neu zu beginnen. Den Willen, mich selbst zu lieben. Vor allem aber auch den Mut zuzugeben, dass es mir nicht gut ging. Und daran warst gar nicht du Schuld, sondern nur ich selbst.
Wir haben uns damals kennengelernt, als ich mich sehr einsam gefühlt habe. Es war eine dieser Phasen, in denen man verlassen wird und es scheint, als geriete einfach alles aus den Fugen. Und dann warst da du. Du hast mir die Möglichkeit gegeben, wieder Kontrolle zu gewinnen. Mochte das Schicksal noch so unberechenbar sein, meinen eigenen Körper konnte ich dank dir kontrollieren. So war ich maximal abgelenkt von der großen Stille meiner Gedanken. Und so nahmst du mir zehn Kilo. Nicht auf einmal, sondern peu à peu, mit jedem „vergessenen“ Abendbrot kamen wir uns näher. Die Sorgen kamen in meiner Familie, später bei Freunden, bis mich Leute auf der Straße wegen dir mitleidig oder gar verachtend anstarrten. Doch da war es schon zu spät. Du und ich, wir waren längst dicke Freunde – oder eben genau das Gegenteil.
Irgendwann ging dann gar nichts mehr. Mir wurde klar, dass unsere Beziehung nichts Gegenseitiges war. Immer habe ich gegeben und du nur genommen. Bis ich so schwach war, dass ich mir Hilfe holte. Erinnerst du dich an das Gespräch, in diesem Raum irgendwo abseits von all dem Lärm? Ich sollte mich damals in dich hineinversetzen und deine Gedanken laut aussprechen. Das kam mir erst albern vor, aber vielleicht habe ich dich so letztendlich verstanden. Vielleicht wolltest du mir damals eigentlich nur helfen. Aber irgendwie hast du nie richtig gewusst, was mir wirklich guttut. Ich selbst weiß das mittlerweile schon. Ich kann jetzt wieder lieben, lachen, tanzen, schreiben und vor allem genießen. Ich weiß, das war alles noch nie so dein Ding. Macht nichts. Wir werden bestimmt trotzdem in Kontakt bleiben, ich kenn uns ja.
Ich wollte dir trotzdem sagen, dass ich über dich hinweg bin. Wenn ich mir heute Fotos von damals ansehe, von unserer gemeinsamen Zeit, schaudert es mich. Alles, was wir waren, war das Gegenteil von dem, was ich jetzt bin: glücklich. Und das habe ich ganz allein geschafft. Denn allein heißt nicht automatisch einsam.
Die Unabhängige*
*Die Autorin dieses Briefs möchte anonym bleiben.
Teaserbild: Lena Schulze
Dir gefällt dieser Artikel?
auf Facebook teilen auf WhatsApp teilen auf Twitter teilen auf Google+ teilen
Ich nehme an, so eine Ansprache wundert dich, und ich muss zugeben, zu der Einsicht dahinter kam ich auch nicht leicht. Früher habe ich gedacht, dass du das Schlimmste bist, was mir je passieren könnte. Aber jetzt habe ich eine andere Meinung: Dank dir, meine Sackgasse, habe ich vieles über
Unsere Überwachungstechnik hat die Science-Fiction längst überholt. Google und Co. bestimmen unsere Meinungen... oder etwa doch nicht? SPIESSERin Helen schreibt an das Dystopiejahr 1984...
Liebe Wahlbenachrichtigung,
vor ein paar Wochen habe ich dich aus dem Briefkasten gefischt. Du bist meine Berechtigung zur Wahl, meine Berechtigung zur Mitbestimmung in Deutschland. Seitdem hängst du an meiner Pinnwand, wirst von Notizzetteln und Einkaufslisten umrahmt und wartest
Das erste Mal zur bei einer Wahl die Stimme abgeben. Für manche von euch ist es dieses Jahr soweit, bei der Bundestagswahl. SPIESSERIN-Astrid hat einen Brief an alle neuen Erstwähler verfasst.
Fast alle von uns plagt es im Alltag regelmäßig, das Fernweh. Bei SPIESSER-Redakteur Tom scheint das nicht so zu sein. In einem Brief versucht er seinen entfernten Bekannten endlich dazu zu bewegen ihm mal einen Besuch abzustatten.
Sie sind klein, sie sind fies und man wird sie kaum los. Die Rede ist von den Plagegeistern der Pubertät: den Pickeln. SPIESSERin Jenni kann sie echt nicht mehr sehen und lässt ihrem Frust in ihrem Brief freien Lauf.
Wenn Freunde sich nicht mehr mögen, ist das meistens traurig. Mona verabschiedet sich in ihrem Brief jedoch von einem sehr schlechten Freund – von dem Like-Button.
Am 21. Januar ist jährlich der internationale Tag der Jogginghose. Und ja, dieses Kleidungsstück hat es sowas von verdient einen eigenen Tag im Kalender zu haben. Findet zumindest SPIESSERin Franzi. Eine Liebeserklärung an das bequemste tragbare Stück Stoff.
Ein bestandenes Mathe-Abi oder Frieden auf der Welt – oft wünschen wir uns Hilfe von oben. Paul hofft auf die Weisheit Odins und hat einen Hilferuf geschrieben.
Was andere ausmisten, findet bei SPIESSER–Autorin Lara einen Platz. Sie findet: Secondhandmode ist ein Wundermittel gegen Uniformität, Sweatshops und das Pleitesein.
Ihr kennt das: Was andere haben, wollen wir auch, was wir selbst haben, erscheint uns nicht gut genug. Neid! Lea will sich jetzt erstmal von ihm verabschieden.
SPIESSER-Praktikantin Franziska hat mit ihrem WG-Leben Klartext gesprochen und dabei positive und negative Seiten entdeckt – und letztendlich ihre Liebe gestanden!