Vertretungsstunde mit Revolverheld: Traumaustatter
In Glauchau diskutieren die Jungs von Revolverheld mit der Klasse 9/1 über die Macht der Medien und werden dabei von Fernsehen, Radio und Zeitungen beobachtet.
02. May 2007 - 18:40 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
12:55 Uhr: Nach der Ankunft im Georgius-Agricola-Gymnasium schleppt die Direktorin die fünf Band-Mitglieder erst mal in die Schulkantine. Dort rufen alle ihr Wunschessen durcheinander. Am Ende wollen sie aber doch alle Putensteaks mit Ketchup im Brötchen.
13.05 Uhr: Der Schulhof füllt sich immer mehr, denn alle Schüler wollen Fotos schießen und Autogramme abstauben gern auch auf ihre Handys.
13.20 Uhr: Pünktlich mit dem Klingeln startet der Unterricht. Die Revolverhelden beginnen die Stunde wie fast alle unsere prominenten aber ungelernten Vertretungslehrer:
Johannes: Hefte raus! Klassenarbeit!
13.22 Uhr: Wenn man vom Teufel spricht: Bei der Unterrichtsstunde zum Thema Medien sind auch jede Menge Journalisten am Start. Neben den SPIESSER-Autoren drängeln sich Redakteure von Radio, Fernsehen und der regionalen Presse in das kleine Klassenzimmer.
13.23 Uhr: Sarah, Julia und Mandy haben Vorträge zum Thema vorbereitet. Jetzt stehen sie verschüchtert neben Revolverheld. Die RTL-Kamera verunsichert die drei spürbar. Dass Medien auch nerven können, das müssen die Schüler schon zu Beginn der Stunde erfahren.
Kristoffer: Wer von euch möchte mit seinem Vortrag beginnen?
Nach einer kurzen Pause traut sich Julia und beginnt mit dünner Stimme.
Julia: Ich möchte darüber sprechen, wie Menschen in den Medien vorgeführt werden. So wird den Castingteilnehmern bei "Deutschland sucht den Superstar" versprochen, dass sie Superstar werden können. Big-Brother-Teilnehmer hoffen, viel Geld zu gewinnen.
Johannes: Bei Castingshows wie DSDS geht es nicht um die Liebe zur Musik, sondern darum, berühmt zu werden. Und Dieter Bohlen ist zwar - was Entertainment angeht - eine große Nummer, aber wenn er Leute runter macht, ist das einfach nur verantwortungslos. Und mal ganz unter uns gesagt: Dieter Bohlen ist das Schlimmste, was Deutschland musikalisch zu bieten hat.
Die Leute von RTL scheinen irgendwie nicht so begeistert.
Florian: Denkt ihr, dass der, der bei DSDS gewinnt, reich wird?
Mandy: Nein, er ist für kurze Zeit eine große Nummer und hat vielleicht kurzzeitig Erfolg und Geld, aber bald hat das Publikum ihn wieder vergessen.
Die Leute von RTL schauen immer noch bedröppelt aus der Wäsche.
Johannes: Schon allein die Begriffe, mit denen diese Shows werben, sind pervers: "Superstar", "Popstar" und wie sie alle heißen. Justin Timberlake ist ein Star, aber Alexander Klaws doch nicht!
13.38 Uhr: Schimpfen auf DSDS kann jeder. Doch wer von den Schülern hat sich noch nie eine solche Sendung angesehen? Keiner meldet sich. Und wer verfolgt sie regelmäßig? Zwei bis drei Schüler strecken die Arme zögerlich nach oben.
Kristoffer: Und wer von den Restlichen will es nicht zugeben?
Marcus hebt grinsend die Hand und Johannes schreit ihn oberlehrermäßig an: RAUS! War aber nur Spaß, Marcus darf natürlich sitzen bleiben.
Kristoffer: Seid ihr schon mal auf die Idee gekommen, dort mitzumachen?
Marcus: Nein, aber ich finde es unfair, wenn Leute, die wirklich gut singen können, dort weggeschickt werden - nur, weil sie nicht so gut aussehen.
Johannes: Ich glaube, denen ist es wichtig, dass die Leute aus dem Rahmen fallen und sich gut vermarkten lassen.
Kristoffer: Zum Glück kommt es bei uns in erster Linie auf die Musik an. Denn was nützt das beste Aussehen, wenn man handwerklich nichts drauf hat?
Jakob: Uns schreibt übrigens niemand vor, wie wir auszusehen haben. Wenn wir wollten, könnten wir hier auch nackt auftreten.
Kristoffer: Na, wer will das?
Da will es aber einer wissen. Vor allem die Mädels grinsen, doch niemand traut sich zu kreischen. Wir sind hier ja auch nicht auf dem Konzert weiter im Stoff: Mandy hält den nächsten Vortrag. Das Blatt in ihren Händen raschelt vor Aufregung.
Mandy: Ich möchte euch über die Dramatisierung in den Medien informieren. Dramatisierung wird in den Medien oft eingesetzt, um die Geschichte noch spannender zu machen. Jedoch bekommen die Zuschauer dadurch ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit. So wird zum Beispiel aus der Formulierung "Unfall mit Verletzten" schnell mal ein "Unglück mit Schwerverwundeten".
Kristoffer: Dankeschön, Mandy. Ihr macht das super.
13.42 Uhr: Als Martin mit seinem Nachbarn quatscht, ermahnt ihn Kristoffer. Diesmal meint er s ernst: Psst, nicht reden!
Kristoffer: Kennt ihr auch solche Beispiele?
Anna: In der Bild sieht man immer mal wieder solche riesigen Schlagzeilen, die wenig später aber in einer kleinen Ecke widerrufen werden. Doch das ist meist so winzig geschrieben, dass es kaum jemand beachtet.
Niels: Ja, das stimmt. Aber dennoch sind Medien nicht nur schlecht. Oft wird durch sie erst die Aufmerksamkeit auf gewisse Themen gelenkt. Es ist vor allem wichtig, dass man Medien kritisch gegenübersteht und sie vergleicht.
Florian: Zum Beispiel dieselbe Nachrichtenmeldung auf verschiedenen Sendern.
Niels: Auch das Internet eignet sich dafür ganz gut, weil die Infos dort immer aktuell sind.
Jakob: Welche Seiten nutzt ihr? Und warum?
Julia: Viele von uns sind in einer Schülercommunity.
Niels: Wie viele Stunden verbringt ihr so am Tag damit?
Julia: So zwei bis drei Stunden.
Johannes: Echt? Habt ihr keine Zeitbegrenzung? Sagen eure Eltern da nichts?
Die ganze Klasse guckt entgeistert. Einstimmige Antwort: Nein! Die Musik von Revolverheld müssen die Eltern ihren Kindern auf jeden Fall nicht verbieten, die ist sogar rückwärts wertvoll:
Kristoffer: Soll ich euch mal was verraten? Wenn ihr das neue Revolverhelden- Album rückwärts laufen lasst, sind Meldungen der Tagesthemen zu hören.
Die Klasse lacht. Mittlerweile haben sich auch die Journalisten in die Ecken zurückgezogen, die Schüler haben endlich freien Blick auf die Band.
Johannes: Sarah, magst du jetzt deinen Vortrag halten?
Sarah: Ich rede über Trivialisierung in den Medien. Trivialisierung bedeutet, dass Beiträge intellektuell nicht anspruchsvoll, sondern hauptsächlich unterhaltsam geschrieben werden. Der Zuschauer muss nicht viel denken, sondern kann sich einfach berieseln lassen. Man nennt diese Art von Unterhaltung auch Trash - zu deutsch Müll. Wie zum Beispiel Big Brother.
13.50 Uhr Für diese Bemerkung erntet Sarah Beifall von Revolverheld.
Johannes: Gut gemacht. Im Vergleich dazu habe ich zu meiner Zeit damals echt beschissene Vorträge gehalten.
Und was machen die Schüler nun, wenn sie nach Hause kommen? Gucken sie Müll?
Tony: Wenn ich schon mal nach Hause komme, mache ich erst meine Hausaufgaben und lass mich dann von Medien berieseln, um wieder Energie für meine Hobbys zu haben.
Johannes: Das ist, glaube ich, normal. Wobei Sachen wie Big Brother echt pervers sind. Haben die Leute, die anderen drei Stunden und mehr beim Essen und Duschen zuschauen, kein eigenes Leben?
Kristoffer: Dennoch haben Medien auch ihre guten Seiten, schließlich ziehen wir unsere kompletten Informationen daraus.
14.05 Uhr Diesem schönen Fazit haben die Schüler nichts mehr hinzuzufügen. Und so können die Revolverhelden die Stunde pünktlich schließen. Normalerweise erfreut das Schülerherzen, doch heute würden wohl viele gern noch nachsitzen - die Vertretungslehrer bekommen eine glatte Eins. Die Mitarbeiterinnen von RTL und Sony BMG, der Plattenfirma von Dieter Bohlen und Revolverheld, tuscheln: Irgendwelche Passagen wollen sie herausschneiden. Sie meinen wohl die DSDS-Kritik.
14:10 Uhr: Für ein Foto kleben sich die Jungs von Revolverheld Anti-Bohlen-Buttons an die Jacken. Das findet die Dame von Sony BMG gar nicht lustig: "Also wartet mal, das finde ich jetzt aber nicht so gut. Wollt ihr das wirklich machen?"
Johannes: Na klar, ist doch super. Ich kann ja mal unseren Manager anrufen.
Johannes geht zum Telefonieren aus dem Zimmer und kommt zwei Minuten später grinsend wieder herein.
Johannes: Der findet das total cool. Wir sollen ihm auch gleich einen Button mitbringen.
Die Band setzt sich durch gegen Plattenfirma und die RTL-Leute. Die Herren Vertretungslehrer verstehen was von ihrem Fach.
Text: Sandy Richter / Fotos: André Forner
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