„Wir könnten jetzt zusammen nach Bordeaux fahren.“
Eigentlich ist Martin Schulz, Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD, gerade voll im Wahlkampfstress. Trotzdem hat er sich die Zeit genommen und mit Schülern des Politik-Leistungskurses der Carlo-Schmid-Oberschule in Berlin über Europa gesprochen.
Vor der Schule haben sich seine Bodyguards schon in Position gebracht, als Martin Schulz den Klassenraum betritt.
Schulz: Ich würde heute gerne mit euch darüber sprechen, was Europa überhaupt ist und was ihr von Europa erwartet. Ich bin in einem Drei-Länder-Eck geboren, an dem Deutschland, Belgien und die Niederlande aufeinandertreffen. Ich kann zu Fuß nach Belgien oder in die Niederlande wandern. Und ich erinnere mich noch gut daran, wie ich früher an der Grenze kontrolliert wurde. Heute gibt es die Grenzkontrollen nicht mehr. Was wisst ihr eigentlich über die Niederlande, über Belgien?
Ömer: Die Hauptstadt ist Amsterdam.
Schulz: Richtig, die Niederlande sind ein Königreich mit der Hauptstadt Amsterdam. Aber das Parlament und die Regierung sitzen in Den Haag. Wisst ihr auch etwas über Belgien? Was ist das berühmteste Essen aus Belgien?
Elif: Waffeln und Pommes frites.
Schulz: Richtig! Wenn man zu viel davon isst, wird man irgendwann etwas rundlicher. Okay, wollen wir mal anfangen. Diskutiert mal in Gruppen folgende Fragen: Was wisst ihr über Europa? Was erwartet ihr von Europa?
Alle teilen sich in Gruppen auf, diskutieren und tragen ihre Ergebnisse zusammen.
Schulz: Sollen wir anfangen? Wer stellt die Ergebnisse vor? Nico?
Nico: Die EU wurde am 25. Mai 1957 gegründet und die sechs Gründungsstaaten waren Frankreich, Italien, Niederlande, Deutschland, Belgien und Luxemburg. Die Organe der EU sind der Europäische Rat mit Sitz in Brüssel, das Europäische Parlament in Straßburg, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, die Europäische Kommission in Brüssel und die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main.
Robert: Die drei Säulen der Europäischen Union sind die Europäische Gemeinschaft, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Innen- und Rechtspolitik.
Ömer: Wir haben einige Stichpunkte aufgeschrieben: der Brexit und die Folgen, Griechenland, die Euro-Krise und der EU-Topf. Dann haben wir uns noch gefragt, ob noch mehr Länder die EU verlassen möchten und ob noch Länder der EU beitreten möchten.
Schulz: Na, da haben wir doch schon eine ganze Menge. Warum arbeiten die 28 Mitgliedsstaaten der EU bei Innenpolitik und Recht zusammen? Was ist Innenpolitik?
Schulz: Richtig. Innenpolitik ist zum Beispiel die Polizei. Wozu brauchen wir die Polizeizusammenarbeit in der EU?
Jo Sebastian: Zur Bekämpfung von Kriminalität.
Schulz: Was ist außer Kriminalität noch das ganz große Problem bei der inneren Sicherheit in allen Ländern Europas? Denkt mal an den Breitscheidplatz in Berlin. Was erleben wir zurzeit?
Nico: Terroranschläge.
Schulz: Genau. Kennt ihr Städte, in denen es Terroranschläge gab in den letzten Jahren?
Elif: Berlin.
Berenice: Paris.
Mizgin: Istanbul.
Daniel: London.
Marie-Sophie: Brüssel.
Schulz: Brüssel, ja. Das habe ich selbst erlebt. Der Anschlag war in der U-Bahnstation direkt unterhalb des Europaparlaments. Wer von euch weiß, wofür in der EU am meisten Geld ausgegeben wird?
Daniel: Infrastruktur?
Schulz: Das wäre schön. Ist aber leider nicht so, wie man hier sieht. Er schaut sich im Klassenraum um, alle lachen. Noch ein Tipp?
Nico: BER!
Schulz: Lieber Nico, damit hat die EU Gott sei Dank nichts zu tun. (lacht) Der größte Ausgabenposten des EU-Haushaltes ist Landwirtschaft. Als die Europäische Union 1957 gegründet wurde, erinnerten sich viele Menschen an den Hunger während des Krieges. Also etablierten sie eine Landwirtschaftspolitik, die immer ein bisschen mehr produziert und das lagert. Daraus ist ein System geworden, das wir dringend reformieren müssen.
Zum Abschluss will ich eins sagen: Mein Vater wurde 1912 geboren, meine Mutter 1920. Mein Vater hat zwei Weltkriege erlebt: Als Kind den ersten Weltkrieg, als Soldat den zweiten. Meine Mutter hat meinen ältesten Bruder geboren am 5. September 1944. Am 6. September ist sie zum Schutz vor Bomben in einen Keller gegangen und ist erst im Januar wieder rausgekommen. Meine Eltern gehörten zu der Generation, die das hier gegründet hat. Die gesagt hat: Es ist besser, die Deutschen, Franzosen, Italiener, Belgier, Luxemburger arbeiten zusammen, statt sich gegenseitig zu erschießen. Das war der Anfang und wir sind heute relativ weit. Wir könnten heute, wenn ihr schulfrei bekämt und ich nicht noch was in Berlin machen müsste, nach Bordeaux fahren und meine Freunde besuchen, ohne an einer Grenze angehalten zu werden. Wenn ich die Welt meiner Eltern mit meiner Welt vergleiche, ist es richtig super geworden. Und ich möchte, dass sich das nicht ändert.
Fazit aus der Klasse
Nico, 16:
Ich fand die Stunde sehr erfrischend. Er hat die Stunde gut strukturiert, uns geholfen, wenn wir nicht weiter wussten, uns herausgefordert und Meinungen hinterfragt.
Note: 1
Berenice, 18:
Die Stunde fand ich sehr interessant! Sie hat mich angeregt, mich mehr über die EU zu informieren.
Note: 1
Ömer, 17:
Ich fand die Stunde sehr schön, weil ich Martin Schulz sonst nur aus dem Fernsehen kenne. Jetzt stand er direkt vor uns, wir konnten Fragen stellen und er hat sie direkt beantwortet.
Note: 2
Text: Cana Durmusoglu
Fotos: Michael Kuchinke-Hofer
Video: Paul Henschel
Teaserbild: Anja Nier
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