Was macht einen Menschen eigentlich zum Mensch? Wie hilft die moderne Technik dabei? Werden Maschienen bald bessere Romane schreiben als Menschen? Über diese und andere Fragen hat sich SPIESSER Autorin Katharina Gedanken gemacht...
Mensch-sein ist nicht immer einfach. Stundenlang habe ich in der Grundschule dagesessen, Aufsätze geschrieben und mich in meine Fantasiewelten katapultiert. Mal handelten sie von einem missglückten Weihnachtsfest, ein andermal spann ich mir eine Welt aus Schutzengeln zusammen, die uns Menschen vor dem Bösen unserer Zeit beschützen. Was mein damaliges Grundschul-Ich konnte, kann heute auch eine Maschine: Ein Roboter machte auf sich aufmerksam, indem er „Harry Potter“ weiterschrieb. Eine Maschine, die kreative Arbeit übernimmt und damit Erfolg hat: Viele sind begeistert von den kuriosen Konstruktionen des Schreiberlings. Vielleicht wären meine Grundschulabsurditäten genauso gefeiert worden, wäre ich nur ein Roboter gewesen. Dumm gelaufen. Ich muss aber zugeben: Es ist schon ziemlich beeindruckend, wenn Mensch und Maschine sich soweit ergänzen können, dass Harry in Hogwarts ist und nicht plötzlich in Lummerland mit Lukas dem Lokomotivführer Abenteuer erlebt.
Der Geschichten schreibende Roboter ist eine Innovation à la Industrie 4.0, ein Mysterium unserer Zeit – und ich finde: Sie lässt den Mensch erst recht Mensch sein. Denn der Mensch ist auch dadurch menschlich, dass ab und an der notorische Dauernörgler mit seiner leisen, aber penetranten Stimme in ihm erscheint und seinem Ärger Luft macht. Dabei ist die böse Technik ein gefundenes Fressen für ihn. Dass der Dauernörgler sich damit in einem Paradoxon befindet, sieht er allerdings nicht und argumentiert munter mit dem Gegenteil. Er beschwört die guten alten Zeiten herauf, in denen er noch sehnsüchtig auf den von J.K. Rowling persönlich geschriebenen nächsten „Harry Potter“-Band wartete, selbst wenn er zu dem Zeitpunkt noch in Windeln die Buchseiten vollsabberte. Alles, was fremd und neu ist, stört ihn. Denn die Technik beeinträchtige ihn ja in seiner Menschlichkeit und übernehme seine Aufgaben: Das Schreiben von „Harry Potter“ mit Feder und Tinte.
Dieser ganze nostalgische Anti-Technik-Kram ist vor allem eines: kindisch. Unser lieber Zeitgenosse verhält sich so, als würde er auf den Schutzengel meiner Grundschulgeschichte warten, der ihn von der bösen Technologie befreit, um wie früher auf Feuer zu kochen, weil er Angst hat zu vergessen, wie Feuer riecht. Mir kommt allein schon beim Wort „Feuer“ Geruch, Aussehen und das knisternde Geräusch in den Sinn – und ich koche vornehmlich auf Herdplatten. Aber wenn der Nörgler Augen, Ohren, Nase und Mund wie die Affenemojis vor zukünftigen, robotergeschriebenen „Harry Potter“-Kapiteln verschließen will, bitteschön. Ihm sollte aber bewusst sein: Technik und Fortschritt schließen nicht aus, trotzdem das zu tun, was uns menschlich macht, unseren Interessen nachzugehen und Neues zu lernen.
Kindisch sein ist aber auch Teil des Menschseins. Ich schreibe ja irgendwie auch immer noch – wie damals in der Grundschule. Ich mache dies selbst, wenn es andere nicht-lebende Wesen gibt, die das auch tun. „Harry Potter“ finde ich übrigens genauso cool wie vor der total hippen Version des Roboters. Was ändert diese Technik dann überhaupt in mir, ja hilft sie mir nicht gar, Mensch zu sein?
Text: Katharina Petry
Teaserbild: Lena Schulze
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