Gemeinschaftsschule Geithain: Wie früher im Osten?
Die Geithainer Paul-Guenther-Schule ist die erste Gemeinschaftsschule Deutschlands. Das heißt: drei Schulformen in einer Klasse bis zur achten Stufe. Das gilt als fortschrittlich. Ist es auch die Zukunft des deutschen Bildungssystems? Ein Besuch im Betonklotz.
04. April 2007 - 12:00 von SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
Ziehen und Drücken sind zwecklos. Die Eingangstür der Paul-Guenther-Schule in Geithain ist verrammelt, man muss klingeln. Und das nur, weil mal ein paar ungebetene Jugendliche die Schultoilette heimsuchten, um ihre Haare dort zu färben.
Ansonsten scheint sich der graue Klotz in der Schillerstraße aber kaum von anderen Schulen zu unterscheiden. Und doch ist da alles anders. Denn dieses Haus darf sich seit kurzer Zeit "Gemeinschaftsschule" nennen. Als erste Schule überhaupt in Deutschland.
Gemeinschaftsschule - das heißt, dass Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten gemeinsam lernen. Im Fall Geithain bis zur achten Klasse. "Die verschiedenden Leistungsniveaus der Schüler sind dabei kein Problem", sagt Schulleiter Gunter Neuhaus. Man muss ihm das glauben. Neuhaus wirkt autoritär in seinem geschniegelten Anzug, mit seiner tiefen, brummenden Stimme und dem akkurat gedrehten Schnauzer. Er wirkt ein wenig konservativ.
Nach der Achten aufs Gymnasium?
Dabei ist Geithain fortschrittlich. "Die Schüler helfen sich gegenseitig", sagt der Schulleiter. Wenn Gruppenarbeiten anstehen, werden gute und weniger gute Schüler getrennt und dann unterschiedlich gefördert. Ist die achte Klasse in der Gemeinschaftsschule geschafft, kann es nahtlos mit der Mittelschule weitergehen. Denn die sitzt im selben Haus. "Ich hätte selbst gern in der Gemeinschaftsschule gelernt", sagt die 16-jährige Jasmin Liebing, die kurz vor dem Realschulabschluss steht und Geithains Realschulkonzept noch nicht miterleben durfte. "Dann hätte ich wenigstens ohne Probleme oder Klassenwiederholungen aufs Gymnasium wechseln können."
Die Gemeinschaftsschule in Geithain ist eine von insgesamt zwei, die es derzeit in Deutschland gibt. Vier weitere Schulen haben gute Chancen, dass ihr Antrag auf Eröffnung einer Gemeinschaftsschule genehmigt wird. Hart ist der Unterricht in der neuen Form trotzdem. Acht Stunden täglich müssen die Jugendlichen in Geithain lernen. "Ich würde mir weniger Unterricht, dafür aber viel mehr Gelegenheiten zum Kippeln wünschen", sagt die elfjährige Jamie Leewendler grinsend.
Dabei ist der Unterricht schon an modernen Konzepten ausgerichtet: Statt des gewöhnlichen Frontalunterrichts setzt die Geithainer Schule teilweise wie im skandinavischen System auf das sogenannte Blockmodell. Das bedeutet für die Schüler täglich zwei Stunden Gruppenarbeit in einem vorher festgelegten Fach wie Biologie. Auf das normale Unterrichtspensum folgen dann noch Hausaufgaben-Stunden und Angebote zur individuellen Förderung. Zusätzlich gibt es jeden Mittwoch ein Ganztagsangebot mit Schwimmen, Reiten, kreativem Gestalten, Schach oder Theaterspielen.
"Wir arbeiten mit einem Gymnasium zusammen und mischen dessen Lehrpläne mit denen der Mittelschule", sagt Schulleiter Neuhaus. Das Gymnasium Geithain stellt dafür sogar Lehrer. Dadurch sollen Achtklässler später leicht aufs Gymnasium wechseln können. Das alles ist möglich, weil Geithain ein Schulversuch ist - mit sechsjähriger Probezeit und unter ständiger Beobachtung durch das Kultusministerium.
Wenn die erste Testklasse das nächste Schuljahr erreicht, ist eine zweite Fremdsprache geplant: Russisch oder Französisch in Klasse 6. Und ab der Siebten sollen die Schüler nach ihren Leistungen eingeteilt werden. "Forder- und Förderungslevel" nennt sich das dann. Ein Wechsel zwischen den Gruppen, so der Plan, soll permanent möglich sein. Zusätzlich werden Profile eingeführt: Hauswirtschaft, Wirtschaft, Technik oder Naturwissenschaften.
Zweigliedrigkeit hat sich bewährt
Seit Neuhaus dem Schulexperten Dr. Ernst Rösner von der Uni Dortmund bei einem Treffen zum Thema Gemeinschaftsschule in Dresden begegnete, arbeitete der Schulleiter zusammen mit zwei anderen Experten lange an einem Konzept. Richtlinien wie eine Mindestzahl von 40 Schülern pro Jahrgang oder die Gewährleistung der jeweiligen Schulabschlüsse mussten erfüllt sein, ehe die Gemeinschaftsschule vom Kultusministerium Sachsen grünes Licht bekam. "Wir sind jedoch keine Verfechter dieses Zweiges", stellt Manja Israel, Pressesprecherin des sächsischen Kultusministeriums, klar. Schließlich habe sich das zweigliedrige Schulsystem mit Gymnasium und Mittelschule im Land laut PISA-Test bewährt.
Die Geithainer sind trotzdem zuversichtlich, dass ihr Projekt Gemeinschaftsschule klappt. "Ich finde, dass es noch viel mehr Gemeinschaftsschulen geben sollte. Dort herrscht wenigstens ein gesunder Wechsel zwischen Lockerheit und Stress , sagt Janett Arnold, deren Tochter die Schule in Geithain besucht. Ob sich Geithain bewährt, wird sich 2012 zeigen. Dann klingelt das Kultusministerium in der Schillerstraße. Und wird sich umgucken.
Text und Fotos: Stephanie Lehnert
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