Fridays For Future rüttelt an der Gesellschaft, leider sind Wahlen immer am Sonntag und immer seltener for future. Während die politischen Entscheidungen immer weitsichtiger werden, aufgrund der sich zuspitzenden Probleme, trägt die wichtigste Wählergruppe Brille gegen Weitsichtigkeit. Wir brauchen eine Reform.
02. September 2019 - 10:29 SPIESSER-Autor Der Mann den Sie Pfirsich Nannten.
„Letztwähler – eine Gefahr für Europa“ titelte DIE PARTEI im Wahlkampf zur Europawahl und überspitzte in der Form, aber traf für viele von uns jungen Menschen in der Sache zielgenau. Junge Menschen, die sich um tote Flüchtende im Mittelmeer, Klimawandel und Gleichberechtigung sorgen. Themen, die für den seit 2017 größten Teil der Wählerschaft, diejenigen, die 60 Jahre und älter sind, zu verständnislosem Kopfschütteln führen, sofern es die dritten Zähne gefahrenfrei zulassen. Noch schlimmer: Es sind Themen, die alte weiße Männer und Frauen verunsichern.
Verunsicherung, die dazu führt, dass daraus politische Unsicherheit wird, aus Angst vor dem Machtverlust der vorherrschenden Regierungen, wenn man dieser Verunsicherung vieler nicht begegnet. Man müsse die Sorgen ernst nehmen. Sorge vor zu viel Migration? Vor zu teurem Sprit? Vor Frauen, die sich nicht mehr betätscheln lassen? Vor komplexen Problemen? Vor der Wahrheit? Wo ziehen wir die Linie und wann nehmen wir vielleicht lieber die Situation ernst, die Menschen wieder solche Sorgen haben lässt, statt die Sorgen?
Über Bord müssen im Kampf gegen die Angst unbequeme Entscheidungen, richtungsweisend, wissenschaftlich und gesellschaftlich notwendig. Über die Zukunft einer Generation entscheidet mehrheitlich eine Generation, die die Folgen der von ihr bestimmten und gewählten politischen Schlagrichtungen nur erlebt, wenn man an Reinkarnation glaubt. Und Politik muss sich nur an Entscheidungen messen lassen, die innerhalb der Wahlperiode Ergebnisse bringen. Man stelle sich nur vor, es würde etwas beschlossen, was sich über zehn Jahre entfaltet und womöglich ist man selbst gar nicht mehr im Amt, wenn der Erfolg des eigenen Handels zu messen ist – das ist aktuell politisch nicht rentabel.
Fantasien über Prozente und Batman
An drastischeren Tagen, in denen ich den Gleichheitsgrundsatz in den Keller sperre, fantasiere ich über mathematisch sinnvollere Varianten, die diese Ungerechtigkeit miteinbeziehen. Mein Lieblingsmodell: 35 Jahre als Wahlalter mit 100% Stimmkraft, jedes Jahr Abweichung nach oben oder unten reduziert die Stimmkraft um 1%. Mit 85 Jahren zählt die Stimme 50%. Das Modell ist brutal pauschal, aber es würde helfen, uns dem Druck der zukünftigen Probleme zu stellen. Mutige Politik wäre mir lieber. Auch repräsentative Demokratie muss nicht so repräsentativ sein, dass sie Egoismus und Kurzsichtigkeit der Wählerinnen und Wähler widerspiegelt. Manchmal muss Politik vielleicht mehr sein wie Batman am Ende von „The Dark Knight“ und bittere, aber eben bitter nötige Entscheidungen treffen, die in drei Monaten auf Widerstand und in drei Jahren dann auf Verständnis stoßen.
Wir brauchen eine Art thematischen Minderheitenschutz – Umwelt, Geflüchtete, Gleichberechtigung haben im Gegensatz zur Industrie keine gut finanzierte Lobby. Moral ist kein Gewinn für eine stur ökonomische Rechnung, aber für die Gesellschaft in Gänze. Deshalb ist es Verantwortung der Regierenden, diese Ziele mit der nötigen Konsequenz durchzusetzen. Und ich würde mir wünschen, dass man dieselbe Ignoranz gegenüber dem Unmut der Wählerschaft bei Abgasskandalen auch für weniger profitable Probleme aufbrächte.
Solange das nicht der Fall ist, bleibt mir nur zu fordern, das Wahlsterben zu verhindern, indem wir der Zukunft Gewicht verleihen. Ansonsten bitte ich alle Politikerinnen und Politiker, sich ihre Kleidung und ihre Spotify-Playlist für die kommenden vier Jahre durch ihre (Groß-)Eltern aussuchen zu lassen – Über 60jährige wissen ja mehrheitlich, was gut ist!
Text: Christian Schneider Teaserbild: Die Suche nach Sicherheit für die Demokratie (Sinnbild), Foto: Christian Schneider
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