Meinung

„Schluss mit Luxus, Oma!“

Dem Klimawandel zu begegnen, bedeutet umzudenken. Radikal und in allen Lebensbereichen. Wir können Dinge nicht mehr so tun, wie wir sie schon immer getan haben – weil man das eben so macht. Das betrifft unsere Arbeit, unsere Freizeit, unsere Essgewohnheiten, unser Reiseverhalten, Energieverbrauch und Konsum im Allgemeinen. Das müssen wir auch unseren Großeltern endlich klarmachen.

16. August 2019 - 15:26
SPIESSER-AutorIn mo.we.
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mo.we Offline
Beigetreten: 30.07.2019

Wenn ich bei meinen Großeltern auf einer Geburtstagsfeier bin, bin ich häufig entsetzt und sprachlos. Nicht nur weil im Restaurant natürlich nie etwas anderes als gemischte Bratenplatte mit Dosenerbsen und gezuckerten, perfekt runden Möhrchen vorbestellt wird, von dem viel zu viel aufgetischt und später stets ein Teil weggeschmissen wird. Zu derartigen Anlässen schwärmt dann auch immer jemand in der Runde von der letzten Mittelmeerkreuzfahrt, berichtet von der Türkeirundreise oder erzählt vom neuen SUV, in den man so bequem ein- und aussteigen kann.


Eine Mahlzeit ohne Fleisch – für viele Senioren undenkbar.
Vegetarisch lebenden Enkelkindern wird häufig wenig Ver-
ständnis entgegengebracht: „Isst du auch keine Wurst?“

Photo by Alex Munsell on Unsplash

Über die ökologischen Folgen seines Verhaltens hingegen macht sich dort niemand auch nur Gedanken. Es interessiert auch niemanden, warum wir am Vortag im Unverpacktladen einkaufen waren, aus welchen Gründen wir die Hochzeitssuppe nicht angerührt haben und jetzt nur Beilagen essen oder weshalb all die Schüler am Freitag nicht mehr zur Schule gehen.

Viele der Senioren laben sich heute schamlos an den Früchten jenes wirtschaftlichen Wachstums, der der Nation zwar Wohlstand brachte, jedoch auch geradewegs in die Klimakrise führte. Wir sprechen über diejenigen, die letztlich dafür gesorgt haben, dass wir heute alle über unsere Verhältnisse leben. Und die die Möglichkeit gehabt hätten, rechtzeitig etwas zu ändern.

Senioren und die Erderwärmung: Kaltblütige Klimakiller oder ökologische Unschuldslämmer?

Bereits Ende der Sechzigerjahre schlossen sich renommierte Wissenschaftler zum sogenannten „Club of Rome“ zusammen. Die gemeinnützige Organisation besteht noch heute und setzt sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit ein. Die Arbeit der Forscher resultierte Anfang der 70er in einem Buch mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“. In diesem Bericht werden bereits viele der Probleme angesprochen, die erst heute – über vierzig Jahre später – von einem breiteren Personenkreis ernst genommen werden. Auch wenn die Folgen der Erderwärmung 1972 noch nicht abzusehen waren, sprach man von Überbevölkerung, Umweltverschmutzung und der Ausbeutung natürlicher Rohstoffe. Die Experten prognostizierten einen globalen Kollaps und sprachen sich dafür aus, die Welt so schnell wie möglich in ein ökologisches Gleichgewicht zu bringen. Unsere Eltern und Großeltern hätten sich also schon damals mit den ökologischen Folgen wirtschaftlichen Wachstums auseinandersetzen und uns letztlich auch eine vollkommen andere Lebensweise vorleben können.


Schwimmende Stadt mit immensem Energiebedarf: Auch
wenn heute auch viele jüngere Gäste und Familien zur See
fahren, sind Kreuzfahrten bei Rentnern nach wie vor beliebt.

Photo by Peter Hansen on Unsplash

Stattdessen verursachen sie von allen den größten ökologischen Schaden. Eine 2011 veröffentlichten Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung fand heraus, dass der Ausstoß von klimaschädlichem CO2 im Alter leicht abnehme. Sie suggeriert damit, dass die Überalterung einer Gesellschaft letztlich sogar dem Klima zugute käme. Den größten Klimaschaden verursachten den Forschern zufolge dennoch nicht die jungen Leute, sondern die Mittsechziger, die sogenannten Jungsenioren. Der CO2-Ausstoß steige ein Leben lang an, bis beim Renteneintritt der Höhepunkt erreicht sei. Das kann man sich vor allem dadurch erklären, dass auch der finanzielle Wohlstand häufig über die Jahre zunimmt. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, kann man sich dann auch mal etwas gönnen: Ein „tolles“ Auto, eine aufregende Karibikreise oder exotische Lebensmittel.

Um des Familienfriedens willen schweigen oder gnadenlos Dampf ablassen: Wie soll ich mich nur verhalten?

Immer breiter und höher werden die Autos, die unsere Stra-
ßen verstopfen. Das alles im Zeichen der Bequemlichkeit,
denn mit einem Kleinwagen käme man auch ans Ziel.

Photo by Alexander Popov on Unsplash

Ein Anhaltspunkt dafür, dass sich die Alten wirklich nicht für die Umweltprobleme interessieren, ist ihr Wahlverhalten bei den Europawahlen im Mai 2019. Während 43 Prozent der unter 25-Jährigen Grün wählten und damit ihre Forderung nach einer klimabetonten Politik zum Ausdruck brachten, war die stärkste Partei bei den Senioren die Union. Das ist ernüchternd angesichts der Tatsache, dass die Gruppe der 60-Plus-Wähler heute den größten Anteil an den Wahlberechtigten in Deutschland ausmacht und unsere Zukunft mit ihren Entscheidungen maßgeblich beeinflusst.

Die satirische PARTEI forderte jüngst, analog zu den ersten 18 Lebensjahren, Bürgern auch das Wahlrecht in den letzten 18 Jahren ihres Lebens zu entziehen. Damit „Letztwähler“ nicht länger über eine Zukunft entscheiden könnten, die sie selbst nicht mehr erleben müssten. Das wird natürlich nicht passieren. Allerdings handelt es sich bei diesen Alten ja nicht um irgendwelche Leute, sondern um unsere Großeltern und spätestens in ein paar Jahren um unsere eigenen Eltern.


Die Mühlen der Demokratie mahlen langsam: Bei jeder Wahl
entscheiden die Alten über eine Zukunft mit, die sie selbst
nicht mehr erleben werden.

Photo by Arnaud Jaegers on Unsplash

Höchste Zeit also, den Menschen, denen unser Wohlbefinden und unsere Zukunft doch angeblich so sehr am Herzen liegt, zu erklären, was uns wichtig ist und was sie für uns tun können. Bei manchen wird das einfach sein, andere werden nach wie vor kein Verständnis für unsere Sorgen aufbringen können. Vielleicht hilft es dann nur, den Geburtstag mit der Bratenplatte zu boykottieren. Eine lebenswerte Zukunft sollte uns jedenfalls wichtiger sein als das Bedürfnis, ein braves Enkelkind zu sein.

 

Text & Teaserbild: Moritz Wenig

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Kommentare

Zwei Kommentare
  • Guter Artikel, danke.

  • Ja, ich stimme dir zu mo.we, das Weltbild und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit unserer Großeltern ist vermutlich um einiges kleiner als das Unsere und man darf sich auch einmal darüber aufregen.
    Dennoch glaube ich, dass es ein irrtümlicher Denkansatz ist zu meinen, dass die Großeltern oder andere ältere Verwandte kein Interesse an der Umwelt haben und ein Familientreffen nicht die Möglichkeit bietet, in Ruhe darüber zu reden. Denn es betrifft jeden, unsere Verwandten genauso, da sie nunmal Menschen sind und auf der Erde leben.
    Interesse kann man wecken, auch bei einem Familientreffen. Natürlich ist da etwas Mut gefragt, weil wenn man sich die Blöße gibt, kann Onkel xy natürlich meinen, dass er seinen unüberlegten Senf dazu geben kann, aber mit etwas Geduld relativiert man das.
    Ich denke, so wird das Thema Nachhaltigkeit und Umwelt auch für unsere Verwandte ein Stückchen zugänglicher.

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