Als ich letztens in einem Drogeriemarkt an der Kasse stand, fiel mir in einem dieser strategisch smart platzierten Impuls-Kauf-Regale etwas ins Auge: vegane, fair gehandelte Schoko-Nuss-Riegel mit einem ganz besonderen Versprechen. Mein Kauf dieses Riegels würde etwas „Gutes tun“. Wie konnte ich da widerstehen? Einerseits wird mein Heißhunger auf Süßes befriedigt, andererseits helfe ich damit noch in irgendeiner Art und Weise. Letzteres wird bestimmt auch den recht beachtlichen Preis des doch eher kleinen Riegels begründen. Also, nicht lange überlegen, ab auf das Kassenband damit. Als ich wieder zuhause war, wollte ich dann doch mehr darüber wissen. Was genau habe ich denn jetzt großartig „Gutes“ mit meinem Einkauf bezweckt?
Nur noch schnell die Welt retten
So wie sich unser Konsumverhalten entwickelt, passt sich auch der Markt an. Immer mehr Menschen achten darauf, wo und wie Konsumgüter und Produkte hergestellt werden. Wir alle stellen uns da die gleichen Fragen: „Kommen die Zutaten aus der Region? Ist das Produkt denn auch bio und klimaneutral? Welchen Social Impact hat das produzierende Unternehmen?“
Es ist gar nicht so einfach, Artikel zu Personen in Not zu bringen.
Gerade der letzten Frage stellen sich Unternehmen wie beispielsweise SHARE, Hersteller und Vertreiber des besagten Schoko-Nuss-Riegels. Vegan, fair gehandelt, schön und gut, doch der USP, also der Unique Selling Point, wie man im Marketing sagt, geht darüber hinaus: Für jeden gekauften Riegel wird etwas Äquivalentes an Menschen in Not gespendet. Das nennt man „Buy one, give one“ (BOGO) oder auch „need for need“. Das Sortiment solcher Firmen geht mittlerweile weit über Süßigkeiten hinaus. Angeboten werden Wasserflaschen, Schreibwaren, vegane Milch und auch Pflegeprodukte. Unterm Strich heißt das also: Produkte kaufen, die man ohnehin benötigt oder haben möchte, und mit einem kleinen Aufpreis quasi nebenbei noch etwas Gutes tun. Klingt erst mal gut, oder? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir tiefer in die Materie einsteigen. Die grundlegende Idee solcher Konzepte ist gar nicht mal so neu. In den frühen 2000ern machte ein Unternehmen besonders auf sich aufmerksam. TOMS ist vorrangig für die Produktion und den Verkauf von etwas öko aussehenden Schuhen bekannt. Was sie von der schier unendlichen Competition unterscheidet: Für jedes gekaufte Paar Schuhe sollte ein weiteres Paar an Kinder in Not gehen. Der Gründer, Blake Schuhen verkauft wurden. Das Problem: Es ist gar nicht so einfach, so viele Artikel zu den Personen in Not zu transportieren. Oder um es direkt mit den Worten des TOMS-Gründer zu sagen: „Giving is really hard.“
Um zu spenden, braucht man Partner wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs), eine ausgeklügelte Infrastruktur und man muss internationale Gesetze berücksichtigen. Kurz: Das Vorhaben mag simpel erscheinen, ist in der Umsetzung aber unfassbar komplex. Solche Prozesse kosten Zeit, Energie und vor allem Geld. Angesichts dieser Ausgangslage stellt sich die Frage: Kann so ein One-for-One-Geschäftsmodell finanziell überhaupt funktionieren? 2019 wurde zumindest die Firma TOMS vollständig an eine neue Leitung übergeben. Die Alternative wäre die Insolvenz gewesen. Das Unternehmen spendet auch heute noch weiter für gute Zwecke, doch das direkte Schuh-für-Schuh-Modell wurde eingestellt, da es sich schlicht nicht gerechnet hatte.
Geht es beim Kauf von Produkten mit Upside um Hilfe oder um Kontrolle?
Unternehmen kämpfen also mit finanziellen Herausforderungen. Doch was passiert eigentlich in den Regionen und Ländern, in denen die Produkte dann landen? Für lokale (Kleinst-)Unternehmen ist das Schuhbeispiel bereits schwierig. Wie soll ein lokaler Schuhmacher reagieren, wenn auf den eigenen Markt wortwörtlich Gratis-Schuhe gedumpt werden? In den Krisenländern kann ein Markt für lokal hergestellte Schuhe so gar nicht erst entstehen. Mal anders betrachtet: Was ist sinnvoller – jemandem ein fixes Produkt spenden oder ihm die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, was er gerade dringend benötigt? Ich kann und darf nicht die Deutungshoheit über das Leben einer anderen Person ergreifen, egal, wie mitleiderregend es mir erscheint. Geht es beim Kauf von Produkten mit Upside also wirklich um die Menschen in Not oder doch eher um unser eigenes Bedürfnis, als wohlwollender, gütiger „Retter“ dazustehen und dabei nie die Kontrolle zu verlieren?
NGOs veröffentlichen jährliche Reports, in denen u. a. offengelegt wird, wie viel der Spendengelder in Werbung und Verwaltung fließen. Spendest du zum Beispiel 100 Euro für die Welthungerhilfe, gehen davon etwas mehr als 5 Euro in die Verwaltung. Rund 95 Prozent deiner Spende gehen also direkt dorthin, wo sie am meisten bewirkt.
Unternehmen wie TOMS und SHARE (und die vielen anderen, die mittlerweile mit solchen oder ähnlichen Konzepten aktiv sind) suggerieren uns, dass wir mit dem Kauf der Produkte richtig viel erreichen. Und insgesamt stimmt das sicherlich auch, trotz der genannten Herausforderungen: Jede Flasche Wasser von SHARE bspw. ermöglicht tatsächlich einen Tag lang Zugang zu sauberem Trinkwasser, insgesamt hat das Unternehmen zudem schon über zwei Millionen Unterrichtsstunden und 25 Millionen Mahlzeiten gespendet. Doch hätten wir vielleicht mehr erreichen können, wenn wir direkt Geld an Organisationen, NGOs oder die betroffenen Personen gespendet hätten?
Warum direkte Geldspenden besser sind als Sachspenden
Wenn es um die maximale Verbesserung der Lebensumstände von Menschen in ärmeren Ländern und Krisengebieten gehen soll, dann gibt es bessere Möglichkeiten als Sachspenden. Auch Experimente und Studien haben gezeigt, dass Geldspenden oft einen größeren Impact haben. Beispielsweise wurden bei einer Studie des Wirtschaftswissenschaftler Chris Blattman (Columbia University) Frauen in Uganda mit direkten Geldspenden bei der Gründung von kleinen Unternehmen unterstützt. Hilfe zur Selbsthilfe quasi. Einer Kontrollgruppe wurde zusätzlich ein Wirtschaftsberater zur Seite gestellt. Das Ergebnis: Beide Gruppen hatten ähnliche Fortschritte und Erfolge mit ihren Unternehmen vorzuweisen, unabhängig von der zusätzlichen Beratung. Diese extra Kosten hätten also eingespart werden können und besser direkt ins Programm fließen sollen. Sind Produkte mit Upside also immer eine gute Sache? Die beste Antwort lautet wohl „Jein“. Aber wenn mich wieder mal der Heißhunger auf etwas Süßes packt, dann kaufe ich trotzdem lieber den Schokoriegel mit Impact als irgendeine andere den Tropenwald zerstörende Variante.
Text von Daniel Butt, der immer noch einen großen Appetit auf Schokoriegel und Hilfe zur Selbsthilfe hat.