Kissenschlacht

Außerhalb des
Kopf-Universums

Die Sängerin Mine wurde für den Deutschen Musikautorenpreis der GEMA in der Kategorie „Text Chanson/Lied“ nominiert. Dabei hatte sie gar nicht vor, Künstlerin zu werden, es war nicht in ihrem „Kopf-Universum“. Wie es dann doch dazu kam und wie viele Hochzeits-Gigs auf dem Weg lagen, erzählte sie SPIESSER-Autorin Frieda.

04. September 2020 - 13:00
SPIESSER-AutorIn freedy.beedy.
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Beigetreten: 01.08.2017

Mine, was war eigentlich dein Traumberuf als Kind?

Das hat ständig gewechselt. Also ganz am Anfang wollte ich immer Friseurin werden, denn meine Verwandten in Norditalien sind alle Friseure. Aber damals hieß es dann, dass ich einen „anständigen“ Beruf ausüben sollte. Deswegen wollte ich eine Weile lang Anwältin werden und dann Lehrerin, weil ich dachte, dass ich’s besser kann als die Lehrer, die ich hatte. Das hat aber wegen der Aufnahmeprüfung nicht geklappt …

… und jetzt lebst du den Traum, den viele haben: Musikerin als Beruf. Ab wann war für dich klar, dass du professionell Musik machen möchtest?

Ziemlich spät. Ich hatte auch nicht vor, Künstlerin zu werden, sondern wusste nur, dass ich etwas mit Musik machen werde. Ich komme aus einem relativ kleinen Dorf und ich kannte niemanden, der beruflich Musik machte, deswegen war das für mich nicht in meinem Kopf-Universum drin. Dann habe ich mich auf das Jazz-Studium beworben, aber ich hatte nicht das Ziel, damit Geld zu verdienen. Ich hatte eher den Plan, eine Gesangsschule aufzumachen. Umso schöner, dass ich jetzt meine eigene Musik machen darf. Dafür bin ich sehr dankbar.

Mine

heißt Jasmin Stocker und hat sich mit ihrem Herzensprojekt Orchester-Konzert in der deutschsprachigen Musikszene einen Namen gemacht, da sie dieses eigenständig auf die Beine stellte, durch Crowdfunding finanzierte und von vielen bekannten Musikern wie Fatoni, Edgar Wasser und Bartek (Die Orsons) unterstützt wurde. Sie hat in mehreren Features mitgewirkt, war als Gesangsdozentin tätig und unterstützt auch heute noch junge Künstler mit Bandcoachings. Für den Song „90 Grad“ auf ihrem letzten Album „Klebstoff“ wurde sie mit dem Listen To Berlin Award ausgezeichnet.
Wie war dann dein Sprung vom Studium ins Arbeitsleben?

Es gibt für mich als nicht-klassische Musikerin keine Möglichkeit, angestellt zu werden und kreativ zu arbeiten. Deswegen habe ich auch schon mit 18 Cover-Gigs auf irgendwelchen Dorffesten gespielt. Ich habe zehn Jahre Covermusik gemacht. Super fand ich das nicht, aber es hat mich auf jeden Fall geschult, was die Bühne angeht. Aber irgendwann hatte ich dann echt keine Lust mehr, denn das ist oft Bespaßung von betrunkenen Menschen. Und nach der 5000. Hochzeit ist es dann auch gut, da kommen auch keine romantischen Feelings mehr auf. (lacht)

Währenddessen habe ich mein Geld, welches ich damit verdient habe, in ein anderes Projekt gesteckt, und das hat sich langsam entwickelt. Irgendwann habe ich gemerkt: „Oh, ich habe in dem letzten halben Jahr keinen Cover-Job gespielt!“ Meine Miete bekam ich trotzdem irgendwie zusammengekratzt. Es war ein schleichender Prozess.

Du warst als Dozentin tätig. Könntest du dir vorstellen, das wieder zu machen?

Ja klar, ich finde es voll cool, mit Leuten zusammenzuarbeiten. Vor allem, wenn sie erwachsen sind. Ich mache manchmal noch Bandpool-Coaching an der Pop-Akademie und das mache ich auch sehr gerne. Ich bin zwar älter als die Bands, mit denen ich zusammenarbeite, aber das ist der einzige Unterschied. Wir können kreativ voneinander lernen. Letzens habe ich mich mit einer Band getroffen, die heißt Mahendra, die sind ganz neu und fangen gerade erst an. Wir haben eine Session gemacht, in der es eigentlich darum ging, dass ich zeige, wie man Songs produziert, aber diese Session hat mich mindestens genauso inspiriert.

Ich bin ein großer Gegner von Casting- Sachen, […] denn das hat nichts mit Kultur zu tun.

Welche Möglichkeiten gibt es denn, ohne ein Studium, wie in deinem Fall, ins Musikbusiness einzusteigen?

Das ist komplett verschieden, egal, wen du fragst – jeder erzählt dir eine andere Story. Da gibt’s keinen Weg, der richtig oder falsch ist. Das ist immer ein Zusammenspiel aus Fleiß, Talent natürlich, das spielt schon eine Rolle. Vor allem aber auch Willenskraft und Glück. Man muss auch genremäßig in einem Stil unterwegs sein, von dem man das Gefühl hat, dass die Leute das auch hören.

Wenn da keine Leute da sind, die darauf stehen, dann wird’s einfach schwierig. Gleichzeitig muss man auch versuchen das nach außen zu tragen und die Leute zu erreichen, scheißegal wie. Ich bin ein großer Gegner von Casting-Sachen, muss ich ehrlich gestehen, denn das hat nichts mit Kultur zu tun. Das ist eine reine Unterhaltungsshow und da geht’s um die Unterhaltung, nicht um die Musik. Ich glaube auch nicht, dass das langfristig ein Weg ist, den man einschlagen sollte, wenn man ernsthaft vorhat Musikerin oder Musiker zu werden. Außerdem sollte man unbedingt mit Menschen zusammenarbeiten und sich die richtigen aussuchen. Allein ist es wirklich sehr schwer.


Nach dem Erfolgsalbum „Klebstoff“ arbeitet Mine aktuell an ihrem
neuen Album, das 2021 erscheinen wird. Im Herbst 2021 wird sie
auch auf Tour gehen.
Du wurdest für den Deutschen Musikautorenpreis der GEMA in der Kategorie „Text Chanson/Lied“ nominiert. Dazu sagtest du, dass du es „immer noch positiv absurd“ findest, dass deine Musik „ernsthaft so angenommen wird“. Wie hast du das gemeint?

Ich mache Musik jetzt schon sehr lange und ich habe nicht den Blick von außen. Man sieht sich selbst ja auch beim Wachsen nicht so zu. Ich bin jetzt für irgendwelche Preise nominiert und daneben sind Künstler und Künstlerinnen, die ich voll krass feiere, und wenn ich mich dann da einreihe, dann finde ich das so absurd. Wenn ich jetzt für so was Krasses wie diesen Preis nominiert werde, dann ist das der Wahnsinn, denn ich schreibe ja auch alles selber. Dass andere das so sehen, ehrt und freut mich voll, aber es überrascht mich auch.

Deine Songs haben Tiefgang und eine klare Message – worauf achtest du denn beim Songwriting?

Dass es mich kickt. Alles andere ist mir egal. Ich bin gerade mitten im Schreiben und es ist eigentlich die anstrengendste Phase, denn da muss man alles an Emotionen hochholen und es zulassen. Das ist mir das Wichtigste. Ich habe jetzt gerade so einen Song gemacht, der ist eigentlich voll cheesy. Als ich ihn fertig hatte, wusste ich, dass den viele nicht so gut finden werden, aber wenn ein Song für mich gut ist, dann ist mir das egal. Das will ich mit jedem Song haben, denn dann fühle ich mich safe.

Wie politisch darf denn deine Musik für dich sein?

Voll politisch. Ich habe auch gerade das Gefühl, dass ich unbedingt viele politische Sachen schreiben will, denn auf der Welt passiert gerade sehr viel: der Rechtsruck, LGBTQ-freie Zone in Polen, Menschen, die warten, nach Europa zu dürfen. Das macht mich total fertig und hilflos. Das nimmt mich emotional mit und deswegen habe ich das Gefühl, darüber schreiben zu wollen. Ich gucke gerade, wie ich das hinbekomme, denn es wäre ein neuer Step für mich. Und es ist auch einfach wichtig.

Ich gehe ein bis zwei Mal die Woche auf Konzerte. Deswegen bin ich nach Berlin gezogen.

Gehst du eigentlich noch auf Konzerte, in die Oper, Musicals, …?

Ja andauernd, ein bis zwei Mal die Woche gehe ich auf Konzerte. Deswegen bin ich auch nach Berlin gezogen, weil hier jeden Tag Konzerte sind, und ich persönlich gehe sehr gerne auf die ganz kleinen. Ich finde es auch wichtig, dass man das als Künstler tut. Wenn man das nicht macht, bleibt man irgendwann stehen und dann dreht man sich um sich selbst.


Nun steht es fest: Der Deutsche Musikautorenpreis wird am 25. März 2021 verliehen. Wir drücken Mine die Daumen!

 

Text von Frieda Rahn, 22, hält sich durch Kissenschlachten und das Lesen von schweren Büchern fit.

Fotos von Christian Schneider, Berliner Fotograf und Filmemacher, Mine-Fan der ersten Stunde.

Kamera & Schnitt: Paul Henschel

Teaserbild: Paula Hohlfeld

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Kommentare

Zwei Kommentare
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