SPIESSER-Autoren schreiben Briefe. Diesmal nimmt Anh Abschied von ihrem graphikfähigen Taschenrechner und bedankt sich noch mal für all die schönen Schuljahre.
07. July 2012 - 10:45 SPIESSER-Autorin whityhumbuk.
Es fällt mir schwer, Dir das so zu sagen, aber so weit ich meine Zukunft planen kann, bist Du nicht in der Ergebnismenge vermerkt. Traurig, aber wahr.
Nach der Abi-Matheprüfung fiel es mir wie Schuppen von den Augen, die binomischen Formeln von der Zunge und der Pythagoras vom rechtwinkligen Dreieck: Wir werden uns nie mehr wiedersehen. Es ist aus. Versteh das bitte. Ich brauch dich nicht mehr.
Ach, wie bist Du doch nur mit mir durch alle Zeiten gegangen, ob mein Gemütszustand kleiner gleich oder größer 0 war. Für mich hast Du jede Aufgabe ins Display projeziert.
Dein Vorgänger kam nie an dich heran.
Ich habe nie verstanden, wie Du all die komplizierten Dinge lösen konntest. Ich war genervt, als Du mir signalisiertest, dass Du den Speicher gestrichen voll vom Tagesgeschäft der Mathematik hattest. Aber ganz ehrlich, keiner kann Formeln wie ∫(4x³- ½ x² + 4.125, -2.75, 3.85) eleganter lösen. Dafür habe ich Dich und deine Fertigkeiten lieben gelernt und sogar meinen alten Taschenrechner verlassen. Der hat mir nie Graphen geschenkt, Kurven animiert. Und vom Design her bist du, Graphiktaschenrechner, eben doch der Schönste!
Aber in solch einer intensiven Beziehung gibt es auch Extrempunkte, egal ob Maxima oder Minima. Doch auch aus einer halbjährigen Beziehungspause fanden wir wieder zusammen. Und Du warst nun noch mehr positiver Schatz jeder Differenz, denn Dank Dir ergab jede Rechnung wieder Sinn.
Bring Licht ins Dunkel und zauber ein Lächeln ins Gesicht.
Ich habe Dir einst versprochen, dich nie zu verlassen, auch wenn die Anderen mit ihren neuartigen Rechnern Tetris zockten, doch ich schätze, es weht ein neuer Wind im Variablensumpf. Eine neue Generation kratzt an der Oberfläche der Schulbänke und deshalb verkünde ich nun ganz feierlich:
Willst Du, geliebter Taschenrechner, meinem Bruder und allen kommenden Generationen stets treuen Dienst leisten? Ihn lieben und ehren in guten wie in Prüfungszeiten? Bleib bitte stark in Stochastik, Algebra und Analysis, auch wenn es eigentlich zum Verzweifeln ist. Max Raabe singt, dass man nicht alleine küssen könne. Ich ergänze: Rechnen kann man nicht alleine, denn dafür braucht man jemanden wie dich.
Jeder Abschied ist schwer, doch ich weiß, Du hältst das aus. Es werden nun neue wundersame Formeln durch deine Programme rattern und neue Hände dein Tastenfeld berühren. Doch bitte gib mir zum Abschied noch ein kleines Gelöbnis – Vergiss mein nicht.
Deine Dich liebende Anh
Fotos: Benjamin Klack, Adel (pixelio.de)
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Das ist Anh, wie sie leibt und lebt ;)
Sehr gut geschrieben, wirklich lustig