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Anpacken für unsere Welt

Eine Solaranlage auf dem Dach reicht nicht

Eine der wesentlichen Stellschrauben des Wandels hin zu nachhaltigen und klimafreundlichen Lebens- und Wirtschaftsweisen ist und bleibt die heiß umkämpfte Energiewende. Das heißt, wir müssen wegkommen von der Nutzung fossiler Energieträger, wie etwa Braunkohle, hin zu sauberen und nachhaltigen Energiequellen wie Wind- und Solarkraft. Genau darüber hat SPIESSER-Autor Joshua mit Madeleine Wörner gesprochen. Sie ist Energieexpertin beim Werk für Entwicklungszusammenarbeit Misereor, das versucht, die Energiewende in Deutschland und im Globalen Süden voranzutreiben.

15. June 2023 - 14:18
SPIESSER-Redakteurin Onlineredaktion.
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Onlineredaktion Offline
Beigetreten: 25.04.2009

Madeleine, vor deiner Tätigkeit bei Misereor, hast du „Theologie und globale Entwicklung“ studiert. Was hat die Theologie mit dem Einsatz für eine gerechtere und gesündere Erde zu tun?

In der Theologie geht es erst einmal um die Beziehung vom Menschen zu Gott, beziehungsweise die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit. Und in meinem Masterstudium habe ich vor allem gelernt, welche unglaubliche Kraft oder auch transformatives Potenzial in Menschen und ihren Gemeinschaften liegt. Da kommt der Aspekt des Glaubens ins Spiel. Wenn ich nämlich daran glaube, dass die Welt zu einem besseren Ort werden kann, auch durch mein eigenes Handeln, dann löst das in mir ein enormes Empowerment aus. Ich bin nicht machtlos im System, also zum Beispiel dazu gezwungen, jeden Tag mit dem Auto zu fahren. Und spannenderweise zieht sich dieses Empowerment durch nahezu alle Glaubenssysteme und führt zu Entwicklung.

Spannend! Mittlerweile arbeitest du seit anderthalb Jahren bei Misereor. Was genau sind deine Aufgaben da?
Madeleine Wörner ist Expertin für erneuerbare Energien und Energiepolitik beim Werk für Entwicklungs-
zusammenarbeit Misereor. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Stärkung afrikanischer Energie-
netzwerke, die transparente Ausgestaltung nationaler Klimapläne, Fragen der gerechten Energiepartnerschaften und der Überwindung von fossilen Energiesystemen hin zu erneuerbaren Energien und Suffizienz, also einem genügsameren Energieverbrauch.

Genau. Offiziell bin ich „energiepolitische Referentin“ und habe drei zentrale Aufgaben. Einmal geht es darum, das Themenfeld Erneuerbare Energien im Haus Misereor zu stärken und unsere Partnerorganisationen, die zu diesem Themenfeld arbeiten, zu betreuen. Dabei arbeite ich gerade zu nationalen Klimaplänen in Burkina Faso, der EU und mit einer palästinischen Partnerorganisation in Israel. Meine zweite übergeordnete Aufgabe ist die Begleitung von einem Erneuerbare-Energien-Netzwerk in Afrika. Und abschließend arbeite ich auch politisch, das umfasst Advocacy- oder Lobby-Arbeit auf deutscher und europäischer Ebene. Dort spreche ich entwicklungspolitisch relevante Themen an, wie etwa Energie- oder Klimagerechtigkeit, um die Perspektive des globalen Südens miteinzubringen. Das ist unser Hauptziel bei Misereor: Wir wollen die Stimme des globalen Südens stärken.

Wie denkst du darüber, dass auch in Deutschland und Europa die Energiewende kaum vorangeht? Vor allem, wenn du im Ausland unterwegs bist, um genau das voranzutreiben.

Ich finde das sehr problematisch, deshalb ist für mich im Arbeitsalltag der Begriff Suffizienz so wichtig. Suffizienz im Sinne eines neuen globalen Gleichgewichts, einer neuen Energieverteilung. Das bedeutet, dass wir bei uns in Europa einfach weniger Energie und Ressourcen verbrauchen und aus den fossilen Energien aussteigen müssen. Gleichzeitig müssen wir dem globalen Süden mehr Entwicklung und Zugang zu erneuerbaren Energien ermöglichen. Während wir nämlich über unseren Verhältnissen leben, passiert im Globalen Süden das genaue Gegenteil. Es existiert ein extremes Ungleichgewicht auf der Welt.

Suffizienz ist ein gutes Stichwort. Hierzulande wird das ja gerne mit Verzicht gleichgesetzt und daher kaum besprochen.

Suffizienz ist in der Tat ein unattraktives Wort und ich sehe das auch eher als eine Vision. Nämlich als die Vision, dass der gesellschaftliche Wandel von Menschen mitgetragen und gestaltet wird. Man kann nämlich nicht einfach eine Solaranlage auf sein Dach bauen und dann davon ausgehen, dass alles gut wird. Das Ganze hat vielmehr mit über Jahre entwickelten Werten und Strukturen zu tun. Und daher kommt es wohl auch, dass das Thema Suffizienz so wenig Raum in der öffentlichen Debatte bekommt. Allerdings nehme ich mittlerweile auch wahr, dass sich da etwas tut.

Hast du eigentlich auch eine ganz persönliche Vision, auf deren Erfüllung du hinarbeitest?

Meine persönliche Vision ist definitiv Gerechtigkeit. Ich bin davon überzeugt, dass sich unsere derzeitige Art und Weise zu leben und zu wirtschaften auch deshalb im Niedergang befindet, weil es ein unglaublich starkes Ungleichgewicht auf dieser Erde gibt. In Macht- und Konsumstrukturen, aber auch in Zugangsmöglichkeiten. Und meine Perspektive ist immer die ausgleichende Gerechtigkeit, eine Art Balance anzustreben. Das ist natürlich super ambitioniert und nicht einfach zu erreichen. Schon gar nicht alleine. Doch hier macht mir Hoffnung, dass gerade in der Klimabewegung diese Vision immer mehr Raum bekommt. Und ganz pragmatisch gesprochen steht natürlich im Vordergrund, dass unser Planet lebenswert bleibt. Das ist die Grundvoraussetzung, dass Gerechtigkeit überhaupt gelingen kann.

Und wie bleibst du bei den ganzen Widerständen und Rückschlägen im Bereich der Energiepolitik optimistisch?

Das Wichtigste ist, aktiv zu sein und auch dabei zu bleiben. Wir tragen alle Energie und Ressourcen in uns und wenn wir sie produktiv einsetzen und etwas bewegen, dann bringt das gute Energie. Daneben spielt auch mein Mind-Set eine große Rolle, mein Glaubenssystem stärkt mich und macht mich widerstandsfähig. Und was ich auch immer wieder merke ist, dass Gemeinschaft einen riesengroßen Unterschied macht. Wenn man nicht allein dasteht und von Rückschlägen betroffen ist, sondern gemeinsam damit umgehen und aktiv werden kann, bleibt man auch optimistisch.

Was willst du jungen Menschen mit auf den Weg geben, die wie du für eine gerechtere Welt eintreten wollen?

Geht los, für eure Überzeugungen und Ideen von einer gerechteren Welt! Das ist das Wichtigste. Nehmt eure Freunde, versammelt euch und macht es groß.

Hast du vielleicht auch noch ein paar Tipps, wie man weniger auf Kosten des globalen Südens oder der nachfolgenden Generationen leben kann?

Wir bei Misereor haben im Rahmen des Erdüberlastungstages eine Challenge ins Leben gerufen. Im letzten Jahr hatten wir als Weltbevölkerung nämlich schon am 28. Juli alle Ressourcen für das Jahr 2022 verbraucht. Mit „Genug für Alle!“ haben wir dazu aufgerufen, mit uns gemeinsam zu versuchen, 15 Tage lang innerhalb der planetaren Grenzen zu leben. Wir sind nämlich nicht nur, was wir konsumieren, nicht nur Verbraucher*innen. Wir können auch gestalten und selbst wirksam werden und zwar in unseren Systemen. Als wirksamer Mensch bringe ich mich politisch ein, gestalte, bewege und überzeuge die Menschen, die in Machtpositionen sind. Man kann zum Beispiel Abgeordnete ansprechen, Bürgermeister*innen, Menschen in verantwortlicher Position, um auf Baustellen in unseren Systemen aufmerksam zu machen und die Veränderung anzuregen. Glaubt an den Wandel, den ihr selbst auslösen könnt!

Über Misereor
Das Werk für Entwicklungszusammenarbeit Misereor setzt sich seit 1958 mit seiner Arbeit für eine gerechtere Welt ein. In weltweiten Projekten kämpfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen Armut, Hunger und Gewalt. Gemeinsam mit Partnern vor Ort engagieren sie sich unter anderem für Menschenrechte, Bildung und den Kampf gegen den Klimawandel. Ihr Engagement funktioniert dabei nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe: Misereor bietet den Menschen vor Ort genau die Mittel, die sie brauchen, um aus eigener Kraft ihre Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern.

Mehr über Misereor gibt's auf www.misereor.de

Glossar zum Beitrag:

Nationale Klimapläne

Durch die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens durch die Vereinten Nationen (UN) haben sich die Mitgliedsstaaten zur Erarbeitung von nationalen Klimaplänen verpflichtet. Jedes Land muss also einen eigenen Plan entwickeln, um die Klimaziele einzuhalten.

Advocacy- und Lobbyarbeit

Advocacy bedeutet Anwaltschaft bzw. Interessenvertretung gegenüber zentralen Delegierten in Politik, Justiz, Wirtschaft und Gesellschaft und beschreibt einen wichtigen Bestandteil der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen. Lobbyarbeit im engen Sinne meint dagegen die Einflussnahme auf politische Entscheidungen, in der Regel durch die direkte Arbeit und den direkten Dialog mit entscheidungsbefugten Personen aus der Politik und deren Mitarbeitenden.

Suffizienz

Der Begriff bedeutet, sich um eine möglichst geringe Energie und Ressourcennutzung in der Produktion und in Lebensformen zu bemühen.

Text von Joshua Kuckherm
Teaser-Foto: © Misereor

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