Brief an …

Brief an... die brotlosen Künste

SPIESSER.de-Autoren schreiben Briefe. SPIESSER-Userin vanessavu verteidigt diese Woche den Sinn der brotlosen Künste.

21. January 2011 - 13:58
von SPIESSER-AutorIn anonymer Nutzer.
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anonymer Nutzer Offline
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Liebe brotlose Künste,

wenn promovierte Taxifahrer deutsche Großstädte unsicher machen, Kunsthistoriker sich schon mit einer „Staff“-Weste zufriedengeben und der Erfolg vermutlich erst nach dem Tod eintritt – warum zum Teufel, frage ich mich, werde ich nicht einfach Maschinenbauer? Oder Banker? Oder Steuerberater? Einer von diesen brauchbaren Menschen, die unsere Welt durch Zahlen erklären und verbessern vermögen?


Brot gibts nicht für jede Kunst
(Foto: Silke Kaiser / pixelio.de)

Aber nein. Ich werde Ethnologe. „Ethno-was?!“, fragt sogleich eine unsichtbare Stimme – ich bin es schließlich nicht gewohnt das Wort „Ethnologie“ zu erwähnen und daraufhin nichts als ein leises Summen meines PCs zu hören. Das wollen sie nämlich alle wissen. Diese Eltern, Freunde, Geschwister und Kommilitonen. Dann will ich es ihnen erklären, aber mir fallen nur die Worte meines Dozenten ein: „Ethnologie ist, was Ethnologen tun“.

Meistens schaffe ich das Gespräch schnell zu beenden, indem ich irgendwas von Kultur nuschle und gleich auf mein Nebenfach, Jura, verweise. Und tatsächlich: meist besänftigen sich die verstört-verwirrten Gesichtszüge meines Gegenübers; denn Jura mit Jura kann man was werden.

Aber so kann es doch nicht weiter gehen. Sind wir, Ihr und ich und alle anderen modernen Hippies, nicht die wahren Geistesgrößen? Wieso müssen wir uns immer für Euch rechtfertigen? Wir sind doch auch Weltverbesserer und vor allem -schönerer, nicht diese… diese… Zahnärzte ein paar Straßen weiter! Na gut, die vielleicht auch. Aber denken wir an Platons Philosophenkönige, an die Aufklärung, an Menschenrechtler. An Schiller und Picasso und Ghandi. Das höhere Ansehen (und Gehalt!) für so manch Naturwissenschaftler ist schlichtweg ungerecht und ungerechtfertigt.

"Schreib mal wieder!"

Jeder von euch kann einen "Brief an..." schreiben. Das Thema gebt ihr selbst vor. Der Text sollte zwischen 2.000 und 3.000 Zeichen haben und kann witzig, kritisch oder auch böse sein.
Vorschläge, Fragen und Anregungen an die Onlineredaktion.

Die Welt kann schließlich nicht nur aus lauter praktischen Erfindungen bestehen, die letzten Endes zu Diabetes und Hausstauballergien führen. Sie braucht auch Unpraktisches. Hier und da ein futuristisches Metallgewirr auf dem Marktplatz, ein bisschen Britpop und, nicht zu vergessen, herzzerreißende Liebesfilme. Schon klar, dass wasserfeste Schuhe und Küchengeräte uns das Leben erleichtern, aber es sind doch erst die Kunst, die Musik oder eine angeregte Diskussion über Gott und die Welt, die unser Leben erst lebenswert machen. Darüber hinaus steht es außer Frage, dass Geisteswissenschaften – die, sofern man den Gehältern glaubt, auch nur von Luft und Liebe leben – die Weltgeschichte stets mitgeprägt haben. Und es vielleicht auch mehr sollten, wenn es nicht um den Menschen als rein biologisches sondern als vernünftig handelndes Wesen geht. Wer sonst soll bitte Thilo und seinen Freunden diese Flausen aus dem Kopf treiben?

Nein. Es gibt keine Gründe, die Finger von Euch zu lassen. Wir können uns nicht trennen, ich weiß, dass wir zusammen gehören, und außerdem ist das alles noch viel zu neu und prickelnd zwischen uns. Ich bin auf Eurer Seite und kämpfe für Euch fernab von Profitgier und Ansehen. Wer braucht schon iPhones? Oder Taschenhündchen? Oder Brot? Wir essen eh lieber Kuchen!

Eure Vanessa

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Kommentare

Neun Kommentare
  • du sprichst mir aus der Seele!

    Künstler sind keine faulen, arbeitslosen Drogenkinder, die vor jeglicher Technik Angst haben (okay, ich schon...), sie sind die, die mitten in der grauen, traurigen Stadt Gartenzwerge platzieren; die, die um 5 Uhr morgens im Biene-Maja-Kostüm durch den Regen tanzen; die, die das Farblose zu etwas Fantasievollem erblühen lassen.
    Wozu braucht man ein Smartphone, das sogar schon Sudokus lösen oder Sternenbilder erkennen kann? Wir haben doch uns und unsere Fantasie! Wenn ich sie nicht kenne, dann lass ich mir eben selbst Sternenbilder einfallen - denn selbst ist der Künstler!

  • Verdammt! Das ist der beste "Brief an....", den ich bisher auf spiesser.de gelesen habe. Sehr gut!!!

  • Nun kann ich zufrieden ins Bett gehen und von hermeneutischen Zirkeln träumen...

  • wunderschön. endlich mal jemand der es auf den punkt bringt und es darlegt wie es ist.
    es ist schließlich jedem selbst überlassen.
    und ganz ehrlich: nicht alles muss einen sinn haben. mal davon abgesehen das sowieso der großteil der welt im grunde gar keinen sinn hat :D

  • haben künstler nun mal kaum wirtschaftlichen wert. Es sei denn ihre kunst wird kommerz. Da nun mal auch utilitarismus ein pfeiler in unserer heutigen ethik und unserem verständnisses ist, ergibt sich natürlich für viele die Frage, was bringt uns ein künstler außer Ablenkung. Ist Ablenkung nicht schädlich? Calvinistisch gesehen zum Beispiel schon. Meiner Meinung prägt der Calvinismus vor allem Deutschland heute immernoch sehr. Ich mein das mit dem gläubig sein...das lass ich mal außen vor, aber trotzdem gelten wohlhabene Menschen als angesehen und strebsamkeit wird gelobt.
    Um auf den Punkt zu kommen - Deutschland hat nicht viel für heutige Künstler übrig. Eher für Goethe, Mozart und Dürer.

  • Momentan lese ich nicht viel aus spiesser.de - liegt wohl an der wenigen Zeit, die ich in Australien im Internet verbringen kann und will.
    Aber das Ding hat mich gefesselt.
    Grandios.
    Fabelhaft.
    Verdammt ansprechend.

    Das wichtigste ist doch, dass man hinter dem, was man macht, auch steht.
    Was auch immer mal kommen wird, viel Spaß dabei.

  • Als Künstler muss man sich oft rechtfertigen und die häufigste Frage mit der ich konfrontiert werde ist "verdient man damit was?" Damit verbunden ist wohl Auffassung nicht wirklich etwas zu leisten und zu schaffen, was einen Wert hat. Dann erkläre ich an Beispielen, was ich mache wofür andere Geld bezahlen und immer wieder versuche ich einen sozialen oder gesellschaftlichen Nutzen meiner Arbeit zu definieren, um am Ende nicht als hoffnungsloser Illusionist dazustehen.
    Leider, oder gerade trotzdem muss ich mich selber ständig hinterfragen, welche Daseinsberechtigung meine Kunst hat?
    Ist Kunst heutzutage nur noch Zweck zur Selbstfindung?
    Der Künstler und sein EGO, das bewundert werden will?

    Schwierige Fragen...

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