Immer mehr junge Menschen haben mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen. Weit vorne dabei: Burnout. Nicht erst seit der Pandemie steigen die Zahlen an Menschen mit therapiebedürftigen Erschöpfungssymptomen. SPIESSER-Autorin Stephanie fragt sich woran das liegt und ob die jungen Generationen stärker belastet werden.
01. December 2021 - 14:46 SPIESSER-AutorIn Mitdenkerin.
„Ihr habt’s doch besser, ihr habt die breite Auswahl.“ Ein Spruch, der die Nach-Wende-Generationen bei Familienfeiern wahrscheinlich noch eine ganze Weile verfolgen wird. Dass die breite Auswahl nicht nur Privileg ist, kann aber fast jeder bestätigen. Ein Jahr ins Ausland, direkt ins Studium oder doch erstmal eine Ausbildung? Aber was? Und wo?
Mir ging es nach dem Abitur ähnlich. Der Notendurchschnitt nur mittelmäßig, versuchte ich mich erstmal im Leben in Freiheit und machte „nebenbei“ ein FSJ. Bloß nicht direkt weiterlernen. Aber was will ich wirklich mit meinem Leben anfangen? Das wusste ich lange Zeit nicht. Als ich dann nach einer abgebrochenen Ausbildung und einem Jahr Elternzeit nach Geburt meines Kindes mit dem Studium begann, freute ich mich auf nichts mehr, als das Lernen. Tiermedizin sollte es mal sein, Jura wurde es schließlich.
Wie alles begann
Schon in der Einführungsvorlesung wusste ich, dass ich endlich gefunden habe, was mich glücklich macht. Der Professor – auch immer noch der von mir am meisten geschätzte Dozent und Lehrbuchautor – ist einer der klügsten Menschen, denen ich je zuhören durfte. Kluge Gedanken faszinieren mich seit jeher. Und seitdem ich mit Jura beschäftige, spüre ich sie auch in mir: neue Gedanken, die vielleicht irgendwann mal so ausgereift sind, dass sie das Zeug dazu haben, die Welt zu verbessern.
Dieses Gefühl ist für mich eines der besten. Mein Problem war nur, dass ich es am Ende meines Studiums nicht mehr wahrnahm. Ich spürte nur eins: Last. Wie ein fetter schwarzer Kater, der auf meiner Brust sitzt und sich festkrallt. Jeder Gedanke an die letzten – im Jurastudium alles entscheidenden – Prüfungen, löste aufsteigende Panik in mir aus. Ich konnte nur noch mit Podcast einschlafen und ich weinte. Ich weinte 2020 so viel, wie seit meiner Kindheit nicht mehr. Aber es waren andere Tränen, Tränen der Wut, der Verzweiflung und der unendlichen Erschöpfung. Alles auf einmal.
Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich Burnout nie richtig verstanden. Es mögen die fehlenden Berührungspunkte sein oder der indoktrinierte Gedanke, dass Stress nur ein Symptom mangelnden Zeitmanagements sei und man nur das richtige Mindset benötige, um ALLES zu schaffen. Zusammenbrechen vor Erschöpfung? In meiner privilegierten Situation? Das kann nicht sein. Dabei arbeitet meine Mutter in einer Psychiatrie und ich hätte es wirklich besser wissen müssen.
Das Problem mit dem Selbststudium
Studieren bringt jede Menge Freiheiten mit sich. Aber mehr Freiheit bedeutet auch gleichzeitig mehr nötige Disziplin und Motivation. Wer die Lernzeit selbst gestalten kann, muss dies eben auch erst einmal tun: Lernen. Und das muss man können. Zwar kennen wir alle verschiedene Lernmethoden und mussten uns in der Schule schon mal damit befassen, ob wir eher der auditive oder doch visuelle Lerntyp sind. Aber das heißt noch lange nicht, dass man das auch beherrscht. Lange Sitzungen in der Bibliothek, stapelweise Karteikarten, ein eigenes Ordnungssystem, das alles musste ich mir hart erarbeiten. Dazu kommt das wohl größte Problem unserer Generation: der Medienkonsum. Auch nach 6 Jahren Studium, habe ich noch immer habe mein Handy beim Arbeiten auf dem Schreibtisch liegen und nehme es – nicht nur – bei jedem Blinken in die Hand. Die Enttäuschung über mich selbst wurde mit jeder nichtgenutzten Minute größer.
Nun ist das Jurastudium im Zeitaufwand des Selbststudiums gewiss nicht repräsentativ für alle Studiengänge. Aber wer 1 ½ Jahre alleine in einem 15 m² WG Zimmer gehockt hat und ohne direkten menschlichen Kontakt lernen musste, ist auch ohne Vorbereitung auf ein Examen nicht zu beneiden.
Druck, Druck und noch mehr Druck
Noch mehr als mit der Prokrastination hatte ich mit der unmöglich zu schaffenden Menge an Stoff zu kämpfen. Mit der Angst des Scheiterns angesichts der verhältnismäßig hohen Durchfallquote im Nacken, arbeitete ich mich durch Lehrbücher, Skripte und Vorlesungsmaterialien. Der Karteikartenstapel mit examensrelevanten Problemen wuchs und hörte bis zum Tag der Prüfungen nicht auf zu wachsen. Auch die kleinste Entscheidung des Amtsgerichts Buxtehude aus 1981 sollte ich kennen.
Manchmal ist es eben nicht die eigene subjektive Einstellung, das Zeitmanagement oder die Motivation. Manchmal sind die Erwartungen der anderen nicht zu erfüllen. Ein Vollzeitstudium plus Nebenjob und das alles mit Kind. Das ist ohne Hilfe einfach nicht machbar.
Mein größter Fehler
Und obwohl alle Alarmglocken schlugen, machte ich weiter, einfach weiter. Wenn ich schon nicht genügend Zeit fürs Lernen habe, woher sollen dann die Stunden für wöchentliche Therapiesitzungen kommen. Außerdem gibt es ja Leute, den es viel schlimmer geht und die die raren Therapieplätze viel nötiger haben als ich. Aber genau den hätte ich gebraucht. Das wusste ich auch damals, aber den Schritt machen konnte ich nicht. Nicht mal bei meiner Mutter konnte ich mir Unterstützung suchen. Dabei hat sie doch die nötige fachliche Kompetenz und gute Kontakte. Aber genau das hat mich abgeschreckt. Bei aller Kritik, die ich am Jurastudium übe, lag die Verantwortung der Eigenfürsorge letztlich bei mir.
Macht es anders als ich. Nehmt euch die Zeit, um euch Hilfe zu holen.
Mein Examen ist jetzt bald ein Jahr her und immer noch merke ich, dass ich psychisch nicht so stabil bin, wie vor dem Studium. Das Glück kam aber wieder, und die Lebensfreude und auch die Entspannung. Nicht sofort, aber sie kamen. Ich habe es schließlich auch geschafft meine Mutter mit ins Boot zu holen. Im Mai 2021 beginne ich mit dem Referendariat. Die nächste – nicht weniger entspannte – Etappe auf dem Weg der juristischen Ausbildung. Warum ich weiter mache? Weil ich liebe, was ich tue. Ich will diesen Weg gehen. Diesmal bin ich aber vorbereitet. Ich habe Bewältigungsstrategien entwickelt und mir Entspannungszeiten und Sport zum Ausgleich fest eingeplant. Die Angst vor den nächsten Prüfungen kann ich trotzdem nicht leugnen. Erstmal heißt es aber: tief durchatmen und nach vorne schauen.
Text: Stephanie Graetz
Bild: Abby Chung von Pexels
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