SPIESSER-Autorin Ronja hat bei der “Live Below The Line”-Kampagne in Großbritannien mitgemacht und die Herausforderung angenommen, sich fünf Tage lang von weniger als einem Britischen Pfund am Tag zu ernähren. Ziel der Aktion ist es, auf die 1,2 Milliarden Menschen weltweit aufmerksam zu machen, die unter extremer Armut leiden.
28. May 2015 - 16:53 SPIESSER-Autorin ronja.lustig.
Erst einmal Einkaufen. Ich bin ziemlich zufrieden, als ich nach sorgfältiger Auswahl im Discounter einen ganzen Haufen Essen für insgesamt 2,30 Pfund vor mir habe. Darunter sind zwei Packungen Spaghetti (je 20pence), ein Kilo Haferflocken (75pence), ein Kohlkopf (45pence) und eine Packung Kekse (23pence). Vielleicht ist ein Pfund (also die englische Währung) pro Tag gar nicht so wenig?
Lecker Haferbrei zum Frühstück gefällig? Foto: Ronja Lutz
Wieder zu Hause mache ich mir eine große Schüssel Porridge aus Haferflocken mit heißem Wasser und einem Klecks Honig. Hungrig bin ich danach nicht mehr, aber so richtig lecker war es auch nicht. Zu Mittag gibt es Spaghetti mit Tomatensoße, ein guter Ausgleich. Skandal – die mickrige halbe Zwiebel in der Soße kostet mehr als die Nudeln.!
Es folgt ein schwieriger Nachmittag: Ich habe einen Haufen Arbeit für die Uni zu erledigen und weder Zeit noch Lust, mir über mein Essen Gedanken zu machen. Deswegen esse ich kurzerhand die gesamte Kekspackung und gehe mit einem schlechten Gefühl ins Bett. Meine Tagesausgabe: 70pence, für den Anfang gar nicht schlecht.
Tag 2:
Porridge, Reis mit Kohl, zum Abendessen Reis mit Sauce und Erbsen. Ich bin erstaunt, welche Wunder Gewürze wirken und wie gut mir Kohl schmeckt – noch. Meine Tagesausgabe: 95pence.
Um was geht's?
Fast 20% der Weltbevölkerung leben in extremer Armut, das heißt, mit weniger als 1,25$ (1,10€; £0,80) am Tag. Damit müssen sie nicht nur für Essen und Trinken, sondern auch für Unterkunft, Gesundheit und Erziehung auskommen. Rich Fleming und Nick Allardice, die Gründer von Live Below The Line, wollten einen Einblick in extreme Armut schaffen. Deswegen haben sie 2009 drei Wochen lang für unter einem Pfund täglich gelebt. In den letzten Jahren sind 30.000 Personen weltweit ihrem Beispiel gefolgt und haben durch ihre Erfahrungen und Präsenz in den Medien Mitmenschen zum Spenden animiert. Live Below The Line hat bisher sieben Millionen Pfund Spenden gesammelt, die an Organisationen gegen extreme Armut weiterverteilt wurden (darunter sind Action Against Hunger, unicef und ActionAid).
Tag 3:
Ich habe Bauchweh. Vielleicht sollte ich einfach nichts mehr essen. Noch dazu musste ich heute zwei Einladungen absagen – eine zum Abendessen und die andere zum Kaffeetrinken. Mir war gar nicht klar, wie viel Sozialisierung über gemeinsames Geld-Ausgeben läuft. Ich schäme mich, nicht mal einen Kaffee bezahlen zu können und bekomme in der Küche seltsam mitleidige Blicke von meinen Mitbewohnern. Allerdings heißt der Mangel an bezahlbaren Möglichkeiten immerhin, dass ich weniger wählen muss.
An Tag drei veranstaltet Ronja mit ihren
Kommilitonen ein "Festessen". Foto: Ronja Lutz
Am Abend koche ich für mich und alle meine Mitstreiter. Wir haben uns zu sechst zusammengeschlossen, um die Aktion gemeinsam durchzuziehen – parallel zu mehreren tausend Teilnehmern in England und weltweit. Es gibt eine etwas seltsame Kombination aus Nudeln mit Kohl (nie wieder Reis!) – und weil das so günstig ist, kommen wir sogar in den Genuss einer geteilten Gurke (60pence). Salat ist echt zum Luxusgut geworden und Obst ein ferner Traum. Meine Freundin Rachel meint: „Ich kann verstehen, warum ärmere Leute in England oft dick sind.“ Ich auch. Tagesbilanz: 90pence.
Tag 4:
Wieder überspringe ich das Frühstück und genieße stattdessen ein paar Salatblätter und eine halbe Avocado als Mittagessen, die ich im Sonderangebot auf dem Wochenmarkt ergattert habe. Ansonsten gibt es – schon wieder – Reis und Sojasauce. Jetzt, wo ich lerne, ein paar gesunde Lebensmittel einzubauen, geht es mir ganz gut damit. Regelmäßige Mahlzeiten und bewusstes Essen sind Dinge, die man als Student leider viel zu selten genießt. Aber gesund ist wie schon geschrieben nicht billig, darum koste ich heute mein gesamtes Pfund aus.
Tag 5:
Genau so viel durfte Ronja pro Tag für Essen aus-
geben - umgerechnet sind das etwa 1,38 Euro. Foto: Howard Lake, flickr.com,
CC-Lizenz (CC BY-SA 2.0)
Insgeheim blicke ich schon dem nächsten Tag entgegen. Wie wäre es mal mit einem Essen ohne Reis oder Nudeln? Ohne Rechnerei?
Nach fünf Tagen „Armut“ kann ich mir sicherlich noch lange nicht vorstellen, wie es denjenigen geht, die dauerhaft so leben – vor allem, weil ich mir über viele andere Probleme wie Unterkunft und Krankheiten keine Gedanken machen muss. Aber schon die ständigen Schuldgefühle beim Einkaufen und das Gefühl, von einem großen Teil der Gesellschaft ausgegrenzt zu sein, wünsche ich niemandem. Geschweige denn Schlimmeres.
Fazit nach einer Woche, fünf Pfund, massenweise Kohlehydraten und geöffneten Augen:
Meine gemütliche Konsumwirklichkeit hat ein paar Risse abbekommen. Ich verstehe nicht mehr, wie wir so im Überfluss schwelgen können. Bei mir zumindest hat die Kampagne den Wunsch geschaffen, einen Mittelwert zu gehen – einen Kompromiss, bei dem nicht die einen verhungern, während es anderen schlecht wird vom Zuviel. Für mich ist das genug Motivation, mich in Zukunft mehr gegen Armut zu engagieren. Ein erster Schritt aber war es, zu merken, dass ich selbst irgendwie gar nicht so viel brauche.
Du willst mehr über Ronja und ihre Mitstreiter erfahren?
Autorin und Studentin Ronja hat die Aktion mit Kommilitonen zusammen durchgeführt – zu sechst haben sie bisher mehr als £650 für die Organisation tearfund gesammelt. Mehr Infos gibt es auf ihrer Teamseite!
Die Aktion läuft übrigens jedes Jahr und auch du kannst die Herausforderung annehmen, über deine Erfahrungen bloggen und dabei Spenden sammeln. Mehr Infos gibt es unter livebelowtheline.com/uk
Text: Ronja Lutz
Teaser-Foto: Jason Rogers, flickr.com, CC-Lizenz (CC BY 2.0), Bild beschnitten
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