Beyoncé im Sari, Kinder verkleidet als Indianerhäuptlinge – wir alle bedienen uns an den Kulturen Anderer. Was früher noch unumstritten war, entfacht heute Diskussionen. Kulturelle Aneignung lautet das Stichwort. Eine Wortneuschöpfung der Ethikpolizei oder sind wir direkt Rassisten, wenn wir uns an Karneval mit Federn schmücken?
25. February 2020 - 14:39 SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
In Südafrika bin ich zum ersten Mal mit kultureller Aneignung in Kontakt gekommen. Nach drei Monaten Afrika und täglicher Begeisterung für die Frisuren, entschied ich mich für Rastazöpfe. Doch neben Bewunderung, sammelte ich auch irritierte Blicke. Owethu, ein Mädchen aus meinem Projekt, brachte mein Gedankenkarussell richtig in Fahrt: „Warum trägst du diese Frisur? Die ist doch nur für Schwarze.“ Ich bin weiß. Für das Mädchen lag da das Problem.
Um ehrlich zu sein, hatte ich mich wenig bis gar nicht mit der Bedeutung von Rastazöpfen auseinandergesetzt. Dass die aufwendigen Frisuren als Statussymbol gelten, wusste ich. Dass heute noch in vielen Teilen Afrikas ledige Frauen andere Muster tragen als verheiratete, wusste ich nicht. Ich fühlte mich ertappt. Für mich waren meine Rastazöpfe vor allem praktisch. Begeisterung für ein Land, kein Kulturdiebstahl.
Meine Rastazöpfe im Kleinen sind wie Karneval im Großen
Wer die volle Bandbreite kultureller Aneignung erleben möchte, muss sich nur in nächster Zeit auf die Straßen trauen: Pompöser Federschmuck indigener Völker, überdimensionale Sombreros und Gewänder aus dem Orient. Nicht selten bedienen sich Karnevalsbesucher an optischen Elementen aus Kulturen, die nicht ihre eigenen sind. „Das Verkleiden hat in Deutschland eine langjährige Tradition“, heißt es dann. Ja, das Verkleiden ist eine deutsche Tradition, Rassismus aber leider auch. Und damit fängt die Frage nach kultureller Aneignung an. Diese beschreibt den Vorgang, bei dem sich dominante Gesellschaftsgruppen, vorwiegend Weiße, an kulturellen Symbolen stark marginalisierter Gruppen bedienen. Kurzum: Man bedient sich an allem, kopiert, imitiert – ohne die Bürde der Diskriminierung tragen zu müssen.
Deshalb sollte man sich fragen, ob das „Indianerkostüm“ wirklich sein muss? Einmal davon abgesehen, dass die Bezeichnung „Indianer“ mehr als problematisch ist, verallgemeinert man mit dem Kostüm eine gesamte Menschengruppe. Man schert über 500 verschiedene indigene Stämme aus Amerika über einen Kamm und macht daraus eine uniforme, stereotypisierte Gestalt. Und das ist, wenn ihr mich fragt – Narrenfreiheit hin oder her – falsch. Dennoch: Ein „Indianerkostüm“ macht für mich einen Menschen nicht direkt zum Rassisten. Für mich fällt das Urteil mit der Einstellung des „Aneigners“. Dabei ist es egal, ob es um Dreadlocks, Didscheridoos oder Döner geht. Alles eine Sache der Haltung und des Respekts.
Hört auf, Diskriminierung mit Tradition zu rechtfertigen!
An dieser Stelle muss ich den Beginn meines Textes korrigieren. Denn desto mehr ich in die Auseinandersetzung um Kultureigentum eintauche, umso mehr fällt mir auf: Mein Leben ist voll von kultureller Aneignung. Ich esse gerne Hummus, habe mich an Bauchtanz ausprobiert und trage nahezu immer – typisch amerikanisch – Jeans. Dass die Jeans ihren Ursprung eigentlich in Franken hat, lassen wir jetzt mal unter den Tisch fallen. Angefangen hat das Ganze im Vorschulalter. Ich würde behaupten, bei den meisten, die diesen Text lesen, war das ähnlich. Oder willst du mir weißmachen, dass es bei dir im Krippenspiel niemanden gab, dessen Gesicht schwarz angemalt wurde, weil er oder sie die Rolle des Caspars verkörperte? Was früher die Einstimmung auf Weihnachten war, ist heute Blackfacing und für mich eine Grenzüberschreitung. Wenn weiße Menschen sich schwarz schminken, ist das für mich moralisch nicht vertretbar, denn ihre Hautfarbe ist es, die dazu führt, dass schwarze Menschen alltäglicher Diskriminierung ausgesetzt sind. Und wer jetzt anfängt, das Färben der Haut mit „das war schon immer so“ zu legitimieren, dem kann ich sagen: Hört endlich auf, Diskriminierung mit Tradition zu rechtfertigen! Schließlich muss man sich bewusst machen, dass Blackfacing die Identität und die Erfahrung schwarzer Menschen als Kostüm behandelt, das weiße Menschen beliebig an- und ausziehen können. Ekelhaft.
Wann wird kulturelle Aneignung zur stereotypen Verallgemeinerung?
Doch woher nehme ich mir das Recht zwischen meinen Rastazöpfen, einem Indianerkostüm und Blackfacing zu unterscheiden? Für mich waren meine Rastazöpfe wertschätzendes kulturelles Interesse. Ich bin der entsprechenden Kultur mit Respekt begegnet und würde deshalb eher von kultureller Anerkennung sprechen. Ein „Indianerkostüm“ ist für mich hingegen eine abwertende kulturelle Aneignung. Nach meinem Verständnis ist kulturelle Aneignung stark vom eigennützigen und rücksichtslosen Vorgehen einer ausgegrenzten Kultur geprägt, beispielsweise dann, wenn man mit der Aneignung Geld verdienen möchte und Profit schöpft. Oder wenn man sich für Instagramfotos auf den Holi-Festivals mit Farbbeuteln bewirft, deutsche Models einen dunkelroten Punkt auf der Stirn tragen, oder weiße Köche anderen weißen Köchen die mexikanische Küche näherbringen möchten. Denn wenn ein Stil benutzt, und damit eine stereotypische Verallgemeinerung einer Kultur erzeugt wird, ist das für mich keine Aneignung, sondern Missbrauch. Respektvoll eingesetzte kulturelle Vielfalt ist hingegen eine Bereicherung für uns alle: Ohne kulturelle Aneignung würden wir nicht auf Sofas sitzen und Kaffee trinken, weil das eine aus Asien und das andere aus Afrika kommt. Wir würden nicht ins Yoga gehen und uns auf dem Heimweg keinen Döner holen. Selbst unsere Smartphones könnten wir vergessen.
Auch wenn ich, sowohl in Afrika, als auch in Deutschland (hier war es deutlich öfter), immer wieder auf meine Rastazöpfe angesprochen wurde, behielt ich sie eine Weile. Was für die einen eine einfache Flechtfrisur und für die anderen kulturelle Aneignung ist, war für mich ein Zeichen von Wertschätzung und Dankbarkeit, an die Menschen, die für mich ein fremdes Land zu einem Zuhause machten. Das war auch meine Antwort für Owethu.
Text: Sandra Belschner
Teaser: Photo by Thomas Vogel on Unsplash
Dir gefällt dieser Artikel?
auf Facebook teilen auf WhatsApp teilen auf Twitter teilen auf Google+ teilen
Was wird aus uns, wenn wir unsere Schulaufgaben einfach an eine Künstliche Intelligenz weitergeben? KI ist seit Jahrzehnten Teil unserer Kultur und unserer Wirtschaft. Programme wie ChatGPT hingegen sind brandneu verfügbar für alle. Sie könnten unsere Arbeit deutlich vereinfachen.
Wolfgang Amadeus Mozart saß schon als Kleinkind vor dem Klavier und wurde zu einem der größten Komponisten der Musikgeschichte. Aristoteles hat mehrere wissenschaftliche Themengebiete, wie die Biologie, Physik, Staatstheorie, Logik und Naturwissenschaftstheorie, aus sich selbst heraus
Unser Konsumverhalten ist auch an die großen Krisen unserer Zeit gekoppelt. Unternehmen wie TOMS und SHARE bieten dafür scheinbar smarte und simple Lösungen an wie beispielsweise: Kauf eine Flasche Wasser und woanders wird ein Brunnen gebaut. Doch ist das wirklich die Lösung oder
Home Studying im WG-Zimmer, per Livestream Veranstaltungen besuchen, gemeinsam Mittagessen via Zoom-Call. Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie sind alle Menschen täglich auf digitale Tools angewiesen, um räumliche Barrieren zu überwinden. Aber wie nutzen jene Menschen digitale
Wenn es darum geht, junge Menschen mit Behinderung gut in den Schulalltag einzubeziehen, gibt es viele verschiedene Meinungen und Konzepte. SPIESSER-Autor Pierre untersucht, worin sich die Grundprinzipien Inklusion und Integration eigentlich unterscheiden und wo dabei die Zukunft der Schule liegt.
Immer weniger Menschen gehören Religionsgemeinschaften an. Aber woran glauben Menschen, die nicht an Gott glauben? An nichts? SPIESSER-Autor Pierre bezweifelt das.
In unserer zunehmend digitalen Welt sehnen sich viele Menschen nach dem Echten und Greifbaren. Nicht verwunderlich also, dass analoge Medien mittlerweile ihr Comeback feiern. „An impossible Project“ erzählt von einem Visionär, der schon von der Wiederkehr des Analogen träumte,
Immer mehr junge Menschen haben mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen. Weit vorne dabei: Burnout. Nicht erst seit der Pandemie steigen die Zahlen an Menschen mit therapiebedürftigen Erschöpfungssymptomen. SPIESSER-Autorin Stephanie fragt sich woran das liegt und ob die jungen Generationen
Instagram, Tumblr, TikTok, YouTube, Twitter – beinahe jeder ist heutzutage auf irgendeiner Plattform unterwegs. Sie sind gerade jetzt, in Zeiten von Corona, unsere Verbindung zu Freunden, der Familie und der ganzen Welt. Aber irgendwie machen sie uns gleichzeitig auch einsam, findet SPIESSER-Autorin Lea.
Er ist weltberühmt und doch ist sich niemand sicher, wer er wirklich ist – der Graffiti-Künstler Banksy hat sich auf den Straßen der Welt einen Namen gemacht. Regelmäßig sorgt er mit seinem markanten Stil und harter Gesellschaftskritik international für Furore. SPIESSER-Autorin
Nahezu jeder Jugendliche nutzt die sozialen Medien, ohne sie ist es schwierig in der digitalisierten Welt. Neben den Etablierten wie Twitter und Facebook kommen auch ab und zu neue Dienste und somit auch neue Probleme. Was bedeutet das für das Miteinander im Social Media?
Was, schon wieder ein Jahr älter? SPIESSER-Praktikantin Lara hat den Anlass genutzt, um sich die Frage zu stellen, was sie eigentlich in den vergangenen 23 Jahren gelernt hat.
Die Welt hat gerade Auszeit. „Zeit, dass sich was dreht“ ist dabei nicht nur ein mittelmäßiger WM-Song von Grönemeyer, sondern auch der Ruf der Deutschen Fußball Liga (DFL) und der Vereine allerorts. Der Gottesdienst hat schon seine Sonderrolle und der Fußballgottesdienst
Das deutsche Schulsystem steht bereits seit geraumer Zeit in der Kritik. Doch verändert hat sich trotz heftiger Diskussionen nicht viel. Ganz ehrlich: Wie hast du deine Schulzeit erlebt? Hattest du Spaß am Lernen? Bist du gern zur Schule gegangen?
Vielen Menschen sind sich der Privilegien, die sie genießen, gar nicht bewusst – oder sie ruhen sich auf ihnen aus. Warum das gefährlich ist, zeigen nicht nur jüngste Ereignisse.
Seit Mitte März letzten Jahres nimmt die Klimabewegung Fridays for Future globale Ausmaße an. Eine der Motivationen für die Demonstrationen ist die Politik dazu zu bringen, Gesetzte für den Klimaschutz zu verschärfen oder neue zu verabschieden. SPIESSER-Autor Alexander, Schüler
SPIESSER-Autor Tom studiert Politikwissenschaft und hat Fridays for Future anfangs belächelt. Heute, ein knappes Jahr nach Gründung, muss er feststellen: Er hat sich getäuscht. Bei seiner Recherche fiel ihm auf: Schon vor dreizehn Jahren schaffte es ein Kind Aufmerksamkeit auf den Klimawandel zu richten.
„How dare you?!“, rief Greta Thunberg jüngst in ihrer emotionalen Rede beim UN-Klimagipfel zu den anwesenden Politikerinnen und Politikern. Damit hat sie ausgesprochen, was viele aus ihrer Generation denken, und den Entscheidungsträgerinnen und -trägern ganz klar Verrat an
Frauen sind auf dem aufsteigenden Ast des Baumes der Gesellschaft. Zumindest in den reichen fortschrittlichen Ländern dieser Welt ist der sich ausbreitende Feminismus in aller Munde. Dabei sind wie bei jeder größeren Bewegung die Kritiker nicht weit und fordern vehement ein Ende des sogenannten
Obdachlosenfeindliches Design in Städten, direkte Maßnahmen der Kommunen gegen Wohnungslose, die Ignoranz der Bevölkerung: SPIESSER-Autorin Helen ist wütend über unseren Umgang mit Obdachlosigkeit und Armut vor unseren Haustüren. Sie fragt sich, wem unsere Städte gehören
Stichwort: Fridays for Future – wie kommt es dazu, dass Jugendliche auf einmal die Stimme erheben? Dass sie auf den Schulabschluss keinen Wert mehr legen, sondern für die Umwelt demonstrieren. SPIESSER-Autorin Marlene hat sich einmal Gedanken über ihre eigene Jugend gemacht.
Es ist ein Trauerspiel um den Brexit seit dem Referendum am 23. Juni 2016. Drei Jahre Verhandlungen und nun sieht es doch so aus, als könnte es auf einen No-Deal hinauslaufen. Und der bevorstehende Brexit ist bei Weitem nicht die einzige Krise in der EU. Was ist nur los in Europa? Ist die EU mittlerweile out?
Seit das Smartphone die Klapphandys verdrängt hat, gab es gefühlt keine bahnbrechenden Innovationen mehr auf dem Handymarkt. Die Displays wurden größer, die Prozessoren schneller und die Kameras immer leistungsfähiger. Und sonst? Passierte nicht viel. Auch Apple scheint, seitdem
Betrachtet man die Gewinn-Verlust-Rechnung, hätte die Europawahl nicht deutlicher ausfallen können. Während SPD und CDU herbe Verluste erlitten, triumphierten die Grünen, die ihr Ergebnis gegenüber 2014 fast verdoppeln konnten. Auch die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen
Soziale Medien können Fluch und Segen zugleich sein. Den einen machen sie abhängig, den nächsten beflügeln sie. Und ich? Ich dümpele irgendwo dazwischen.
Ein Monarch ist er, der König Fußball, und regiert in Deutschland über die Parteigrenzen hinweg, blau-weiß, gelb-schwarz, rot-weiß. Doch wie wichtig ist für die Demokratie, kaiserlich bei einem Weißbier die WM ins Land zu mogeln und die Vollzeitkommerzialisierung des Sports voranzutreiben?
Fridays For Future rüttelt an der Gesellschaft, leider sind Wahlen immer am Sonntag und immer seltener for future. Während die politischen Entscheidungen immer weitsichtiger werden, aufgrund der sich zuspitzenden Probleme, trägt die wichtigste Wählergruppe Brille gegen Weitsichtigkeit.
Du trägst Größen, die man in den gängigen Geschäften nicht findet, hast „einen Arsch in der Hose“, eine breite Hüfte und deine Oberschenkel schwabbeln beim Laufen? Perfekt. Wenigstens etwas davon? Auch in Ordnung. Du bist in der #bodypositivity-Community willkommen.
Dem Klimawandel zu begegnen, bedeutet umzudenken. Radikal und in allen Lebensbereichen. Wir können Dinge nicht mehr so tun, wie wir sie schon immer getan haben – weil man das eben so macht. Das betrifft unsere Arbeit, unsere Freizeit, unsere Essgewohnheiten, unser Reiseverhalten, Energieverbrauch
Ihr könnt aufhören dumme Sachen zu sagen, wir haben bereits jetzt einen klaren Sieger zum Unwort des Jahres. Oberbegriff für Kalendersprüche im Lifestyle-Kontext mit verschnörkelten Schriften und Yogaposen und im selben Atemzug Schlüsselwort jeder Benchmark- und Pitch-Veranstaltung