Die Journalistin Dunja Hayali glaubt an vieles, aber nicht an alles. Genau wie die Zehntklässler der Berlin Cosmopolitan School. Wie wichtig das Thema Glaube ist, beweist diese Vertretungsstunde, in der es vor allem um die Frage ging: Woran glauben wir eigentlich?
26. March 2017 - 13:24 SPIESSER-AutorIn Jenifer Girke.
Dunja: Wow, das war früher bei uns anders. Da hat niemand gesessen, geschweige denn war pünktlich. Dunja schreibt ihren Vornamen an das Whiteboard.
Dunja: Wer weiß, was das bedeutet und woher der Name stammt? Einer der Schüler sagt: Schlau? Ja, das wäre schön. Der Name ist arabischen Ursprungs und bedeutet „Welt“. Und was machen wir jetzt? Oh Gott, ich bin ungefähr so vorbereitet, wie ich schon damals als Schüler in den Unterricht gegangen bin, nämlich gar nicht. Und wie ihr seht, kann trotzdem was aus einem werden. Aber wenn ich noch einmal die Wahl hätte, würde ich in vielen Unterrichtsstunden viel mehr aufpassen.
Wenn sich Dunja Hayali vorstellt, geht das nicht, ohne noch jemand anderen vorzustellen – ihre Golden-Retriever-Herzdame Emma.
Dunja: Emma hat mich viel gelehrt in meinem Leben. Sie ist ein sehr guter Freund, ein guter Seelentröster und mein ständiger Begleiter.
Jetzt sind die Schüler dran. Als Teil einer internationalen Schule kommen sie überall her: Kanada, Israel, Belgien, England, Schweiz, Island und auch ein paar Berliner sind unter ihnen. Dann schreibt Dunja das Thema der Stunde auf: Glaube. Der deutschsprachige Teil der Klasse übersetzt es ins Englische mit „religion“ – Religion.
Dunja: Glaube ist nicht immer gleichzusetzen mit Religion. Woran kann man noch glauben?
Antonio: Karma.
Dunja: Wow! Karma bedeutet, dass jede Aktion, die du in deinem Leben vollziehst, irgendwann wieder auf dich zurückfällt, im Guten wie im Negativen. Handelst du auch danach?
Antonio: Meistens schon.
Dunja: Super. Ich sage immer: Wenn alle daran glauben würden, wäre die Welt ein besserer Ort. Was ist Glaube? Kann man den greifen, erklären, darüber diskutieren? Stille.
Dunja: Ok, ein Beispiel: Antons Tante glaubt an Feen. Ich könnte sagen, die ist doch verrückt, aber dann könnte sie sagen: Beweise mir, dass es keine Feen gibt. Kann ich nicht. Es ist eben nicht wissen. Wissen ist das eine, glauben ist das andere. Meine Eltern sind Katholiken, mein Vater ist syrisch-orthodox. Ich war Messdienerin. An Heiligabend habe ich ein BMX-Fahrrad geschenkt bekommen, bin damit zur Kirche gefahren und nach der Messe war das BMX-Rad weg. Da dachte ich mir: Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Seitdem tue ich mich schwer mit der Institution Kirche, denn für viele steht der Glaube im Zusammenhang mit der Kirche. Kann man überhaupt an nichts glauben?
Dunja Hayali
Dunja Hayali ist im Ruhrgebiet geboren und das jüngste von
drei Kindern. Ihre Eltern stammen aus der irakischen Stadt Mossul. Mittlerweile arbeitet sie fast 10 Jahre beim ZDF, die meiste Zeit davon beim Morgenmagazin. Und das, obwohl sie absolut keine Frühaufsteherin ist. 2016 bekam sie die Goldene Kamera in der Kategorie „Beste Information“.
Antonio geht sogar weiter: Es gibt Agnostiker, die sagen: Ich glaube, dass es keinen Gott gibt, aber ich könnte mich auch irren.
Dunja: Super, das habe ich erst vor ein paar Monaten gelernt und seitdem weiß ich: Ich bin eine Agnostikerin. Interessanterweise hat niemand von euch gesagt, ich glaube an meinen Fußballverein. Also ich glaube an meinen Fußballverein.
Dunja schreibt „Borussia“ an das Board. Freundschaft. Ernährung. Moral. Die Schüler nennen Werte, an die sie persönlich glauben. Dann soll es um Dunjas persönliche Werte gehen. Sie zeigt den Schülern die Rede, die sie gehalten hat, als sie den Preis „Goldene Kamera“ bekommen hatte.
Dunja: In dieser Rede könnt ihr erkennen, was mir wichtig ist. Es geht um Respekt, Toleranz, Nächstenliebe und um die Wahrheit.Als der Clip zu Ende ist, wischt sich die gestandene Journalistin über die Augen. Das ist das dritte Mal, dass ich es selbst sehe und ich muss mich immer noch zusammenreißen.
Inspiriert von ihren Worten ergänzen die Schüler das Tafelbild mit weiteren Schlagwörtern: Vertrauen, Respekt, Dankbarkeit, Offenheit, Dialog, Ehrlichkeit.
Dunja: Was glaubt ihr, warum genau diese Dinge in den letzten eineinhalb Jahren in Deutschland auf der Strecke geblieben sind?
Die Diskussion thematisiert Rechtsdruck, Ausländerfeindlichkeit, Shitstorms im Internet und ganz persönliche Erfahrungen.
Wim: Ich bin noch nie von der Polizei angehalten worden und ich lebe schon seit 15 Jahren in Berlin. Aber als ich mit meinem Freund, er zeigt auf den dunkelhäutigen Lucille, einmal um die Ecke gelaufen bin, wurden wir sofort angehalten und nach unserem Ausweis gefragt. Das war echt ein Schock für mich, weil mir das noch nie passiert ist.
Dunja: Und es wird dir alleine auch nie passieren. Bei der Polizei ist der Druck enorm groß. Auf der einen Seite müssen sie überprüfen, woher die ganzen Menschen kommen. Auf der anderen Seite kann jetzt nicht so ein Generalverdacht durch dieses Land ziehen. Sie pausiert, blickt nach unten in Richtung Emma und fügt seufzend hinzu: Ja, es ist kompliziert.
Oh ja, es ist kompliziert – die Klasse redet über Flüchtlinge, Schubladendenken, Journalismus und die Notwendigkeit, immer zu differenzieren. Ganz zum Schluss verrät Dunja sogar, was es mit ihren Tattoos auf sich hat. Doch das bleibt an dieser Stelle ein Geheimnis. Das geht niemanden etwas an in der großen weiten Netzwelt. Dafür muss man die Journalistin also schon selber kennenlernen. Laut den Schülern lohnt es sich.
Fazit aus der Klasse:
Wim, 15:
„Die Stunde war sehr gut, sogar besser, als ich es erwartet hatte. Es waren einige Themen dabei, die einfach wichtig sind.“
Note: 1
Abdoulaye, 15:
„Ich fand es richtig gut, weil viele Dinge gesagt wurden, über die man sich keine Gedanken macht, die einen aber zum Nachdenken bringen.“
Note: 1+
Anouk, 15:
„Ich fand es toll, weil es Themen waren, die wichtig sind und über die man viel hört, aber trotzdem nicht mit seinen Freunden bespricht.“
Note: 1+
Text: Jenifer Girke
Video: Benjamin Schindler
Fotos: Michael Kuchinke-Hofer
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