SPIESSERs gute Welt

Wir haben es selbst in der Hand „wer wir waren“

Was werden zukünftige Generationen über uns denken, wenn wir bereits Geschichte sind? Diese Frage stellt Marc Bauder den Protagonisten in seinem neuen Dokumentarfilm „Wer wir waren“. Seine Antwort auf diese Frage und woher er seine Inspiration für den Film nahm, findet ihr im Interview mit SPIESSER-Autorin Katharina.

26. August 2021 - 11:10
SPIESSER-Autorin Kathi99.
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Kathi99 Offline
Beigetreten: 01.04.2021

Ihr Film „Wer wir waren“ geht der Frage nach, was wohl unsere Nachkommen in ein paar Jahrzehnten von uns denken werden, wenn sie auf uns zurückblicken. Was denken Sie, werden Ihre Enkel oder Urenkel dann zu Ihnen sagen?

Bauder: Sie werden wohl denken: Warum habt ihr solange nur zugeschaut und nichts getan? Die Probleme sind inzwischen zwar in der Mitte der Gesellschaft angekommen, dennoch ist diese Mitte immer noch erschreckend still in Anbetracht dessen, welche Probleme uns erwarten werden. Wir können uns nicht mehr einfach zurückziehen und sagen, wir wussten von alldem nichts.

Marc Bauder
ist ein deutscher Filmregisseur und Produzent. Zunächst studierte er BWL, doch bereits während des Studiums entstanden erste Arbeiten als Regisseur bis Bauder 1999 seine eigene Produktionsfirma gründete. Unter anderem realisierte Bauder Dokumentarfilme wie "jeder schweigt von etwas anderem" (Berlinale 2006). 2011 folgte dann sein preisgekröntes Spielfilm-Debüt "DAS SYSTEM". Sein Kino-Dokumentarfilm "MASTER OF THE UNIVERSE" gewann u.a. den Europäischen Filmpreis, den Preis der Deutschen Filmkritik und die Semaine de la Critique in Locarno. 2017 wurde sein Spielfilm "DEAD MAN WORKING" mit dem Grimme Preis ausgezeichnet.
Und was würden Sie darauf antworten?

Bauder: Ich habe mit den Mitteln, die mir zur Verfügung standen, zumindest versucht, Menschen zu aktivieren. Der Titel „Wer wir waren“, der auf dem Zukunftsessay von Roger Willemsen beruht, versucht klar zu machen: Die Zeitspanne, die wir auf dieser Welt haben, ist endlich und jeder sollte sich darüber Gedanken machen, was er mit dieser begrenzten Zeit machen will. Die Menschen müssen nun aus ihrer Komfort-Zone herauskommen, da die Klimaproblematik nur mit Einschränkungen beziehungsweise Veränderungen zu bewältigen ist.

Inwiefern hat sie die Zukunftsrede von Roger Willemsen inspiriert?

Bauder: Willemsen hat uns in einer Klarheit und Prägnanz in seinem Werk vor Augen geführt, dass wir bereits alle Informationen haben, die wir brauchen, um die Klimakrise zu bewältigen. Und wirft ähnlich wie der Film die Frage auf: Warum tun wir dann nichts? Ich habe erkannt, dass es Zeit braucht. um die Informationen zu verwerten und die Informationen müssen miteinander verknüpft werden. Deswegen wollte ich einen Film machen, der verschiedene Themenbereiche miteinander verbindet und der zeigt, dass jedes Gebiet wichtig ist für das Lösen unserer Probleme.

Willemsens Buch ist eine Zustandsbeschreibung unserer Welt. Ich wollte mit dem Film aber nicht dort verharren, sondern zusätzlich den Blick in die Zukunft richten. Für mich war Willemsens Werk der Ausgangspunkt. Er hat uns die Dringlichkeit der Thematik und unsere individuelle Verantwortung dabei vor Augen geführt. Dann wurde der symbolische Staffelstab an mich übergeben und mit dem Film versuche ich diesen nun an den Zuschauer weiterzureichen.

Einigen Kritikern ist die Sprunghaftigkeit des Films negativ aufgefallen, die es dem Zuschauer nur kurz ermöglicht, in verschiedene Problemfelder unserer Umwelt hineinzuschauen. Wieso haben Sie sich für diese Art der Darstellung entschieden?

Bauder: Es gibt bereits viele Filme, die sich monothematisch mit der Klimakrise auseinandersetzen. Der Blick ist dabei meiner Meinung nach aber zu verengt. Wir brauchen verschiedene Perspektiven, um unseren Blick neu zu justieren. Das mag manchen nicht klar genug sein, aber so wieder derzeitige Zustand unserer Welt komplex und voller Fragen ist, soll auch der Film es sein. Ich möchte nicht weitere Informationen vermitteln, von denen haben wir genug. Der Film soll jeden, an welcher Stelle er sich auch immer befindet, abholen, neue Perspektiven zeigen und dazu ermutigen, sich selbst einzubringen. Ich kann als Filmemacher nur den Anstoß dafür geben, wo genau jeder Zuschauer aktiv wird, muss er oder sie selbst entscheiden.


Die kritische Posthumanistin Janina Loh (s.o.) beschäftigt sich
mit komplexen Fragen zum Umgang mit Robotern in der Zukunft.
Warum haben Sie sich gegen die Darstellung gewohnter Schockbilder von Umweltverschmutzung oder leidenden Tieren entschieden?

Bauder: Zum einen haben wir diese Schockbilder alle schon gesehen und zum anderen stellt sich mir die Frage: Wieso tun nach diesen Bildern immer noch so wenige Menschen etwas? Viele Leute neigen dazu, eine Anti-Haltung zu entwickeln, wenn sie Schockbilder sehen, da sie das Gefühl bekommen sowieso nichts ausrichten zu können. Ich habe versucht, einen emotionaleren Weg zu wählen, um die Schönheit und Fragilität des Lebens und des Planeten darzustellen. Es ist beeindruckend wie eine Sylvia Earle fasziniert über Fische redet, als ob sie sie gerade erst entdeckt hat, dabei taucht sie schon seit 60 Jahren. Leider wird unsere Erde selten in dieser emotionalen Weise betrachtet. Oft ist in Vergessenheit geraten, dass wir mit dem Klimaschutz nicht nur die Schönheit unserer Natur erhalten können, sondern auch die Spezies Mensch. Mit dem Blick aus dem All wollte ich einen Perspektivwechsel erreichen. Vielleicht hilft es uns, uns wieder in einem anderen Kontext zu sehen und zu realisieren, wie klein wir doch in diesem Universum sind.

Wie genau kann ich mir den Prozess von der Idee bis zum fertigen Film vorstellen?

Bauder: Nach jedem Drehtag haben wir sofort das Material geschnitten und darauf reagiert. Wir haben zudem versucht, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen, wie den Ökonom Dennis Snower und den Molekularbiologen und Mönch Matthieu Ricard. Es ist wichtig, dass sich Menschen aus verschiedenen Welten zueinander bewegen und etwas Neues entstehen lassen. Der Film ist auch eine Reise und Suche für mich selbst gewesen und die brauchte Zeit. So haben wir über ein Jahr hinweg immer wieder alle anderthalb Monate gedreht und haben nach jeder Reise unsere Fragen neu justiert, denn nach jeder Reise kommt man auch mit neuen Fragen zurück. Wir haben Fragen von Protagonisten an andere weitergegeben. Ich wollte Menschen darstellen, die sich bewundern lassen und suchend sind. Diese Gedanken und Perspektiven auf die Welt habe ich versucht mit dem Film weiterzugeben.


Durch die Bilder von Alexander Gerst (s.o.) bekommt der Zuschauer
einen atemberaubenden Blick aus dem Weltall auf unsere Erde.
Neben Astronaut Alexander Gerst lassen Sie in Ihrem Film vor allem zahlreiche Wissenschaftler zu Wort kommen – wieso haben es genau diese Personen in Ihren Film geschafft?

Bauder: Ich wollte einen Blick von außen, also aus dem Weltall, in den Film aufnehmen, was durch Alexander Gerst gut möglich war. Ich habe versucht verschiedene Blickwinkel aus verschiedenen Kontinenten, von Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters aufzugreifen, die in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen tätig sind. Aber auch der Blick in die Zukunft war mir wichtig, weswegen ich froh war Janina Loh gefunden zu haben, die sich mit dem kritischen Posthumanismus auseinandersetzt. Da mir klar ist, dass wir die Probleme nicht mit einem ausschließlich eurozentrischen Blick lösen können, war ich sehr froh, dass sich der senegalesische Philosoph Felwine Sarr dazu bereit erklärt hat, im Film mit zu wirken.

Wie sieht nach Erstellung des Films Ihr Blick in die Zukunft aus? Sind Sie noch optimistisch oder eher pessimistisch?

Bauder: Ich sage einfach nur: Wann, wenn nicht jetzt? Ich und wir alle haben es selbst in der Hand wer wir waren. Das was von uns übrigbleiben wird, ist nicht von anderen definiert, sondern ein Gestaltungsraum. Ich möchte die Hoffnung trotz allem noch nicht aufgeben.

Wer wir waren

Mehr Infos und Meinungen zu "Wer wir waren" findest du in unserer Rezension zum Film.

 

 

 

Interview: Katharina Ziegler
Bilder: ©X Verleih AG

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