Alle Jahre wieder nehmen zahlreiche Frauen ein vermeintlich männliches Attribut auf – sie werden zu gnadenlosen Jägerinnen. Und die Einkaufsmeile wird zu ihrem Revier.
03. February 2015 - 17:42 SPIESSER-Autorin Individuot.
Mit den Hufen scharrend, knarrend, schnaufend und die Hörner auf Anschlag. Na, wonach klingt das? Ja, auch ich denke da an die Stierkämpfe, mit denen sich die spanische Kultur mancherorts immer noch brüstet. Aber nein, dieses Phänomen der vollkommenen Instinkthandlung und des gnadenlosen Jagdwahns entdeckt man dieser Tage auch in deutschen Einkaufsmeilen. Die knallrote Fahne schwenkend, kann man mal wieder verkünden: SALE! Es ist Winterschlussverkauf!
Ich will mich ja überhaupt nicht rausnehmen, ich reagiere auch darauf, wenn sich die Beute mit minus siebzig Prozent schick macht und natürlich bin auch ich vor kurzem auf die Pirsch der H&Ms, ZARAs und Primarks gegangen. Und mit dem Weihnachtsgeld von der Omi schmeckt das Erlegte noch besser. Dass meine Beute dieses Jahr recht spärlich ausgegangen ist, liegt weniger an dem sich köstlich anbietendem Angebot, als einfach daran, dass mir die Beute derzeit nicht schmeckt. Aber über Geschmack lässt sich ja nicht streiten, und über Mode erst recht nicht. Ist auch gut so.
Wäre das zivilisierte Verhalten nicht so in bei der heutigen Gesellschaft, würden die Samstagnachmittage in den Einkaufspassagen der Großstädte vermutlich in einem blutigen Jede-gegen-Jede ausarten. Auch so werden die Blicke nach stundenlangem Hetzen von einem Laden zum nächsten immer giftiger. Mit schmerzenden Füßen, müden Armen, dehydriert und ausgehungert, ist das zwar verständlich dadurch aber nicht weniger gefährlich. Hinzu kommt die durch Frischluft- und Flüssigkeitsmangel einsetzende Neandertaler -Mentalität à la „Ich will Hose. Du willst auch Hose? Nix da! Hose meine!“ und schon werden die Ellbogen zum Kampf ausgefahren und die Fingernägel zu Krallen geschärft.
Interessanterweise wird dabei das Gutmenschentum, das man sonst so gerne an sich sieht und noch lieber jedem unter die Nase hält, vollkommen abgelegt. Massenproduktion unter unzumutbaren Bedingungen, Kinderarbeit in Bangladesch? Ach, wen juckt's!? Wenn das Shirt statt der sonst schon lächerlichen zehn Euro nur noch fünf kostet, werden scheinbar auch die moralischen Verpflichtungen dem eigenen Konsumverhalten gegenüber magischerweise halbiert. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass die kiloweise erlegte Beute einem, wenn man sie erschöpft ins heimische Lager geschleift hat, irgendwie sauer aufstößt. Ein bisschen fühlt man sich, als würde man den letzten Löffel vom zweiten Nachtisch herunterschlingen, obwohl man schon den ersten eigentlich weder wollte noch brauchte.
Text: Polina Boyko
Foto: Anja Nier
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