SPIESSER-Autoren schreiben Briefe. Heute empört sich Claudia über die Hartnäckigkeit des Hartz IV-Klischees und fragt: Wie kann man ihm zu Leibe rücken?
07. May 2012 - 11:26 von SPIESSER-AutorIn Claudia Hildenbrandt.
du wirst gehätschelt und gepflegt wie eine Pflanze. Hier noch ein Schluck Wahlkampf-Wasser, da noch etwas Quoten-Dünger hinzu: Damit du prächtig sprießt, schlüpfen diverse Politiker und Medienunternehmen in die Rolle eifriger Gärtner.
Weitverbreitet trotz Engstirnigkeit
Obwohl du so ansehnlich gar nicht bist. Faul, aggressiv, Zigaretten- und Biergeruch, Jogginghose und eine Schar verhaltensauffälliger Kinder: So hast du dich hier ausgebreitet – und festgesetzt. Schalte ich nachmittags den Fernseher ein, lächelst du mir müde aus Talkshows und „Doku-Soaps“ entgegen. Ein Lächeln das leider auf Kosten aller ALG II-Empfänger geht.
"Dein Fernseher lügt" Nur weiß das
scheinbar niemand. Foto: Fladerer Martin/ jugendfotos.de
Schließlich denkt bei dir niemand an die junge, arbeitssuchende Akademikerin, die nach dem Studium ohne lukratives Jobangebot dasteht. Oder an den engagierten 60-Jährigen, der aufgrund seines Alters keine Anstellung mehr findet. Beide sind nicht Teil des einseitigen Bildes, das du uns verkaufst. Mit erschreckendem Ergebnis: Du bringst die Mehrheit von uns dazu, zu glauben, die meisten Langzeitarbeitslosen hätten schlichtweg keinen Bock auf einen Job. Den sie aber scheinbar auch gar nicht brauchen. Laut dir, liebes Hartz-IV-Klischee, greift der Staat Betroffenen bereits ausreichend unter die Arme.
Hartz-IV-Pflanzentier
Zurück zum Botanik-Vergleich: Als Nutzpflanze von Politik und Medien polarisierst du. Deine Frucht heißt „Aufmerksamkeit“. Ob Westerwelles Kampf gegen die „spätrömische Dekadenz“, wie er dich 2010 bezeichnete, oder aber die Debatte um das Betreuungsgeld zusätzlich zum Hartz IV: Die durch dich entstandene Aufmerksamkeit zu ernten, bedeutet vor allem für Politiker Aufsehen und Stimmenfang. Das Paradoxe daran: Im erbitterten Kampf gegen dich findest du Bestätigung – und wächst. Darum kümmern sich auch die Medien. Schließlich bringt dein Auftreten die nötigen Verkaufszahlen und Quoten ein. Du gibst einfach eine bessere Titelgeschichte ab, als die etwa 97% der Hartz-IV-Empfänger, die dir nicht entsprechen.
Du grünst nicht nur zur Sommerzeit
Es grünt so schön das Klischee... äh der
Löwenzahn. Foto: PeterA / pixelio.de
Hartz IV-Klischee, ich kann nachvollziehen, warum du dich so hartnäckig hältst – bei dieser Pflege. Doch so, wie du meiner Meinung nach für Politik und Medien als Nutzpflanze dienst, so bist und bleibst du für mich nur Unkraut. Ein mickriges Pflänzchen, das unaufhaltsam grünt und gedeiht. Hässliches Grünzeug, das mit seinen Auswüchsen die Gesellschaft spaltet und Minderwertigkeitsgefühle bei Hartz- IV- Empfängern verstärkt.
Am liebsten würde ich diesen Brief mit „Auf nimmer Wiedersehen“ beenden. Aber ich weiß, dass wir uns bald wieder über den Weg laufen werden.
(Leider) bis dahin,
Claudia Hildenbrandt
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