„Guten Morgen“ - „48“: Wie man Gewohnheiten ablegen kann
Ein Überbleibsel aus meiner Kindheit ist das Zählen. Nicht einfach nur so, sondern das Abzählen von Dingen. Vielleicht schramme ich da dicht an einer Zwangshandlung vorbei, aber ich zähle für mein Leben gern die Anzahl der Treppen, die ich rauf oder runter gehe. Dabei bin ich so bei der Sache, dass es durchaus passieren kann, dass einem jemand im Treppenhaus begegnet und freundlich „Guten Morgen“ sagt, während ich gedankenversunken „48“ antworte.
26. March 2018 - 13:31 von SPIESSER-AutorIn johannes_danjo.
Oder im Supermarkt an der Kasse. Wenn die Schlange mal wieder bis zur Käsetheke reicht, zähle ich die Artikel in den Regalen. Also, ich überschlage die Anzahl der Verpackungen. Beim Arzt im Wartezimmer mache ich das mit den Fliesen auf dem Boden. Anzahl der Fliesen in der Länge mal Anzahl der Fliesen in der Breite gleich Gesamtanzahl aller Fliesen im Wartezimmer.
Verrückt eigentlich, macht aber Spaß. Ist das jetzt nur eine Macke oder schon ein Zwang? Es gibt Menschen, den geht es ähnlich. Manche zählen die Schritte bis zur Bushaltestelle, die Blumen in der Vase, die Tauben auf dem Marktplatz. Viele merken das gar nicht. Vermutlich deshalb, weil es ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Und weil sie es immer schon so machen.
Spaß beiseite: Eine Zwangsstörung muss man nicht unbedingt haben, nur weil man gerne zählt. Erst dann, wenn man zählen muss, weil einem sonst etwas „fehlt“, wird es zwanghaft. Erst wenn der Lebensalltag beeinträchtigt wird und man selber darunter leidet, sollte man Hilfe in Anspruch nehmen. Wer aber einfach nur an Spaß an der Freud zählt, kann sich entspannt zurücklehnen und sein Spielchen weiterspielen.
Schon Kinder spielen solche Spiele. Zum Beispiel auf dem Gehweg nicht auf die Fugen zu treten. Alles okay, solange das alles nicht ausufert. Wer nämlich auch als Erwachsener permanent darauf achtet, nur ja nicht die Fugen zu berühren, hat eine Zwangsstörung. Und die kann schlimm sein. Es gibt Menschen, die gehen nicht aus dem Haus, ohne sich dutzende Male davon überzeugt zu haben, dass das Bügeleisen aus und der Wasserhahn abgedreht ist. Anschließend wird noch kontrolliert, ob die Türe auch wirklich abgeschlossen ist. Ich habe schon mal davon gelesen, dass einige dieser Menschen schon fast auf der Arbeit waren und wieder zurückgefahren sind, nur um das alles nochmals zu kontrollieren. Die Folge: Sie kamen zu spät zur Arbeit und riskieren durch ihr zwanghaftes Verhalten berufliche Konsequenzen.
Ich dagegen zähle nur. Nicht weil ich muss, sondern weil es mir Spaß macht. Ich würde es eher als liebgewordene Angewohnheit sehen. Andere singen, ich zähle.
Kann man das eigentlich ändern? Nicht dass ich das wollte, aber wenn: Ginge das überhaupt? Eine Angewohnheit, die man über Jahre schon hat? Psychologen sagen, dass das Gehirn automatisch Gewohnheiten entwickelt, wenn man gewisse Denk- oder Verhaltensweisen wiederholt. Das ist wie beim Rauchen. Auch so eine Gewohnheit. Aber: Man kann Gewohnheiten ablegen oder verändern. So wie man mit dem Rauchen aufhören kann, kann man auch zum Beispiel das Zählen ablegen. Das dauert allerdings eine gewisse Zeit, und man muss sich bewusst damit beschäftigen. Wenn also wieder einmal der Wunsch aufkommt, die Treppenstufen zu zählen, sollte man sich ganz gezielt darauf konzentrieren, dies nicht zu tun.
Im Internet habe ich ein nettes Beispiel zum Thema „Gewohnheiten“ gefunden: Wenn man die Hände faltet, als wolle man beten – liegt dann der rechte Daumen über dem linken Daumen? Wenn ja, einfach mal anders herummachen. Fühlt sich erst einmal ungewohnt an. Macht man dies aber ab sofort gezielt immer so, wird sich das Gehirn schnell daran gewöhnen und diese Verhaltensweise irgendwann von ganz alleine so steuern. Ungefähr so funktioniert das auch mit dem Rauchen. Gezielt darauf konzentrieren, dass man nicht mehr raucht, und irgendwann hat das Gehirn diese Verhaltensweise verinnerlicht. Klingt einfach, ist es eigentlich auch. Man muss nur konsequent sein und durchhalten. Weil viele aber gerade anfangs das Gefühl haben, dass diese neue Verhaltensweise irgendwie komisch ist und sich fremd anfühlt, geben sie auf. Sich ein neues Verhalten anzueignen schafft man aber nur, wenn man eben nicht auf sein Gefühl hört, das einem vorgaukelt, man würde sich falsch verhalten.
Einfach mal ausprobieren.
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