Anpacken für unsere Welt

Hunger ist nicht verhandelbar

Kakao aus Ghana, Tee aus Kenia, Meeresfrüchte aus Mosambik und Kaffee aus Tansania. Woher kommen die Lebensmittel, die wir täglich kaufen? Unter welchen Bedingungen werden sie hergestellt? SPIESSER-Autorin Anna ist diesen Fragen auf den Grund gegangen. Jetzt packt sie ein paar unschöne Wahrheiten auf den Tisch.

29. April 2016 - 14:46
SPIESSER-Autorin annaweigelt.
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annaweigelt Offline
Beigetreten: 17.03.2015

Ich liebe Kaffee. Ohne eine große Tasse getrunken zu haben, verlasse ich nur im aller seltensten Fall das Haus. Wie mir geht es vielen Deutschen: 162 Liter Kaffee trinkt jeder von uns durchschnittlich im Jahr. Leider ist nicht allen bewusst, dass täglich afrikanische Bauern für einen Hungerlohn auf Kaffeeplantagen schuften müssen, damit wir diesen genussvollen Start in den Tag haben können.

Im südwestafrikanischen Tansania arbeiten über 75 Prozent der berufstätigen Menschen in der Landwirtschaft und bauen neben Kaffee auch viele andere Agrarprodukte an. Der Landwirtschaftssektor macht damit insgesamt mehr als ein Drittel des gesamten Einkommens von Tansania aus und ist enorm wichtig für das Land. Dennoch verlassen immer mehr Menschen ihre Dörfer und suchen ihr Glück in den Städten. Die sind einfach viel weiter entwickelt, bieten Strom, Bildung und eine bessere Infrastruktur. Aber es gibt noch andere Gründe ihre Heimat zu verlassen.

Legaler Landraub

Die tansanische Bevälkerung braucht ihre Agrar-
flächen, um Hirse, Mais, Kartoffeln und andere
Grundnahrungsmittel anzubauen.

In Tansania ist das Ministerium für Industrie, Handel und Investition „TIC“ (Tanzania Investment Centre) für die Verwaltung von Agrarflächen zuständig. Das heißt, der Staat hat eine sehr starke Stellung im Landrecht und ist in der Position, unter bestimmten Bedingungen Land von Kleinbauern legal zu enteignen. Zum einen hängt das damit zusammen, dass einige rechtliche Regelungen bewusst uneindeutig gehalten werden. Zum anderen ist der Staatspräsident als oberster Verwalter selbst Eigentümer der Agrarflächen und hat dadurch enorm viel Macht.

Die Regelung ist ein Erbe aus der englischen und deutschen Kolonialzeit. Mit dem sogenannten Village Act von 1999 sollten die Gemeinden mehr Mitspracherecht bei Landfragen bekommen. Tatsächlich wurde aber gleichzeitig eingeführt, dass der Staat Land so „umwandeln“ kann, dass es nicht mehr Gemeinden gehört, sondern allgemein verfügbares Land ist, das dann an Investoren vergeben werden kann. Wer es bewirtschaften darf, entscheidet der Staat.

Mehr zum Village Land Act

Von der Nationalversammlung verabschiedet, hatte der „Village Land Act 1999“ nur Gutes im Sinn: Er sollte die Menschen vor illegalem Landraub schützen. Die Gewohnheitsrechte der lokalen Bevölkerung – also ihr Recht das Land zu nutzen, auch wenn sie es nicht besitzen – wurden damit gesetzlich besser verankert. Gleichzeitig sollte der Boden vom Staat effektiv verwaltet und kontrolliert werden – und so wurde durch den Act auch die Möglichkeit eröffnet, Gemeindeland in sogenanntes Allgemeines Land umzuwandeln. Allgemeines Land kann dann vom Staat an ausländische Investoren abgegeben werden.

Doch, was die Dorfbewohner vor illegalem Landraub schützen sollte, hat am Ende zu legitimem Landraub geführt. Statt den Bauern verhandelt nun das TIC selbst mit den ausländischen Investoren. Was besser für das ganze Land sein sollte, hat den einzelnen Dorfbewohnern geschadet: Sie verloren ihr Land teilweise ohne eine Entschädigung dafür zu bekommen.

Private Investoren aus der ganzen Welt können sich seit dem beim TIC darum bewerben, dieses Land zu nutzen. Zudem schließen einige Investoren oft immer noch Geschäfte mit den Dorfbewohnern direkt ab. Als Wirtschaftslaien kennen diese aber schlicht ihre Rechte nicht und schätzen den Wert ihres Landes falsch ein. Sie sind machtlos gegen die großen Lebensmittelfirmen, die auf großen Plantagen Produkte für den Export anbauen wollen und verlieren mehr, als dass sie durch die Geschäfte profitieren. Viele Investoren versprechen den Dörfern für ihr Land zusätzlich soziale und wirtschaftliche Unterstützung sowie eine verbesserte Infrastruktur oder den Bau von Schulen oder Krankenstationen, doch diese Versprechen sind meist unverbindlich und werden nicht eingehalten.

Der gute Wille allein zählt nicht

Die tansanische Regierung und die G7-Staaten waren der Meinung, dass die Kleinbauern ihr Land nicht effektiv genug genutzt haben. Sie wollten das ändern und damit die Ernährungssituation im ganzen Land verbessern. Im Rahmen der „Neuen Allianz für Nahrungssicherheit und Ernährung“ der G7-Staaten wurde vor vier Jahren der „Southern Agricultural Growth Corridor of Tanzania“, kurz SAGCOT, ins Leben gerufen.


Statt der Bevölkerung zu helfen, werden durch
private Investoren Luxusgüter für die westliche
Welt angebaut.

Durch die Zusammenarbeit von Staat und privaten Unternehmen wie Nestlé oder Monsanto soll die Initiative einen riesigen, zusammenhängenden „Landschaftskorridor“ schaffen. Dieser soll einen effektiveren Anbau von Nahrungsmitteln ermöglichen und neue Arbeitsplätze schaffen. Etwa zwei Millionen Menschen sollen durch die Initiative aus der Armut befreit werden. Momentan nimmt der SAGCOT schon ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche des gesamten Landes ein.

Soweit erst einmal ganz ehrenhafte Ziele, könnte man denken. Doch wie man inzwischen weiß, ging es den privaten Investoren, die angeworben wurden, nicht um die tansanische Bevölkerung, sondern schlicht um ihren eigenen Profit. Denn statt die Bauern darüber zu informieren, wie sie ihr Land selbst effektiver nutzen können und Hunger bekämpfen, wird inzwischen die Privatisierung der Landwirtschaft für den Export von Kaffee und Co immer weiter voran getrieben.

Dabei macht eine aktuelle Studie des bischöflichen Hilfswerkes MISEREOR deutlich, dass diese sogenannten „Agrarinvestitionen“ der privaten Unternehmen ausschließlich negative Folgen für die Bauern haben. Die G7-Staaten – Deutschland eingeschlossen – unterstützen somit „legalisierten Landraub“.

Mehr zum Thema Landraub

Die wachsende Weltbevölkerung, Landnutzungskonflikte und auch ökologische Belastungen wie der Klimawandel führen dazu, dass landwirtschaftlicher Boden mehr und mehr zu einem knappen Gut wird. Dadurch rückt der Besitz von Land immer mehr ins Interesse der Weltwirtschaft.

Der sogenannte Landraub findet statt, wo sich private Investoren und oder auch staatliche Akteure durch Auslandsdirektinvestitionen sowie durch die Abschließung verschiedener Verträge große Agrarflächen in Entwicklungsländern sichern, auf denen hauptsächlich Nahrungsmittel und Energiepflanzen für den Export angebaut werden sollen. Das ist nicht unbedingt illegal, aber schadet der Bevölkerung vor Ort, die die Landflächen braucht, um Güter für die eigene Ernährung herzustellen.

Das Ausmaß ist auf Grund mangelnder Transparenz in den Verhandlungen schwer zu beurteilen. Es wird geschätzt, dass momentan über 30 Prozent des global verfügbaren Ackerlandes verhandelt wird. Die Nichtregierungsorganisation „GRAIN“ vermutet, dass bisher ungefähr 100 Milliarden Dollar in Landraub investiert wurden und das „International Food Policy Research Institute“ nimmt an, dass sich Investoren in den Entwicklungsländern bereits zwischen 15 und 19,8 Millionen Hektar Nutzfläche gesichert haben.

Auch du kannst helfen!

Achte darauf, weniger Importprodukte zu kaufen oder starte mit Freunden deine eigene Spendenaktion mit dem MISEREOR Coffee Stop. Alle Infos dazu gibts auf misereor.de

MISEREOR fand heraus, dass der Großteil der tansanischen Kleinbauern kaum durch SAGCOT profitiert und oft einfach nur sein Land verliert. Das weiß auch Frank Ademba, Programmkoordinator bei der Bauernorganisation MVIWATA in Tansania. Er begleitet die Auswirkungen durch SAGCOT seit Gründung der Initiative. In einem Interview mit MISEREOR berichtet er: „Die meisten Investoren produzieren [...] Kaffee oder Holz oder andere Lebensmittel für den Export, aber keinen Mais, den die Menschen brauchen. So produzieren Arbeiter das, was sie nicht brauchen und konsumieren das, was in ihrer Region nicht angebaut wird.“ Sein Fazit: „Die SAGCOT-Strategie, die Ernährungssicherheit in Tansania zu erhöhen, schlägt aus unserer Sicht fehl.“

Deswegen fordert MISEREOR, das Unternehmensinteressen nicht mehr vor die Bedürfnisse der betroffenen Menschen im Land gestellt werden. Es unterstützt die „Landact Education Campaign“, die von Landraub betroffene Dorfgemeinschaften über ihre Rechte informiert, sowie Organisationen, die Kleinbauern dabei helfen, in ihre Landwirtschaft nachhaltig zu investieren und Absatzmärkte für ihre Agrarprodukte zu erschließen. Dafür setzt sich auch die Bauernorganisation MVIWATA direkt vor Ort ein. Laut Frank Ademnba kann die Organisation erste Erfolge verzeichnen: „Wir fördern lokale Märkte in fünf Regionen, denn der Zugang zu Absatzmärkten ist für die Kleinbauern entscheidend. [...] In Mbinga vermarktet ein Netzwerk aus 52 Gruppen seinen eigenen Kaffee – von der Produktion bis hin zum Verkauf.“

Die Bauern in Tansania sollen gerecht entlohnt werden für ihre Arbeit und nicht mehr durch die Machtverteilung im weltweiten Handel benachteiligt werden. Dafür kämpft MISEREOR auch als Mitbegründer des Fairen Handels und engagiert sich schon seit Jahrzehnten für fairere Handelsbeziehungen zu Ländern wie Tansania.

Auch ich möchte nicht untätig bleiben. Wenn ich das nächste Mal Kaffee kaufe, werde ich darauf achten, dass er als „fair trade“ gekennzeichnet ist. Ist das Siegel für fairen Handel auf der Verpackung, könnt ihr euch nämlich sicher sein, dass den Plantagearbeitern ein fester Mindestlohn gezahlt wird. Das gibt den Bauern zwar noch nicht ihr Land zurück, ist aber immerhin ein kleiner Schritt auf der großen Leiter gegen die Ungerechtigkeiten unserer Welt.

Ihr wollt mehr zu dem Thema erfahren?

Alle Infos zu der MISEREOR-Studie gibt's auf www.misereor.de.

Das komplette Interview mit Frank Ademba, dem Programmkoordinator bei der Bauernorganisation MVIWATA in Tansania, findet ihr hier.

Zudem gibt der von MISEREOR geförderte Film „Landraub“ einen guten Einblick in die Auswirkungen großer Agrarinvestitionen auf Kleinbauern im globalen Süden.

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit MISEREOR e.V.

Text: Anna Weigelt
Fotos: © Maurice Ressel / MISEREOR

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