Beschreibe deinen Charakter in einem Tweet! Was sind deine Gedanken zu Social Media? Was hat dich zuletzt vollauf begeistert? Vor diesen und anderen Fragen sitze ich bereits den gesamten Vormittag. Ich habe schon angefangen, mir nervös die Schläfen zu massieren, obwohl das wirklich nur in Filmen gegen Kopfschmerzen hilft. Man könnte meinen, ich erstelle ein Profil für eine Dating-Website – tatsächlich aber bewerbe ich mich auf einen journalistischen Ausbildungsplatz. Und das bereitet mir mehr Kopfzerbrechen als meine Abiturprüfung in Mathe.
Auf der Website des Unternehmens sah das alles noch ganz einfach aus. In lockerem Stil wurde ich darum gebeten, ein bisschen was über mich zu erzählen. In einem Motivationsschreiben auf einer Seite und einem kurzen, einminütigen Video seien meiner Kreativität dabei keine Grenzen gesetzt. Dabei ginge es auf keinen Fall darum, meine Editing Skills oder mein teures Equipment unter Beweis zu stellen, sondern einzig und allein darum, dass meine Leidenschaft für das Thema zum Tragen käme. So weit, so einfach, denke ich. Ein wenig über mich selbst reden bekomme ich schon hin. Drei Stunden später kommen mir die Wörter „Leidenschaft“ und „Kreativität“ wie Chiffren für „Disziplin“ und „Biegsamkeit“ vor. Zum richtigen Maß an Leidenschaft scheint nicht nur zu gehören, keine der überaus gefährlichen Lücken im Lebenslauf zu haben. Ich muss zusätzlich beweisen, dass ich mein gesamtes Leben lang auf nichts anderes hingearbeitet habe als diesen Moment. Leidenschaft wird dabei zur zwanghaften Maxime. Und mein Motivationsschreiben, das ich mir zusammenschustere, zu einer Fiktion. Die versucht entspannt formulierte Stellenausschreibung, in der das Unternehmen wie der Kumpel von nebenan daherkommen will, verschleiert den Konkurrenzdruck. Es geht dabei nämlich nicht wie behauptet darum, mich besser kennenzulernen, sondern meine Bewerbung möglichst schnell aussortieren zu können.
Dass es dabei auch um meine Leidenschaft für die Sache gehen soll, kann ich ja verstehen. Kein Unternehmen möchte Menschen einstellen, die keine Lust auf ihre Arbeit haben. Das Problem ist: Woran soll diese gemessen werden? An der Menge an unbezahlten Praktika, die ich mir leisten konnte? An einem möglichst virtuos formulierten Anschreiben? Darin kann ich behaupten und mich verbiegen, wie ich möchte. Ich muss es sogar. Denn was ist, wenn ich mich aus dem Grund bewerbe, aus dem sich die meisten Menschen bewerben: um schlicht und einfach Geld zu verdienen mit einer Tätigkeit, für die man ausgebildet wurde? Nicht jede Person geht voll und ganz in ihrer Arbeit auf. Nicht jede Person will das. Nicht für jeden bedeutet der eigene Job absolute Selbstverwirklichung. Und das sollte für ein Unternehmen in bester Ordnung sein, solange die jeweilige Person die richtigen Fähigkeiten und den Willen hat, um ihren Job zu erledigen.
Text von Pierre Hofmann, 25, liest und schreibt wissenschaftlich, journalistisch, literarisch und versucht dabei zu verstehen.
Teaserbild: Paula Hohlfeld