Anpacken für unsere Welt

Lieferkettengesetz: Menschenrechte verpflichten

Weißt du, wo und wie das T-Shirt hergestellt wurde, das du heute trägst? Das Bewusstsein für faire und nachhaltige Produktion wächst, aber noch immer gibt es keine dahingehenden Standards außerhalb der EU. Die Initiative Lieferkettengesetz will deutsche Unternehmen im Ausland zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichten. Darüber sprach SPIESSER-Autorin Laura mit Julia Frielinghausen, MISEREOR-Referentin, auf der Grünen Woche in Berlin.

06. February 2020 - 09:08
SPIESSER-Autorin Laura....
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Laura... Offline
Beigetreten: 17.05.2009

Wer aktuell eine Tafel Schokolade, ein T-Shirt oder ein anderes importiertes Produkt kauft, muss sich auf die Angaben von Herstellerinnen und Herstellern verlassen. Ob dabei die Menschenrechte eingehalten wurden, Kinder arbeiten mussten oder gefährliche Pestizide zum Einsatz kamen, wird nicht deklariert. Wer freiwillig ethisch korrekt handelt, wirbt damit. „Deutschland hat kein verpflichtendes Gesetz dafür, dass Unternehmen nachweisen, wie und wo Produkte hergestellt werden“, erklärt Julia Frielinghausen. Am MISEREOR-Messestand im Rahmen der Grünen Woche, einer internationalen Messe in Berlin für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau, informiert sie Besucherinnen und Besucher über die Initiative Lieferkettengesetz.


Julia Frielinghausen auf der Grünen Woche in Berlin.

Insgesamt 18 Organisationen, darunter Misereor, Oxfam Deutschland, mehrere Gewerkschaften, Greenpeace und Brot für die Welt, setzen sich gemeinsam ein für „eine Welt, in der Unternehmen Menschenrechte achten und Umweltzerstörung vermeiden – auch im Ausland.“

EU-Standards weltweit

„Das von den Organisationen geforderte Lieferkettengesetz orientiert sich an den UN-Leitprinzipien für Menschenrechte und Wirtschaft“, so Julia. Demnach gilt: „Jeder Staat hat die Aufgabe, seine Bevölkerung zu schützen.“ Das Lieferkettengesetz könne dafür einen wichtigen Beitrag leisten, indem es deutsche Unternehmen im Ausland zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. „Es darf keine Doppelstandards geben. Was in der EU verboten ist, sollte auch bei der Produktion außerhalb der EU nicht erlaubt sein“, so die MISEREOR-Referentin.

Sie nennt folgendes Beispiel: „Der Pharmabetrieb Bayer verkauft an Kleinbauern in Brasilien Pestizide, die in der EU verboten sind.“ Viele Bäuerinnen und Bauern hätten nicht die Sprach- und fachlichen Kenntnisse, um die Beschriftung der Flaschen zu lesen und zu verstehen. Entsprechend würden auch keine Sicherheitsvorkehrungen wie Schutzmasken genutzt. „Den Beschäftigten in der Landwirtschaft wird nur gesagt, dass sie damit mehr Ertrag machen.“ Dabei seien die gesundheitlichen Folgen verheerend: Darunter seien Atemwegserkrankungen und Fehlbildungen bei Neugeborenen. Beim Rücktransport der Ware in die EU sei der Pestizideinsatz aktuell nicht kennzeichnungspflichtig, sodass die Gifte am Ende auch uns Konsumierende wieder erreichen.

Initiative Lieferketten- gesetz
Die Initiative Lieferkettengesetz ist ein Zusammenschluss von 18 Organisationen. Gemeinsam setzen sie sich für die Einführung von verpflichtenden, transparenten Produktionsstandards weltweit ein. Auch Unternehmen außerhalb der EU sollen dadurch Menschenrechte achten und Umweltzerstörung vermeiden. Die Initiative fordert auf ihrer Website: „Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, müssen dafür haften. Skrupellose Geschäftspraktiken dürfen sich nicht länger lohnen.“
Wissen, was drinsteckt

Mit dem von MISEREOR geforderten Lieferkettengesetz würde sich das ändern: „Ich kann dann als Verbraucherin klar nachvollziehen, ob in meiner Tafel Schokolade oder in meinem Sportshirt Kinderarbeit steckt“, erklärt die Expertin. Auf den Produkten selbst lasse sich das leider nur bedingt abbilden, doch online wäre dann einsehbar, wo und wie Anbau und Herstellung stattfanden und welche Stoffe dabei verwendet wurden.

„Viele Konsumentinnen und Konsumenten wissen gar nicht, dass in Kunstleder Weichmacher und im Großteil der Sportkleidung Biozide verarbeitet werden, damit die Materialien angenehm zu tragen sind und nicht nach Schweiß riechen“, so Julia. Wissenslücken wie diese gelte es, durch ein Lieferkettengesetz für mehr Transparenz zu schließen. Jene Giftstoffe würden schließlich die Menschen betreffen, die mit ihnen arbeiten müssen, ebenso wie uns, die damit beim Tragen in Kontakt kommen.

Hilfe zur Selbsthilfe für langfristige Erfolge

Bei der Arbeit mit Menschen im globalen Süden setzt MISEREOR auf Hilfe zur Selbsthilfe. „Das Hilfswerk wurde vor 61 Jahren gegründet mit dem Ziel, den Ärmsten der Armen zu helfen“, erklärt Julia. Der Schwerpunkt liegt auf allem, was zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens dazugehört, also Basis-Standards bei Nahrung, Gesundheit und Bildung zu fördern, dazu Menschenrechte zu schützen.

Julia beschreibt eines der Arbeitsgebiete der Hilfsorganisation: „Aktuell unterstützt MISEREOR unter anderem Menschen in Brasilien in der Gemeinde Brumadinho.“ Ende 2019 starben dort mindestens 272 Menschen bei einem Dammbruch. Das Rückhaltebecken für Minenschlämme war von einer brasilianischen Tochterfirma der deutschen TÜV-Süd-Gruppe zertifiziert worden. Die brasilianischen Behörden gingen deshalb davon aus, dass der Damm sicher sei und unternahmen keine eigenen Kontrollen. „Die Familien der Menschen, die bei dem Unglück gestorben sind, brauchen Unterstützung, um in dem Fall ihre Rechte wahrnehmen zu können; nicht zuletzt geht es hierbei um Schadenersatz“, beschreibt Julia die Situation in Brasilien. Durch den schwermetallhaltigen Schlamm sei zudem ein Flussbett verseucht worden, sodass bis heute Menschen von den Folgen des Dammbruchs betroffen seien. Schicksale wie diese sind es, die ein Lieferkettengesetz in Zukunft verhindern soll. Ein solches Gesetz hätte zum Beispiel im Fall Brumadinho den Minenbetreiber Vale dazu verpflichtet, mehr zum Schutz der anliegenden Bevölkerung zu unternehmen und für die Beachtung von deren Menschenrechten einzustehen.


Klare Ansagen beim Stand von MISEREOR auf der Grünen Woche.
Freiwillige Selbstverpflichtungen sind nur ein erster Schritt

Anfang Januar hat die Petition für ein Lieferkettengesetz die Marke von 100.000 Unterschriften erreicht. Die Unterschriftensammlung läuft seit September 2019 und zunächst noch mit offenem Ende. Julia ist positiv gestimmt: „Das Interesse der Menschen, die ich hier bei der Grünen Woche anspreche, ist groß. Die Menschen wünschen sich mehr Informationen und unterschreiben gern.“

Jenen, die mehr tun möchten, als die Petition zu unterschreiben, empfiehlt sie, Anfragen an Unternehmen zu stellen: „Je mehr Menschen zeigen, dass sie sich transparente und faire Arbeitsbedingungen auch außerhalb der EU wünschen, desto mehr Druck übt das auf die Unternehmen aus.“ Auch örtliche Parlamentsabgeordnete könne man auf das geforderte Lieferkettengesetz aufmerksam machen. Auf der Kampagnenseite gibt es dazu einen Diskussionsleitfaden zum Download.

„Einige Unternehmen gehen bereits mit gutem Beispiel voran und folgen freiwilligen Selbstverpflichtungen“, erklärt die Expertin weiter. Gekennzeichnet werden entsprechende Produkte zum Bespiel durch Label wie den „Grünen Knopf“ für soziale und ökologische Textilproduktion. Freiwillige Selbstverpflichtungen wie diese seien ein guter erster Schritt – und doch betont sie: „Das Lieferkettengesetz wäre eine richtige Verpflichtung.“ Es würde Transparenz schaffen, denn: „Unternehmen müssen zur Verantwortung gezogen werden, wenn Dinge nicht so laufen, wie sie sollten.“

MISEREOR
wurde 1958 gegründet und hat sich seitdem zum, nach eigenen Angaben, weltweit größten Entwicklungshilfswerk der katholischen Kirche entwickelt. Die Hilfsorganisation mit Sitz in Aachen unterstützt Menschen vor allem im globalen Süden nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Ziel von MISEREOR ist es, laut der Organisation selbst, „den Ärmsten der Armen zu helfen und gemeinsam mit einheimischen Partnern Menschen jedes Glaubens, jeder Kultur und jeder Hautfarbe zu unterstützen.“ Das Hilfswerk organisiert und finanziert durch Spenden und staatliche Gelder für Entwicklungszusammenarbeit unter anderem Landwirtschafts-, Gesundheits- und Bildungsangebote und verteilt finanzielle Mittel, dank derer Menschen weltweit ihre Rechte einfordern und sich mittelfristig selbst helfen können.

 

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Misereor e.V.

 

Text und Fotos: Laura Konieczny

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