Vertretungsstunde

Peinlich gibt’s nicht

Wut, Trauer, Freude, Eifersucht – das alles in einer Schulstunde? Aylin Tezel macht's möglich. Mit „physical theater“ betitelt sie ihre Vertretungsstunde im Grundkurs Darstellendes Spiel. Die Schüler des Berliner Lessing-Gymnasiums machen begeistert mit und löchern die Schauspielerin anschließend über ihr Berufsleben.

06. December 2016 - 09:34
SPIESSER-Autorin Juli_ane.
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Juli_ane Offline
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Aylin Tezel

...ist vor allem durch ihre Rolle als schwangere Canan in „Almanya – Willkomen zu Hause“ bekannt geworden. Im Dortmunder Tatort spielt sie aktuell die Kommissarin Nora Dalay. Eigentlich hat sie eine Ausbildung zur Tanzpädagogin gemacht und früher auch in dem Bereich gearbeitet. Dafür hat sie allerdings kaum mehr Zeit, seitdem sie so viele Drehaufträge bekommt.

Aylin: Hallo, ich bin Aylin – so könnt ihr mich auch nennen. Ich werd' aber erst gar nicht versuchen, eure Namen zu lernen. Vielleicht kennt ihr mich aus dem Film „Almanya“, da hab' ich die Schwangere gespielt. Begeisterte „Ah, jaaa“-Rufe sind zu hören.

Aylin: Heute will ich mit euch nicht nur reines Schauspiel machen, sondern sogenanntes „physical theatre“. Das heißt, wir machen heute Schauspiel, das in die Tanzrichtung geht. Am Anfang wird es vielleicht ungewohnt für euch sein, aber ein ganz wichtiger Grundsatz bei Tanz und Schauspiel ist: Euch muss nichts peinlich sein! Wir starten einfach und laufen durch den Raum. Die Schüler stehen alle auf und laufen durcheinander. Aylin stellt sich auf eine Seite der Aula. Nach ein paar Sekunden sollen sich alle ganz groß machen.

Aylin: Versucht euch mal vorzustellen, dass euer Kopf an einem Faden hängt und jemand dran zieht. So...
Sie hält ihre Hand über den Kopf einer Schülerin. Nach dem groß werden sollen die Schüler noch klein, alt und werden und sich gegenseitig die Hand geben und dabei in die Hocke gehen. Nach ein paar Minuten folgt die nächste Aufgabe.


Aylin gibt den Schülern nützliche Tipps.

Aylin: Ok, jetzt sucht sich jeder einen Partner und einer von euch stellt sich auf die Seite des Raumes rechts von mir, der andere links. Ihr findet euren Partner wahnsinnig toll und wollt unbedingt so viel Zeit wie möglich auf der anderen Seite des Raumes mit ihm verbringen. Zu der Gruppe rechts von ihr. Und ihr wisst gar nicht so recht warum, aber ihr mögt euren Partner nicht so gern. Wenn ihr euch gleich in der Mitte trefft, müsst ihr ihm deshalb irgendwie klar machen, dass ihr ganz dringend alleine auf die andere Seite des Raums müsst. Alles klar? Los geht’s!

Die Paare gehen aufeinander zu, fangen an sich zu unterhalten, der ein oder andere hüpft seinem Partner freudig entgegen. Manche Unterhaltungen enden in lautem Geschrei. Es dauert nicht lange, bis alle ohne Partner auf der jeweils anderen Seite des Raumes stehen. Jetzt sollen es die Schüler nochmal genauso machen – diesmal mit Berührung statt Reden. Dann setzen sich alle im Kreis auf den Boden.

Aylin: Und, was fandet ihr schwieriger? Reden oder Berühren?

Scarletta-Darleen: Auf jeden Fall das Berühren – das konnte sich der andere viel mehr wehren.

Raimond: Ich fand's auch schwieriger nicht zu reden. Da wusste ich nicht, wie ich mich ausdrücken soll.

Aylin: Ihr habt das alle aber gut hingekriegt! Jetzt möchte ich noch was anderes ausprobieren. Es gibt doch so Gefühle, die jeder kennt, oder? Fällt euch eins ein?


Berühren oder Reden? Die Schüler probieren beides.

Robsen: Wut.

Berfin: Trauer.

Scarletta-Darleen: Eifersucht.

Güney: Freude.

Aksinia: Angst.

 

Aylin: Fällt euch allen eine spezielle Situation zur Freude ein? Die Schüler nicken. Dann versucht euch genau so eine Situation vorzustellen und fühlt, wie sich euer Körper dabei anfühlt. Viele schließen die Augen, bei manchen wird der Schneidersitz merklich lockerer.

Aylin: Und?

Berfin: Ich habe mich leichter gefühlt.

Scarletta-Darleen: Mein Hals hat sich freier angefühlt. Auch durch die Emotionen Eifersucht, Angst, Trauer und Wut fühlen sich die Schüler noch durch.

Aylin: Das war gut als Einstieg für das, was jetzt kommt. Wie viele sind wir? Zählt durch. Könnt ihr fünf Gruppen bilden?

Die Schüler stehen auf und bilden brav fünf Gruppen, drei reine Mächengruppen, zwei gemischte. Aylin zeigt der Reihe nach auf jede Gruppe und verteilt die Emotionen Wut, Trauer, Freude, Eifersucht.

Aylin: Wir machen jetzt erst mal ein paar Tanzschritte. Tanzt jemand von euch in seiner Freizeit?
Ein Schüler und eine Schülerin melden sich.


So langsam bekommen die Schüler ein Gefühl für
"physical theatre".

Aylin: Dann wisst ihr bestimmt, dass man ein Lied beim Tanzen immer in Achter einteilt. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8. Unser Tanz besteht aus vier solcher Achter. Beim ersten Achter gehen wir einfach. Zählt bis acht und macht bei jeder Zahl einen kleinen Schritt. Die Schüler machen auch alle mit. Während der nächsten Acht gehen wir alle auf den Boden und setzen oder legen uns hin. Legt sich langsam auf den Boden, während sie bis acht zählt. Als nächstes haben wir eine ganze Acht lang Zeit, um uns auf dem Boden zu bewegen. Dreht sich auf dem Boden einmal von der einen auf die andere Seite und zählt nochmal mit. Bei der nächsten Acht stehen wir alle wieder auf. Das ist jetzt euer Grundgerüst. Eure Aufgabe ist, euch zu eurer Emotion Tanzschritte für dieses Grundgerüst auszudenken und einzustudieren. Ihr habt zehn Minuten Zeit!

Die Gruppen verteilen sich im Raum, besprechen sich untereinander. Mit der Zeit fangen die Schüler an, sich zu bewegen, erst einzeln, dann zusammen als Gruppe. Zehn Minuten später versammeln sich alle auf den Treppen der kleinen Bühne.

Aylin: Welche Gruppe will uns als erstes ihr Ergebnis zeigen?

Nach etwas Zögern steht die erste Gruppe auf und führt ihren Tanz vor. Bei jeder Acht springt sie mit ausgestreckten Armen in die Luft – Freude. Nacheinander führen die Gruppen ihre Choreographien auf. Die Wut-Gruppe tanzt fast ein bisschen Breakdance-ähnlich. Als letztes tanzt die Trauergruppe, umarmt sich am Anfang und Ende.

Aylin: Das war echt toll! Ihr seid alle echt mutig! Habt ihr noch irgendwelche Fragen an mich?

Celine: Hast du aktuell irgendwelche Projekt am Laufen?

Aylin: Zur Zeit geb' ich eher hier und da mal ein Interview, weil nächsten Monat der Film „Coming in“ in die Kinos kommt. Da geht’s um einen stylischen, schwulen Friseur, der auf einmal eine verrückte Friseurin gut findet – die spiel' ich.

Scarletta-Darleen: Mochtest du die Rolle?

Aylin: Ja, total! Gerade weil die Rolle verrückter drauf ist, als ich – da kann man viel ausprobieren.

Aksinia: Wie lange hat der Dreh für den Film gedauert?

Aylin: Wir haben letztes Jahr im Oktober und November gedreht, also zwei Monate hat das schon gedauert. Kostja Ullmann, der den Friseur spielt, und ich haben aber davor Praktika in Friseursalons gemacht, um uns vorzubereiten. Also, falls jemand Interesse hat – ich kann jetzt wirklich eine Dauerwelle machen und Spitzen schneiden.

Text: Juliane Fiegler
Fotos: Tony Haupt

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