Seit dem Kinostart am 3. November 2016 sorgte die Integrationskomödie "Willkommen bei den Hartmanns" für Aufruhr und stetig steigende Kinobesucherzahlen.
Der Regisseur und Drehbuchautor Simon Verhoeven hat mitten in den Nerv der Zuschauer und den Puls der Zeit getroffen.
Zum ersten Mal in der zeitgenössischen Geschichte der Verfilmung, wagte es ein Filmemacher, die Flüchtlingskrise als humoristische Familienkomödie auf die große gesellschaftliche Bühne zu bringen.
14. December 2016 - 15:29 von SPIESSER-Autorin FabiolaJ.
Zum ersten Mal in der zeitgenössischen Geschichte der Verfilmung, wagte es ein Filmemacher, die Flüchtlingskrise als humoristische Familienkomödie auf die große gesellschaftliche Bühne zu bringen.
Bilder von Schiffsunglücken, Krieg, Tod, Verfolgung und Elend tauchen mit einem einzigen Knopfdruck auf, sobald der Begriff "Flüchtlinge" fällt. Diese Assoziationen für knappe zwei Stunden in Vergessenheit geraten zu lassen und dabei den Spagat zwischen Anspannung und Entspannung zu meistern, wirkt auf den ersten Blick geradezu wie eine Herkules-aufgabe. Ist es nicht. Das beweist Männerherzen-Regisseur mit seiner neusten Komödie.
Gezeigt wird eine wohlhabende Hamburger Großfamilie, die alltägliche Lebenskrisen durchlebt: Vater Richard (Heiner Lauterbach), erfolgreicher Arzt mit Angst vor dem Älterwerden, mitten in einer Midlife-Crisis, Mutter Angelika (Senta Berger) langweilt sich als pensionierte Deutsch-lehrerin und Direktorin tierisch ganz alleine im Haus, die orientierungslose Tochter Sophie (Pallina Rojinski) hat bereits mehrmals ihr Studium abgebrochen und ist auf der Flucht vor einem kontrollsüchtigen Verehrer und dem Burnout-gefährdeten Sohn Philipp (Florian David Fitz) misslingt die Work-Life-Balance vollkommen, er benachteiligt als krankhaft verbissener Karrieremensch die gemeinsame Zeit mit seinem Sohn Basti (Marinus Hohmann).
Wagemutig nähert sich der Film dem heiklen Thema, indem Mutter Angelika auf der Suche nach Gesellschaft und Beschäftigung beschließt, einen Flüchtling bei sich in der Villa wohnen zu lassen. Die Wahl fällt auf den jungen, fleißigen und sympathischen Diallo (Eric Kabongo) aus Nigeria, der alleine nach Deutschland geflüchtet ist. Somit prallen zwei grundverschiedene Welten aufeinander – Schäden sind selbstverständlich vorprogrammiert.
Wohl unbestritten:
Der Film ist eine turbulente Fahrt durch das Leben. Ein knallharter Frontalzusammenstoß der widersprüchlichen Meinungen zur Flüchtlingskrise, die in Deutschland kursieren. Aber auch ein Tauchgang in die Tiefen der fest verankerten Vorurteile – ob unterhaltsam oder nicht, mag nun dahingestellt sein.
Die Fragen, die es allerdings zu Stellen gelten sind die folgenden:
Kann man einen solch emotionalen wie komplexen sozialen Brennpunkt auf knappe zwei Stunden und auf ein humoristisches Format reduzieren? Allein diese Grundfrage spaltet die Meinungen der Zuschauer und Kritiker.
Einerseits haben wir diejenigen, die der Meinung des Regisseurs vollkommen d'accord gehen und finden, dass man vor allem in Zeiten des Aufruhrs ein Lächeln oder sogar ein Lachen zustande bringen kann, darf und sogar soll. Das sind die weltoffenen Komödiensympathisanten, die Verhoeven am liebsten ein enthusiastischen High-Five für die köstliche Unterhaltung geben würden. Diejenigen, die Schubladendenken zum Schreien komisch finden und über Zebras im Garten, Gangsta-Slang, Psychatrieaufenthalte sowie Hippie-Tanten zum Tränenlachen finden. Ihr Standpunkt: Der spritzige, unverblümte und leicht überzogene Film sorgt definitiv für Unterhaltung auf dem Familiensofa! Die wagemutige Mischung aus alltäglichen Problemen wie Liebe, Ehekrise und Altern mit der ernsten und emotionalen Weltkrise, Fremdenhass und Diskriminierung macht die Komödie einzigartig und definitiv sehenswert ist!
Bevor Sie es vielen Kinobesuchern gleichtun, der plötzlich auftauchende, enorme Tatendrang die Oberhand gewinnt und Sie sich kaum mehr bremsen können, ins nächste Kino zu stürzen und eines der begehrten Tickets zu ergattern, Folgendes:
Es gibt noch die andere Seite.
Diejenigen, denen vor klischee-überladenen maßlos überzeichneten Figuren und übers Ziel hinausgeschossenen Gags, der Brechreiz droht. Verächter der Rolle, die dem unschuldigen und notdürftigen Flüchtling zugeschrieben wird. Und zwar die, der "kleinen guten Fee", die Wohltaten vollbringende afrikanische Mary Poppins, die das Traumpaar verkuppelt und die weiße Wohlstandsgesellschaft retten muss. Diejenigen, die einen anspruchsvollen Film erwartet haben und nicht, dass der Film die Würde der Flüchtlinge untergräbt, indem die alltäglichen Mini-Familien-Brennpunkte den eigentlichen sozialen und höchst aktuellen Brennpunkt verdrängen. Ihr Standpunkt: Der Finger wurde keinesfalls direkt in die Wunde, nämlich die Kriegstraumata der Flüchtlinge, gelegt. Die klaffende Wunde bleibt unberührt - ebenso wie die Tränendrüsen der Zuschauer. Und dass es bei diesem Thema Tränen geben sollte, liegt ja wohl deutlich auf der Hand. Für sie ist der Film seichte, "typisch deutsche Comedy" à la Til Schweiger. Ihr Credo lautet: Realität sieht anders aus! Niveauvolle Unterhaltung auch!
Nachdem ich Ihnen groß und breit die beiden verschiedenen Sparten präsentiert habe, wird Ihnen wohl hoffentlich etwas dick und fett ins Auge gesprungen sein. Das Schwarz-Weiß-Denken. Haben wir das nicht schon längst abgelegt? Haben wir nicht schlussendlich verstanden, dass es noch etwas dazwischen gibt? Ich habe Ihnen zwei Meinungsfelder präsentiert: Die Ja- und die Neinsager. Wo bleibt das Mittelfeld? Gibt es etwa keinen Platz zwischen den zwei Extremen?
Meiner Meinung nach liegen genau hier der springende Punkt und der Denkfehler des Films. Ich lege den Finger jetzt in die offene Wunde, wenn ich behaupte: Der Film möchte die Realität abbilden, versagt aber schon dabei, die typisch deutsche Familie abzubilden. Typisch weiß, wohlhabend, spießig? Wohl eher nicht!
Wer sind die Menschen, die gegen Flüchtlinge auf die Straße gehen und laut "Für das deutsche Vaterland wettern?" Typisch weiß, junge, hoffnungslose und alte perspektivlose Männer in Kaki-Jacken und Nationalfahne? Wohl auch nicht!
Wenn der Film ernst genommen werden soll, muss er sich auch ernsthaft mit den Strömungen und Realitäten in Deutschland auseinandersetzen. Und dazu gehört eben auch eine tiefer gehende Beleuchtung, wer die Flüchtlinge überhaupt sind. Wenn man beschließt, über sie zu erzählen, muss man ihre tief greifenden Hintergründen und erschütternden Schicksalen gerecht werden. Dies ist definitiv nicht in läppischen fünf Minuten getan! Der Moment, in dem Diallo von seiner Vergangenheit in Nigeria erzählt wirkt wie ein Bruch im Film. Da sollte wir ununterbrochen über die überzeichneten Szenen lachen und dann kratzen wir doch nicht mehr nur an der Oberfläche, sondern es wird gar tiefgründig?
Wenn man der Gesellschaft die Angst vor den Fremden nehmen, die Vorurteile ausknipsen und die vor der Brust verschränkten Arme entknoten möchte, muss man dieIFlüchtlingsidentität klären. Daran führt kein Weg vorbei. Dabei sich den ausgelutschten Stereotypen und Rollenbildern zu bedienen und derart zu überdrehen, macht die Integrationskomödie zu einer grotesken Comedy-Inszenierung.
Heißt uns die Gesellschaftssatire nun in der Realität willkommen? Wohl eher nicht! Schade eigentlich.
Aber vielleicht muss der Film das ja gar nicht. Betrachten wir Herr Verhoevens Werk einfach als eine Familienkomödie. Der Flüchtling ist ein nettes Accessoire, das das Familienleben ordentlich durchrüttelt und den Familiensegen letztendlich wieder aus der Schieflage befreit. Schrauben wir unsere hohen Erwartungen aufgrund der Politik und aktuellen Relevanz doch hinunter und lassen uns unterhalten. Denn eins steht fest: Langweilig kann es dem Zuschauer bei diesem Film nicht werden!
Lohnt sich der Eintritt nun? Meiner Meinung ja. Egal ob Sie zu den Jasagern, den Neinsagern oder dem Mittelfeld angehören. Sich in die Diskussion mit einklinken kann sich am Ende jeder.
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