Nach dem Bachelor träumte ich von Frankfurt am Main, einer florierenden Kulturszene und gemütlichen Cafés an jeder Ecke – dort würde endlich richtig was los sein! Aber nix da. Es wurde Hildesheim. Nicht nur entfernte ich mich damit von meiner Familie und allen meinen Freund*innen – die Stadt war auch einfach nicht viel größer als die, aus der ich ohnehin schon kam. Und Hildesheim schien auf den ersten Blick auch nicht interessanter zu sein. Ich fand sogar ein Viertel, das fast exakt so aussah wie ein Stadtteil Marburgs. Auf mich wirkte der ganze Umzug damals wie ein riesengroßes Opfer, das ich bringen musste, nur weil der Studiengang in Hildesheim spannender war. Nicht nur, weil ich nochmal von vorn anfangen und neue Menschen kennenlernen musste in dieser Stadt, die gerade mal so die 100.000-Einwohner-Marke geknackt hatte. Auch, weil das Stadtbild vor allem von Kirchen geprägt war, die wie ein Bild aus vergangener Zeit wirkten. Darüber konnten mich nicht einmal die niedrigen Mietpreise hinwegtrösten. Denn das Geld, das ich dadurch sparte, gab ich vor allem dafür aus, so oft wie möglich nach Frankfurt zu fahren.
Kurzum: Mein anfänglicher Blick auf die Stadt, in die ich gezogen war, war miserabel. Ich war nicht in der Lage, Hildesheim eine Chance zu geben. Sogar Freund*innen, die mich besuchen kommen wollten, warnte ich davor, dass es hier eigentlich gar nichts zu tun gäbe. Doch eines Tages änderte sich das. Nicht auf einmal natürlich. Aber es änderte sich, weil ich aufhörte, mich zu verstecken und in meiner eigenen Misere zu versinken. Weil ich Kontakt zu Kommiliton*innen aufbaute, die hier schon eine Weile lebten und mir die Geheimtipps zeigen konnten. Weil ich merkte, dass es zwar nur zwei große Museen gab, dafür aber eine Vielzahl an kleineren Ausstellungen, die immer wieder an unterschiedlichsten Orten aufploppten.
Mittlerweile weiß ich, dass nicht jede Kirche Hildesheims gleich eine Kirche ist: Eine von ihnen beherbergt beispielsweise ein Literaturhaus. Und als ich anfing, mich mit Kommiliton*innen in spannende Projekte zu stürzen, wurde es auch völlig egal, dass es nur ein einziges Café mit anständigem veganen Kuchen gab und unser Campus so weit ab vom Schuss war. Sobald ich die richtigen Menschen kennenlernte, mit denen ich zusammen backen und Witze machen konnte, die nur Philosophiestudierende verstehen, gaben sie dieser Stadt für mich Leben. Sie wurden mein Hildesheim. Und so konnte ich der Stadt endlich eine Chance geben, mein Zuhause zu werden. Jetzt finde ich es schade, dass viele meiner Kommiliton*innen lieber weiter in die nächste Großstadt ziehen wollen. Ich glaube, Hildesheim hätte es verdient, dass sie noch etwas bleiben.
Text von Pierre Hofmann, 25, liest und schreibt wissenschaftlich, journalistisch, literarisch und versucht dabei zu verstehen.
Teaserbild: Paula Kuchta