Wie sein Name vermuten lässt, beschäftigt sich Max Prosa mit Texten. Ob in der Musik oder Dichtung – oder eben in einer Vertretungsstunde am Gottfried-Keller-Gymnasium in Berlin. Dort hat er mit den Schülern der 10.4 über die japanische Gedichtform „Haiku“ gesprochen und gedichtet.
01. March 2018 - 09:45 SPIESSER-AutorIn freedy.beedy.
Die Klasse unterhält sich schon aufgeregt, ein paar Schüler kommen zu spät. Typisch Schule eben.
Max: Hallo ich bin Max. Deutet auf die interaktive Tafel, die die normale Schultafel ersetzt hat. Was ist eigentlich aus der Schule geworden? Womit werft ihr denn, wenn es keine Kreide mehr gibt? Ich war seit zehn Jahren nicht mehr in der Schule, hatte aber erst vor ein paar Tagen ein Klassentreffen. Was kann ich euch erzählen? Ich bin Sänger, fahre durch Deutschland, Österreich, die Schweiz, gebe Konzerte und schreibe Lieder. Ich schreibe Gedichte und hab mich sozusagen den Worten zugewandt. Aber gar nicht direkt nach der Schule, denn ich habe zuerst Physik studiert. Das habe ich dann abgebrochen und angefangen, Musik zu machen. Jetzt zu euch. Ihr seid die Ballsport-Klasse?
Felix: Handball und Basketball.
Max: Ok, ich hab mir was mit Fußball überlegt. Fußball kennt ihr auch? Die Klasse lacht und stimmt zu. Wir spielen jetzt zwar kein Fußball, aber so ähnlich mit Worten. Habt ihr noch Stift und Zettel?
Die Klasse lacht wieder und das allgemeine Kramen und „Hast du mal einen Zettel?“-Fragen geht los. Scheinbar doch alles wie früher.
Max: Schreibt bitte eure drei Lieblingsworte auf. Vielleicht ist es irgendwas, das ihr gerne mögt, vielleicht ein Name. Es sollten drei verschiedene Dinge sein, die nicht unbedingt zusammenhängen. Oder der Klang des Wortes gefällt euch. Wie zum Beispiel „Eleganz“, das klingt schon so … elegant. Denkt nicht zu lange nach, sondern schreibt die Worte einfach auf. Es muss nicht besonders sein.
Alle schreiben drei Worte auf ihren Zettel.
Max: Alle fertig? Wie viele seid ihr? 24? Ich möchte zuerst eine Aufwärmrunde machen. Das mache ich manchmal in Gruppen und so arbeiten auch manche Schauspieler. Jeder sagt ein Wort und wir bilden eine Geschichte. Ich fang an: Ein …
Felix: … Penner …
Sean: … Zwanzig?
Die Klasse lacht.
Max:(grinst) Das Ziel ist es, einen Satz zu bilden. Der eigene Beitrag, der noch so gering sein kann, dient dem großen Ganzen. Also: Ein Penner …
Der Reihe nach werfen die Schüler Wörter in den Raum.
Max: Jetzt machen wir das Ganze mit dem Alphabet. Wir fangen mit A an. Alfons …
Unter viel Gelächter entstehen Sätze wie: „Alfons bittet Cobra, dass er fahren geht“, „Herbert ist Jude, kriegt Lilien manchmal nachts“ und „Oma pupst richtig stark trotz Unterrock viel Windkraft“.
Max: Oh, wir haben das Q vergessen. Egal, wir sind fast bei Z angekommen! Was ich eigentlich mit euch machen möchte, ist eine japanische Gedichtform mit Fußball kombiniert – ich weiß nicht, ob das schon mal passiert ist. Die Gedichtform nennt sich „Haiku“.
Max liest ein paar Haikus vor, um den Schülern zu erklären, was das eigentlich ist und wie sie aufgebaut sind.
Max: Es sind immer Atmosphären. Ein Haiku ist wie eine Fotografie von Momenten. Das Interessante und Einfache ist, dass es immer 5 – 7 – 5 Silben sind. Man muss nichts reimen, sondern nur die Form einhalten. Vielleicht etwas zu dem geschichtlichen Hintergrund: Im neunten Jahrhundert ist das Haiku als Abgrenzung zur chinesischen Dichtung in Japan entstanden. Zuerst gab es das Tanka, das hatte 5 – 7 – 5 – 7 – 7 Silben. Als Dichten eine Art Volkssport in Japan wurde, haben viele Menschen sich getroffen und zusammen gedichtet. Das hat dort eine ganz andere Bedeutung als hier bei uns, es ist etwas Gemeinschaftliches.
Er bittet die Schüler darum, selber ein Haiku zu schreiben. Sofort machen sich alle an die Arbeit und nur leises Flüstern ist im Zimmer zu hören.
Max: So, wer von euch möchte sein Haiku vorlesen?
Joyce: Lilie im Teich – Frösche warten schon zu lange – werden sie fliehen?
Linda: Die Sonne scheint hell – die Blumen riechen süßlich – das Wasser plätschert.
Malte: Berlin ist ganz gut – Chillen im Park, das ist ganz stark – und auch beschissen.
Lucio: Ich trinke Mate – esse ein gutes Shawarma – und lecker Milchreis.
Sean: Warmer Sommertag – ein Wimpernschlag genügte – der Winter brach ein.
Der Reihe nach werden die Haikus vorgelesen. Max schaut stolz auf die Schüler, die offensichtliche Freude am Dichten haben.
Max: Jetzt möchte ich mit euch Gruppendichtung machen. Lasst uns das Thema Fußball nehmen. Also: Der erste Angriff …
Lucio: … und er schießt ein gutes Tor – doch es war Abseits.
Die Vertretungsstunde vergeht wie im Flug, viele Haikus werden gedichtet und am Ende müssen wir Max darauf aufmerksam machen, dass er schon zeitlich überzogen hat. Den Schülern scheint das aber nichts ausgemacht zu haben.
Max: Wir haben jetzt ein paar Haikus gedichtet. Ihr könnt das auch zuhause für euch machen. Für mich ist das zu einem Lebensinhalt geworden, zu gucken, was man mit Worten aus der Welt machen kann. Man kann Erlebnisse verarbeiten und bekommt einen besseren Blick auf sich selbst. Wir haben in der Schule immer nur Gedichte analysiert, ohne welche zu schreiben. Das ist aber super schade, weil das jeder tun kann, ohne dass man die Frage stellen muss, ob das mithalten kann. Ist das gut, oder schlecht? Ist doch egal! Wichtig ist nur, was es für euch bedeutet.
Fazit aus der Klasse
Joyce, 16:
„Er ist uns auf Augenhöhe begegnet und hat den Unterricht für alle recht interessant gestaltet. Jedoch finde ich, dass das Thema ‚Fußball’ nicht zu jedem gepasst hat.“
Note: 2-
Tim, 15:
„Der Unterricht hat Spaß gemacht und war verständlich, aber lief nicht ganz flüssig ab. Das Thema war gut, aber für eine bessere Benotung war es nicht gut genug.“
Note: 3+
Lucio, 15:
„Es war lustig und es war nicht dieses verklemmte Lehrer-Verhalten, sondern auf Augenhöhe.
Er war gut vorbereitet.“
Note: 2
Text: Frieda Rahn
Fotos: Michael Kuchinke-Hofer
Video: Paul Henschel
Teaserbild: Lena Schulze
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